Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Pölitz, Karl Heinrich Ludwig: Das Gesamtgebiet der teutschen Sprache nach Prosa, Dichtkunst und Beredsamkeit theoretisch und praktisch dargestellt. Dritter Band: Sprache der Dichtkunst. Leipzig, 1825.

Bild:
<< vorherige Seite

ppo_486.001
und der schlechten Waare aus dieser Gattung von ppo_486.002
Kunstformen weit mehr zu Tage gefördert ward, ppo_486.003
als der gehaltvollen Werke. Deshalb darf aber auch ppo_486.004
die Theorie des Romans nicht von den unvollkommenen, ppo_486.005
sondern nur von den gelungenen und vollendeten ppo_486.006
Formen aus dieser Gattung von Kunstwerken ppo_486.007
abgeleitet werden. Nach diesen beruht der Charakter ppo_486.008
des Romans auf der idealischen Darstellung ppo_486.009
der menschlichen Gattung,
so wie ppo_486.010
der Schicksale und der gegenseitigen Verhältnisse ppo_486.011
und Beziehungen ihrer Jndividuen auf einander, ppo_486.012
nach allen möglichen Aeußerungen der menschlichen ppo_486.013
Freiheit, und nach allen möglichen Schattirungen ppo_486.014
des öffentlichen, häuslichen und individuellen Lebens, ppo_486.015
unter der Bedingung, daß der aus den Ankündigungen, ppo_486.016
Schicksalen und Handlungen dieser Jndividuen ppo_486.017
hervorgehende Stoff unter der Einheit einer ppo_486.018
vollendeten ästhetischen Form
dargestellt werden ppo_486.019
könne. Die Stoffe des Romans können daher ppo_486.020
eben so gut aus der wirklichen, wie aus der idealischen ppo_486.021
Welt entlehnt werden; der Romanendichter ppo_486.022
darf die Jndividuen, Thatsachen und Handlungen ppo_486.023
im Kreise der Geschichte nach ästhetischen Gesetzen ppo_486.024
gestalten, und einen ästhetischen Causalzusammenhang ppo_486.025
vermitteln, der von dem geschichtlichen völlig sich ppo_486.026
entfernt; denn ihn bindet nicht, wie den Geschichtsschreiber, ppo_486.027
das Gesetz der geschichtlichen Wahrheit, ppo_486.028
sondern das Gesetz der Form. Er hat seine Aufgabe ppo_486.029
gelöset, und dichterisch über den von ihm behandelten ppo_486.030
Stoff geboten, sobald er dem Gesetze der ppo_486.031
Form Genüge leistet, d. h. sobald er einen Stoff ppo_486.032
auswählt und gestaltet, der an sich ästhetisch darstellbar ppo_486.033
ist, und der durch seine schöpferische Einbildungskraft ppo_486.034
zur vollendeten Einheit der

ppo_486.001
und der schlechten Waare aus dieser Gattung von ppo_486.002
Kunstformen weit mehr zu Tage gefördert ward, ppo_486.003
als der gehaltvollen Werke. Deshalb darf aber auch ppo_486.004
die Theorie des Romans nicht von den unvollkommenen, ppo_486.005
sondern nur von den gelungenen und vollendeten ppo_486.006
Formen aus dieser Gattung von Kunstwerken ppo_486.007
abgeleitet werden. Nach diesen beruht der Charakter ppo_486.008
des Romans auf der idealischen Darstellung ppo_486.009
der menschlichen Gattung,
so wie ppo_486.010
der Schicksale und der gegenseitigen Verhältnisse ppo_486.011
und Beziehungen ihrer Jndividuen auf einander, ppo_486.012
nach allen möglichen Aeußerungen der menschlichen ppo_486.013
Freiheit, und nach allen möglichen Schattirungen ppo_486.014
des öffentlichen, häuslichen und individuellen Lebens, ppo_486.015
unter der Bedingung, daß der aus den Ankündigungen, ppo_486.016
Schicksalen und Handlungen dieser Jndividuen ppo_486.017
hervorgehende Stoff unter der Einheit einer ppo_486.018
vollendeten ästhetischen Form
dargestellt werden ppo_486.019
könne. Die Stoffe des Romans können daher ppo_486.020
eben so gut aus der wirklichen, wie aus der idealischen ppo_486.021
Welt entlehnt werden; der Romanendichter ppo_486.022
darf die Jndividuen, Thatsachen und Handlungen ppo_486.023
im Kreise der Geschichte nach ästhetischen Gesetzen ppo_486.024
gestalten, und einen ästhetischen Causalzusammenhang ppo_486.025
vermitteln, der von dem geschichtlichen völlig sich ppo_486.026
entfernt; denn ihn bindet nicht, wie den Geschichtsschreiber, ppo_486.027
das Gesetz der geschichtlichen Wahrheit, ppo_486.028
sondern das Gesetz der Form. Er hat seine Aufgabe ppo_486.029
gelöset, und dichterisch über den von ihm behandelten ppo_486.030
Stoff geboten, sobald er dem Gesetze der ppo_486.031
Form Genüge leistet, d. h. sobald er einen Stoff ppo_486.032
auswählt und gestaltet, der an sich ästhetisch darstellbar ppo_486.033
ist, und der durch seine schöpferische Einbildungskraft ppo_486.034
zur vollendeten Einheit der

