Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Polenz, Wilhelm von: Der Büttnerbauer. Berlin, 1895.

Bild:
<< vorherige Seite

neuen Ordnung der Dinge, welche durch die Bauernbefreiung
und die Gemeinheitsteilung in den bäuerlichen Verhältnissen
entstanden war, nicht mehr zu recht. Er hatte die Zeiten der
Erbunterthänigkeit unter die Gutsherrschaft und die Fronden
durchgemacht. Als junger Mensch hatte er drei Jahre lang
im Zwangsgesindedienst auf dem Gutshofe gescharwerkt. Später
waren von ihm die fälligen Spanndienste für die Herrschaft
abgeleistet worden. Er lebte ganz und gar in den Anschauungen
der Hörigkeit. Der Hofedienst ging allem anderen voraus.
Der Graf, sein gnädiger Herr, konnte ihm sein Gut weg¬
nehmen, wenn er wollte, und einen anderen an seine Stelle
setzen, wie es ihm gerade paßte. Der Herr hatte die oberste
Polizei und Strafgewalt und verfügte über Leib und Ver¬
mögen seines Unterthanen.

Das wurde nun mit einemmale alles anders. Der Bauer
sollte fortan ein freier Herr sein, auf eigenem Grund und
Boden. Dabei fiel mit den Pflichten auch der Schutz weg.
den die Gutsherrschaft den Unterthanen gewährt hatte. Viele
Leute, besonders die alten, in der Erbunterthänigkeit groß
gewordenen, konnten sich in diese Änderung der Dinge nicht
finden. Sie hatten gar kein Bedürfnis nach Freiheit empfunden.
Seit Menschengedenken hatten ihre Familien Hofedienste ge¬
than, hatten unter Obhut und Leitung des Edelmannes ihr
Leben zugebracht; Selbständigkeit und Freiheit waren für sie
Worte ohne Sinn. Sie wollten es nicht anders haben, als
ihre Väter es gehabt. Der Gutsherr hatte ihre Kräfte benutzt,
hatte sie vielleicht über Gebühr angestrengt, aber er hatte auch
für sie gedacht, und sie in schlimmen Zeiten geschützt. Das
gebot ihm das eigenste Interesse; sie gehörten ihm ja, waren
seine Leute, ohn deren kräftige Hände sein Besitz wertlos war.
Nun sollten sie auf einmal für sich selber denken und sorgen.
Sie standen auf eigene Füße gestellt, verantwortlich für ihre
Thaten. Gar manchen fröstelte da in der neugeschenkten
Freiheit, und er wünschte sich in das Joch der Hörigkeit
zurück.

So ging es auch dem alten Büttner. Schwere Zeiten

neuen Ordnung der Dinge, welche durch die Bauernbefreiung
und die Gemeinheitsteilung in den bäuerlichen Verhältniſſen
entſtanden war, nicht mehr zu recht. Er hatte die Zeiten der
Erbunterthänigkeit unter die Gutsherrſchaft und die Fronden
durchgemacht. Als junger Menſch hatte er drei Jahre lang
im Zwangsgeſindedienſt auf dem Gutshofe geſcharwerkt. Später
waren von ihm die fälligen Spanndienſte für die Herrſchaft
abgeleiſtet worden. Er lebte ganz und gar in den Anſchauungen
der Hörigkeit. Der Hofedienſt ging allem anderen voraus.
Der Graf, ſein gnädiger Herr, konnte ihm ſein Gut weg¬
nehmen, wenn er wollte, und einen anderen an ſeine Stelle
ſetzen, wie es ihm gerade paßte. Der Herr hatte die oberſte
Polizei und Strafgewalt und verfügte über Leib und Ver¬
mögen ſeines Unterthanen.

