Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Polenz, Wilhelm von: Der Büttnerbauer. Berlin, 1895.

Bild:
<< vorherige Seite

Tagewerk keine Zeit übrig. Aber eines steckte tief in seinem
Wesen: er lebte viel mit seinen Gedanken in der Vergangenheit,
sie war ihm ein steter Begleiter der Gegenwart, der mit be¬
redtem Munde zu ihm sprach. Dieser Hang zum Rückwärts¬
blicken und Beschauen des Vergangenen wurde in ihm bestärkt
durch die Vereinsamung, in der er sich befand. Denn obgleich
er eine zahlreiche Familie um sich heranwachsen sah, war dieser
Mann doch allein, wollte es sein. Er scheute jede Mit¬
teilung seines Innersten anderen gegenüber, auch wenn sie von
seinem Fleisch und Blute waren. Aber mit den Dahin¬
geschiedenen stand er in lebendiger Beziehung.

Sein erstaunlich frisches Gedächtnis unterstützte ihn darin.
Er vermochte sich Erlebnisse und Personen aus der frühesten
Jugend vor die Seele zu stellen, als seien sie gestern ge¬
wesen. Aussprüche der Eltern, ja selbst des Großvaters,
konnte er mit wörtlicher Treue wiedergeben, obgleich der Alte
vor nahezu fünfzig Jahren das Zeitliche gesegnet hatte. Er
war imstande, mit untrüglicher Gewißheit anzugeben, an
welchem Tage in einem bestimmten Jahre man das erste Heu
eingefahren hatte, oder was ihm damals für eine Kuh bezahlt
worden war, oder auch, wieviel der Roggen in dem und dem
Monate gegolten hatte.

Die Vergangenheit bildete aber nicht blos den vielbe¬
trachteten Hintergrund seines Daseins, sie wirkte geradezu
entscheidend auf seine Entschließungen ein. Er war gebunden
in seinem Willen an Thaten und Absichten seiner Vor¬
fahren. Ohne sich dessen selbst recht bewußt zu werden,
ließ er sich leiten von frommer Rücksicht auf Wunsch und
Willen jener Entschlafenen, die für ihn eben Gegenwärtige
waren.

Dabei sprach er fast nie von der Vergangenheit. Das
Sprechen, soweit es nicht einem bestimmten praktischen Zwecke
diente, erschien ihm überhaupt müßig. Das Reden um der
Aussprache willen, die süße Erleichterung des Gemütes
durch Mitteilung, kannte er, nicht, verachtete dergleichen, als
weibisch.

Tagewerk keine Zeit übrig. Aber eines ſteckte tief in ſeinem
Weſen: er lebte viel mit ſeinen Gedanken in der Vergangenheit,
ſie war ihm ein ſteter Begleiter der Gegenwart, der mit be¬
redtem Munde zu ihm ſprach. Dieſer Hang zum Rückwärts¬
blicken und Beſchauen des Vergangenen wurde in ihm beſtärkt
durch die Vereinſamung, in der er ſich befand. Denn obgleich
er eine zahlreiche Familie um ſich heranwachſen ſah, war dieſer
Mann doch allein, wollte es ſein. Er ſcheute jede Mit¬
teilung ſeines Innerſten anderen gegenüber, auch wenn ſie von
ſeinem Fleiſch und Blute waren. Aber mit den Dahin¬
geſchiedenen ſtand er in lebendiger Beziehung.

Sein erſtaunlich friſches Gedächtnis unterſtützte ihn darin.
Er vermochte ſich Erlebniſſe und Perſonen aus der früheſten
Jugend vor die Seele zu ſtellen, als ſeien ſie geſtern ge¬
weſen. Ausſprüche der Eltern, ja ſelbſt des Großvaters,
konnte er mit wörtlicher Treue wiedergeben, obgleich der Alte
vor nahezu fünfzig Jahren das Zeitliche geſegnet hatte. Er
war imſtande, mit untrüglicher Gewißheit anzugeben, an
welchem Tage in einem beſtimmten Jahre man das erſte Heu
eingefahren hatte, oder was ihm damals für eine Kuh bezahlt
worden war, oder auch, wieviel der Roggen in dem und dem
Monate gegolten hatte.