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0498" n="486"/><lb n="ppo_486.001"/>und der schlechten Waare aus dieser Gattung von <lb n="ppo_486.002"/>Kunstformen weit mehr zu Tage gefördert ward, <lb n="ppo_486.003"/>als der gehaltvollen Werke. Deshalb darf aber auch <lb n="ppo_486.004"/>die Theorie des Romans nicht von den unvollkommenen, <lb n="ppo_486.005"/>sondern nur von den gelungenen und vollendeten <lb n="ppo_486.006"/>Formen aus dieser Gattung von Kunstwerken <lb n="ppo_486.007"/>abgeleitet werden. Nach diesen beruht der Charakter <lb n="ppo_486.008"/>des Romans auf der <hi rendition="#g">idealischen Darstellung <lb n="ppo_486.009"/>der menschlichen Gattung,</hi> so wie <lb n="ppo_486.010"/>der Schicksale und der gegenseitigen Verhältnisse <lb n="ppo_486.011"/>und Beziehungen ihrer Jndividuen auf einander, <lb n="ppo_486.012"/>nach allen möglichen Aeußerungen der menschlichen <lb n="ppo_486.013"/>Freiheit, und nach allen möglichen Schattirungen <lb n="ppo_486.014"/>des öffentlichen, häuslichen und individuellen Lebens, <lb n="ppo_486.015"/>unter <hi rendition="#g">der</hi> Bedingung, daß der aus den Ankündigungen, <lb n="ppo_486.016"/>Schicksalen und Handlungen dieser Jndividuen <lb n="ppo_486.017"/>hervorgehende Stoff unter der <hi rendition="#g">Einheit einer <lb n="ppo_486.018"/>vollendeten ästhetischen Form</hi> dargestellt werden <lb n="ppo_486.019"/>könne. Die Stoffe des Romans können daher <lb n="ppo_486.020"/>eben so gut aus der wirklichen, wie aus der idealischen <lb n="ppo_486.021"/>Welt entlehnt werden; der Romanendichter <lb n="ppo_486.022"/>darf die Jndividuen, Thatsachen und Handlungen <lb n="ppo_486.023"/>im Kreise der Geschichte nach ästhetischen Gesetzen <lb n="ppo_486.024"/>gestalten, und einen ästhetischen Causalzusammenhang <lb n="ppo_486.025"/>vermitteln, der von dem geschichtlichen völlig sich <lb n="ppo_486.026"/>entfernt; denn ihn bindet nicht, wie den Geschichtsschreiber, <lb n="ppo_486.027"/>das Gesetz der geschichtlichen Wahrheit, <lb n="ppo_486.028"/>sondern das Gesetz der Form. Er hat seine Aufgabe <lb n="ppo_486.029"/>gelöset, und dichterisch über den von ihm behandelten <lb n="ppo_486.030"/>Stoff geboten, sobald er dem Gesetze der <lb n="ppo_486.031"/>Form Genüge leistet, d. h. sobald er einen Stoff <lb n="ppo_486.032"/>auswählt und gestaltet, der an sich <hi rendition="#g">ästhetisch darstellbar</hi> <lb n="ppo_486.033"/>ist, und der durch seine schöpferische Einbildungskraft <lb n="ppo_486.034"/>zur <hi rendition="#g">vollendeten Einheit der
</hi></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[486/0498] ppo_486.001 und der schlechten Waare aus dieser Gattung von ppo_486.002 Kunstformen weit mehr zu Tage gefördert ward, ppo_486.003 als der gehaltvollen Werke. Deshalb darf aber auch ppo_486.004 die Theorie des Romans nicht von den unvollkommenen, ppo_486.005 sondern nur von den gelungenen und vollendeten ppo_486.006 Formen aus dieser Gattung von Kunstwerken ppo_486.007 abgeleitet werden. Nach diesen beruht der Charakter ppo_486.008 des Romans auf der idealischen Darstellung ppo_486.009 der menschlichen Gattung, so wie ppo_486.010 der Schicksale und der gegenseitigen Verhältnisse ppo_486.011 und Beziehungen ihrer Jndividuen auf einander, ppo_486.012 nach allen möglichen Aeußerungen der menschlichen ppo_486.013 Freiheit, und nach allen möglichen Schattirungen ppo_486.014 des öffentlichen, häuslichen und individuellen Lebens, ppo_486.015 unter der Bedingung, daß der aus den Ankündigungen, ppo_486.016 Schicksalen und Handlungen dieser Jndividuen ppo_486.017 hervorgehende Stoff unter der Einheit einer ppo_486.018 vollendeten ästhetischen Form dargestellt werden ppo_486.019 könne. Die Stoffe des Romans können daher ppo_486.020 eben so gut aus der wirklichen, wie aus der idealischen ppo_486.021 Welt entlehnt werden; der Romanendichter ppo_486.022 darf die Jndividuen, Thatsachen und Handlungen ppo_486.023 im Kreise der Geschichte nach ästhetischen Gesetzen ppo_486.024 gestalten, und einen ästhetischen Causalzusammenhang ppo_486.025 vermitteln, der von dem geschichtlichen völlig sich ppo_486.026 entfernt; denn ihn bindet nicht, wie den Geschichtsschreiber, ppo_486.027 das Gesetz der geschichtlichen Wahrheit, ppo_486.028 sondern das Gesetz der Form. Er hat seine Aufgabe ppo_486.029 gelöset, und dichterisch über den von ihm behandelten ppo_486.030 Stoff geboten, sobald er dem Gesetze der ppo_486.031 Form Genüge leistet, d. h. sobald er einen Stoff ppo_486.032 auswählt und gestaltet, der an sich ästhetisch darstellbar ppo_486.033 ist, und der durch seine schöpferische Einbildungskraft ppo_486.034 zur vollendeten Einheit der