Das wurde nun mit einemmale alles anders. Der Bauer
ſollte fortan ein freier Herr ſein, auf eigenem Grund und
Boden. Dabei fiel mit den Pflichten auch der Schutz weg.
den die Gutsherrſchaft den Unterthanen gewährt hatte. Viele
Leute, beſonders die alten, in der Erbunterthänigkeit groß
gewordenen, konnten ſich in dieſe Änderung der Dinge nicht
finden. Sie hatten gar kein Bedürfnis nach Freiheit empfunden.
Seit Menſchengedenken hatten ihre Familien Hofedienſte ge¬
than, hatten unter Obhut und Leitung des Edelmannes ihr
Leben zugebracht; Selbſtändigkeit und Freiheit waren für ſie
Worte ohne Sinn. Sie wollten es nicht anders haben, als
ihre Väter es gehabt. Der Gutsherr hatte ihre Kräfte benutzt,
hatte ſie vielleicht über Gebühr angeſtrengt, aber er hatte auch
für ſie gedacht, und ſie in ſchlimmen Zeiten geſchützt. Das
gebot ihm das eigenſte Intereſſe; ſie gehörten ihm ja, waren
ſeine Leute, ohn deren kräftige Hände ſein Beſitz wertlos war.
Nun ſollten ſie auf einmal für ſich ſelber denken und ſorgen.
Sie ſtanden auf eigene Füße geſtellt, verantwortlich für ihre
Thaten. Gar manchen fröſtelte da in der neugeſchenkten
Freiheit, und er wünſchte ſich in das Joch der Hörigkeit
zurück.