Die Vergangenheit bildete aber nicht blos den vielbe¬
trachteten Hintergrund ſeines Daſeins, ſie wirkte geradezu
entſcheidend auf ſeine Entſchließungen ein. Er war gebunden
in ſeinem Willen an Thaten und Abſichten ſeiner Vor¬
fahren. Ohne ſich deſſen ſelbſt recht bewußt zu werden,
ließ er ſich leiten von frommer Rückſicht auf Wunſch und
Willen jener Entſchlafenen, die für ihn eben Gegenwärtige
waren.

Dabei ſprach er faſt nie von der Vergangenheit. Das
Sprechen, ſoweit es nicht einem beſtimmten praktiſchen Zwecke
diente, erſchien ihm überhaupt müßig. Das Reden um der
Ausſprache willen, die ſüße Erleichterung des Gemütes
durch Mitteilung, kannte er, nicht, verachtete dergleichen, als
weibiſch.

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0166" n="152"/>
Tagewerk keine Zeit übrig. Aber eines &#x017F;teckte tief in &#x017F;einem<lb/>
We&#x017F;en: er lebte viel mit &#x017F;einen Gedanken in der Vergangenheit,<lb/>
&#x017F;ie war ihm ein &#x017F;teter Begleiter der Gegenwart, der mit be¬<lb/>
redtem Munde zu ihm &#x017F;prach. Die&#x017F;er Hang zum Rückwärts¬<lb/>
blicken und Be&#x017F;chauen des Vergangenen wurde in ihm be&#x017F;tärkt<lb/>
durch die Verein&#x017F;amung, in der er &#x017F;ich befand. Denn obgleich<lb/>
er eine zahlreiche Familie um &#x017F;ich heranwach&#x017F;en &#x017F;ah, war die&#x017F;er<lb/>
Mann doch allein, wollte es &#x017F;ein. Er &#x017F;cheute jede Mit¬<lb/>
teilung &#x017F;eines Inner&#x017F;ten anderen gegenüber, auch wenn &#x017F;ie von<lb/>
&#x017F;einem Flei&#x017F;ch und Blute waren. Aber mit den Dahin¬<lb/>
ge&#x017F;chiedenen &#x017F;tand er in lebendiger Beziehung.</p><lb/>
          <p>Sein er&#x017F;taunlich fri&#x017F;ches Gedächtnis unter&#x017F;tützte ihn darin.<lb/>
Er vermochte &#x017F;ich Erlebni&#x017F;&#x017F;e und Per&#x017F;onen aus der frühe&#x017F;ten<lb/>
Jugend vor die Seele zu &#x017F;tellen, als &#x017F;eien &#x017F;ie ge&#x017F;tern ge¬<lb/>
we&#x017F;en. Aus&#x017F;prüche der Eltern, ja &#x017F;elb&#x017F;t des Großvaters,<lb/>
konnte er mit wörtlicher Treue wiedergeben, obgleich der Alte<lb/>
vor nahezu fünfzig Jahren das Zeitliche ge&#x017F;egnet hatte. Er<lb/>
war im&#x017F;tande, mit untrüglicher Gewißheit anzugeben, an<lb/>
welchem Tage in einem be&#x017F;timmten Jahre man das er&#x017F;te Heu<lb/>
eingefahren hatte, oder was ihm damals für eine Kuh bezahlt<lb/>
worden war, oder auch, wieviel der Roggen in dem und dem<lb/>
Monate gegolten hatte.</p><lb/>
          <p>Die Vergangenheit bildete aber nicht blos den vielbe¬<lb/>
trachteten Hintergrund &#x017F;eines Da&#x017F;eins, &#x017F;ie wirkte geradezu<lb/>
ent&#x017F;cheidend auf &#x017F;eine Ent&#x017F;chließungen ein. Er war gebunden<lb/>
in &#x017F;einem Willen an Thaten und Ab&#x017F;ichten &#x017F;einer Vor¬<lb/>
fahren. Ohne &#x017F;ich de&#x017F;&#x017F;en &#x017F;elb&#x017F;t recht bewußt zu werden,<lb/>