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Technische Universität Darmstadt, Universität Stuttgart: Bereitstellung der Scan-Digitalisate und der Texttranskription. (2015-09-30T09:54:39Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
TextGrid/DARIAH-DE: Langfristige Bereitstellung der TextGrid/DARIAH-DE-Repository-Ausgabe
Stefan Alscher: Bearbeitung der digitalen Edition - Annotation des Metaphernbegriffs
Hans-Werner Bartz: Bearbeitung der digitalen Edition - Tustep-Unterstützung
Michael Bender: Bearbeitung der digitalen Edition - Koordination, Konzeption (Korpusaufbau, Annotationsschema, Workflow, Publikationsformen), Annotation des Metaphernbegriffs, XML-Auszeichnung)
Leonie Blumenschein: Bearbeitung der digitalen Edition - XML-Auszeichnung
David Glück: Bearbeitung der digitalen Edition - Korpusaufbau, XML-Auszeichnung, Annotation des Metaphernbegriffs, XSL+JavaScript
Constanze Hahn: Bearbeitung der digitalen Edition - Korpusaufbau, XML-Auszeichnung
Philipp Hegel: Bearbeitung der digitalen Edition - XML/XSL/CSS-Unterstützung
Andrea Rapp: ePoetics-Projekt-Koordination
Sandra Richter: ePoetics-Projekt-Koordination

Weitere Informationen:

Bogensignaturen: keine Angabe; Druckfehler: keine Angabe; fremdsprachliches Material: gekennzeichnet; Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage; Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): wie Vorlage; i/j in Fraktur: wie Vorlage; I/J in Fraktur: wie Vorlage; Kolumnentitel: nicht übernommen; Kustoden: nicht übernommen; langes s (ſ): wie Vorlage; Normalisierungen: keine; rundes r (ꝛ): wie Vorlage; Seitenumbrüche markiert: ja; Silbentrennung: nicht übernommen; u/v bzw. U/V: wie Vorlage; Vokale mit übergest. e: wie Vorlage; Vollständigkeit: vollständig erfasst; Zeichensetzung: wie Vorlage; Zeilenumbrüche markiert: ja;




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/poelitz_poetik_1825
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/poelitz_poetik_1825/498
Zitationshilfe: Pölitz, Karl Heinrich Ludwig: Das Gesamtgebiet der teutschen Sprache nach Prosa, Dichtkunst und Beredsamkeit theoretisch und praktisch dargestellt. Dritter Band: Sprache der Dichtkunst. Leipzig, 1825, S. 486. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/poelitz_poetik_1825/498>, abgerufen am 27.05.2024.