So ging es auch dem alten Büttner. Schwere Zeiten

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0168" n="154"/>
neuen Ordnung der Dinge, welche durch die Bauernbefreiung<lb/>
und die Gemeinheitsteilung in den bäuerlichen Verhältni&#x017F;&#x017F;en<lb/>
ent&#x017F;tanden war, nicht mehr zu recht. Er hatte die Zeiten der<lb/>
Erbunterthänigkeit unter die Gutsherr&#x017F;chaft und die Fronden<lb/>
durchgemacht. Als junger Men&#x017F;ch hatte er drei Jahre lang<lb/>
im Zwangsge&#x017F;indedien&#x017F;t auf dem Gutshofe ge&#x017F;charwerkt. Später<lb/>
waren von ihm die fälligen Spanndien&#x017F;te für die Herr&#x017F;chaft<lb/>
abgelei&#x017F;tet worden. Er lebte ganz und gar in den An&#x017F;chauungen<lb/>
der Hörigkeit. Der Hofedien&#x017F;t ging allem anderen voraus.<lb/>
Der Graf, &#x017F;ein gnädiger Herr, konnte ihm &#x017F;ein Gut weg¬<lb/>
nehmen, wenn er wollte, und einen anderen an &#x017F;eine Stelle<lb/>
&#x017F;etzen, wie es ihm gerade paßte. Der Herr hatte die ober&#x017F;te<lb/>
Polizei und Strafgewalt und verfügte über Leib und Ver¬<lb/>
mögen &#x017F;eines Unterthanen.</p><lb/>
          <p>Das wurde nun mit einemmale alles anders. Der Bauer<lb/>
&#x017F;ollte fortan ein freier Herr &#x017F;ein, auf eigenem Grund und<lb/>
Boden. Dabei fiel mit den Pflichten auch der Schutz weg.<lb/>
den die Gutsherr&#x017F;chaft den Unterthanen gewährt hatte. Viele<lb/>
Leute, be&#x017F;onders die alten, in der Erbunterthänigkeit groß<lb/>
gewordenen, konnten &#x017F;ich in die&#x017F;e Änderung der Dinge nicht<lb/>
finden. Sie hatten gar kein Bedürfnis nach Freiheit empfunden.<lb/>
Seit Men&#x017F;chengedenken hatten ihre Familien Hofedien&#x017F;te ge¬<lb/>
than, hatten unter Obhut und Leitung des Edelmannes ihr<lb/>
Leben zugebracht; Selb&#x017F;tändigkeit und Freiheit waren für &#x017F;ie<lb/>
Worte ohne Sinn. Sie wollten es nicht anders haben, als<lb/>
ihre Väter es gehabt. Der Gutsherr hatte ihre Kräfte benutzt,<lb/>
hatte &#x017F;ie vielleicht über Gebühr ange&#x017F;trengt, aber er hatte auch<lb/>
für &#x017F;ie gedacht, und &#x017F;ie in &#x017F;chlimmen Zeiten ge&#x017F;chützt. Das<lb/>
gebot ihm das eigen&#x017F;te Intere&#x017F;&#x017F;e; &#x017F;ie gehörten ihm ja, waren<lb/>
&#x017F;eine Leute, ohn deren kräftige Hände &#x017F;ein Be&#x017F;itz wertlos war.<lb/>
Nun &#x017F;ollten &#x017F;ie auf einmal für &#x017F;ich &#x017F;elber denken und &#x017F;orgen.<lb/>
Sie &#x017F;tanden auf eigene Füße ge&#x017F;tellt, verantwortlich für ihre<lb/>
Thaten. Gar manchen frö&#x017F;telte da in der neuge&#x017F;chenkten<lb/>
Freiheit, und er wün&#x017F;chte &#x017F;ich in das Joch der Hörigkeit<lb/>
zurück.</p><lb/>
          <p>So ging es auch dem alten Büttner. Schwere Zeiten<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[154/0168] neuen Ordnung der Dinge, welche durch die Bauernbefreiung und die Gemeinheitsteilung in den bäuerlichen Verhältniſſen entſtanden war, nicht mehr zu recht. Er hatte die Zeiten der Erbunterthänigkeit unter die Gutsherrſchaft und die Fronden durchgemacht. Als junger Menſch hatte er drei Jahre lang im Zwangsgeſindedienſt auf dem Gutshofe geſcharwerkt. Später waren von ihm die fälligen Spanndienſte für die Herrſchaft abgeleiſtet worden. Er lebte ganz und gar in den Anſchauungen der Hörigkeit. Der Hofedienſt ging allem anderen voraus. Der Graf, ſein gnädiger Herr, konnte ihm ſein Gut weg¬ nehmen, wenn er wollte, und einen anderen an ſeine Stelle ſetzen, wie es ihm gerade paßte. Der Herr hatte die oberſte Polizei und Strafgewalt und verfügte über Leib und Ver¬ mögen ſeines Unterthanen. Das wurde nun mit einemmale alles anders. Der Bauer ſollte fortan ein freier Herr ſein, auf eigenem Grund und Boden. Dabei fiel mit den Pflichten auch der Schutz weg. den die Gutsherrſchaft den Unterthanen gewährt hatte. Viele Leute, beſonders die alten, in der Erbunterthänigkeit groß gewordenen, konnten ſich in dieſe Änderung der Dinge nicht finden. Sie hatten gar kein Bedürfnis nach Freiheit empfunden. Seit Menſchengedenken hatten ihre Familien Hofedienſte ge¬ than, hatten unter Obhut und Leitung des Edelmannes ihr Leben zugebracht; Selbſtändigkeit und Freiheit waren für ſie Worte ohne Sinn. Sie wollten es nicht anders haben, als ihre Väter es gehabt. Der Gutsherr hatte ihre Kräfte benutzt, hatte ſie vielleicht über Gebühr angeſtrengt, aber er hatte auch für ſie gedacht, und ſie in ſchlimmen Zeiten geſchützt. Das gebot ihm das eigenſte Intereſſe; ſie gehörten ihm ja, waren ſeine Leute, ohn deren kräftige Hände ſein Beſitz wertlos war. Nun ſollten ſie auf einmal für ſich ſelber denken und ſorgen. Sie ſtanden auf eigene Füße geſtellt, verantwortlich für ihre Thaten. Gar manchen fröſtelte da in der neugeſchenkten Freiheit, und er wünſchte ſich in das Joch der Hörigkeit zurück. So ging es auch dem alten Büttner. Schwere Zeiten

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/polenz_buettnerbauer_1895
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/polenz_buettnerbauer_1895/168
Zitationshilfe: Polenz, Wilhelm von: Der Büttnerbauer. Berlin, 1895, S. 154. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/polenz_buettnerbauer_1895/168>, abgerufen am 05.05.2024.