ließ er &#x017F;ich leiten von frommer Rück&#x017F;icht auf Wun&#x017F;ch und<lb/>
Willen jener Ent&#x017F;chlafenen, die für ihn eben Gegenwärtige<lb/>
waren.</p><lb/>
          <p>Dabei &#x017F;prach er fa&#x017F;t nie von der Vergangenheit. Das<lb/>
Sprechen, &#x017F;oweit es nicht einem be&#x017F;timmten prakti&#x017F;chen Zwecke<lb/>
diente, er&#x017F;chien ihm überhaupt müßig. Das Reden um der<lb/>
Aus&#x017F;prache willen, die &#x017F;üße Erleichterung des Gemütes<lb/>
durch Mitteilung, kannte er, nicht, verachtete dergleichen, als<lb/>
weibi&#x017F;ch.</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[152/0166] Tagewerk keine Zeit übrig. Aber eines ſteckte tief in ſeinem Weſen: er lebte viel mit ſeinen Gedanken in der Vergangenheit, ſie war ihm ein ſteter Begleiter der Gegenwart, der mit be¬ redtem Munde zu ihm ſprach. Dieſer Hang zum Rückwärts¬ blicken und Beſchauen des Vergangenen wurde in ihm beſtärkt durch die Vereinſamung, in der er ſich befand. Denn obgleich er eine zahlreiche Familie um ſich heranwachſen ſah, war dieſer Mann doch allein, wollte es ſein. Er ſcheute jede Mit¬ teilung ſeines Innerſten anderen gegenüber, auch wenn ſie von ſeinem Fleiſch und Blute waren. Aber mit den Dahin¬ geſchiedenen ſtand er in lebendiger Beziehung. Sein erſtaunlich friſches Gedächtnis unterſtützte ihn darin. Er vermochte ſich Erlebniſſe und Perſonen aus der früheſten Jugend vor die Seele zu ſtellen, als ſeien ſie geſtern ge¬ weſen. Ausſprüche der Eltern, ja ſelbſt des Großvaters, konnte er mit wörtlicher Treue wiedergeben, obgleich der Alte vor nahezu fünfzig Jahren das Zeitliche geſegnet hatte. Er war imſtande, mit untrüglicher Gewißheit anzugeben, an welchem Tage in einem beſtimmten Jahre man das erſte Heu eingefahren hatte, oder was ihm damals für eine Kuh bezahlt worden war, oder auch, wieviel der Roggen in dem und dem Monate gegolten hatte. Die Vergangenheit bildete aber nicht blos den vielbe¬ trachteten Hintergrund ſeines Daſeins, ſie wirkte geradezu entſcheidend auf ſeine Entſchließungen ein. Er war gebunden in ſeinem Willen an Thaten und Abſichten ſeiner Vor¬ fahren. Ohne ſich deſſen ſelbſt recht bewußt zu werden, ließ er ſich leiten von frommer Rückſicht auf Wunſch und Willen jener Entſchlafenen, die für ihn eben Gegenwärtige waren. Dabei ſprach er faſt nie von der Vergangenheit. Das Sprechen, ſoweit es nicht einem beſtimmten praktiſchen Zwecke diente, erſchien ihm überhaupt müßig. Das Reden um der Ausſprache willen, die ſüße Erleichterung des Gemütes durch Mitteilung, kannte er, nicht, verachtete dergleichen, als weibiſch.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/polenz_buettnerbauer_1895
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/polenz_buettnerbauer_1895/166
Zitationshilfe: Polenz, Wilhelm von: Der Büttnerbauer. Berlin, 1895, S. 152. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/polenz_buettnerbauer_1895/166>, abgerufen am 05.05.2024.