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Polenz, Wilhelm von: Der Büttnerbauer. Berlin, 1895.

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Der Büttnerbauer wußte von der Geschichte und Ent¬
wickelung seines Standes nichts. Kenntnis und Interesse für
das Vergangene sind gering beim Bauern; auch hat er
wenig Standesbewußtsein, keinen Zusammenhalt mit Seines¬
gleichen. Ihn kümmern nur die Nöte und Bedürfnisse, die
ihm gerade im Augenblicke auf den Nägeln brennen. Er weiß
von der Welt und ihrem Gange meist nur das notdürftige,
was er in der Schule erlernt, was er selbst erlebt und er¬
fahren hat, und zur Not das Wenige von der Vergangenheit,
was ihm die Eltern mitgeteilt haben.

Traugott Büttner hatte nur ein dumpfes Gefühl, eine
dunkle Ahnung, daß ihm großes Unrecht widerfahre. Aber,
wer wußte denn zu sagen: wie und von wem! Wen sollte
er anklagen? Das war ja gerade das Unheimliche, daß es
eine Erklärung nicht gab. Das Verderben war gekommen
über Nacht, er wußte nicht von wannen. Menschen hatten
Rechte über ihn und sein Eigentum gewonnen, Fremde, die
ihm vor zwei Jahren noch nicht einmal dem Namen nach
bekannt waren. Er hatte diesen Leuten nichts Böses ange¬
than, nur ihre Hülfe, die sie ihm aufgenötigt hatten, in An¬
spruch genommen. Und daraus waren, durch Vorgänge und
Wendungen, die er nicht verstand, Rechte erwachsen, durch
die er diesen Menschen hülflos in die Hände gegeben war.
Er mochte sich den Kopf zermartern, er konnte das Ganze nicht
begreifen.

Eines blieb als Untergrund aller seiner Gedanken und
Gefühle: ein dumpfer schwelender Ingrimm. Ihm war un¬
sagbares Unrecht geschehen. Sein Mund verstummte; hätte
er ihn aufgethan, es wäre eine Klage erschollen, die kein
Richter dieser Welt angenommen hätte.

Ende des zweiten Buches.

Der Büttnerbauer wußte von der Geſchichte und Ent¬
wickelung ſeines Standes nichts. Kenntnis und Intereſſe für
das Vergangene ſind gering beim Bauern; auch hat er
wenig Standesbewußtſein, keinen Zuſammenhalt mit Seines¬
gleichen. Ihn kümmern nur die Nöte und Bedürfniſſe, die
ihm gerade im Augenblicke auf den Nägeln brennen. Er weiß
von der Welt und ihrem Gange meiſt nur das notdürftige,
was er in der Schule erlernt, was er ſelbſt erlebt und er¬
fahren hat, und zur Not das Wenige von der Vergangenheit,
was ihm die Eltern mitgeteilt haben.

Traugott Büttner hatte nur ein dumpfes Gefühl, eine
dunkle Ahnung, daß ihm großes Unrecht widerfahre. Aber,
wer wußte denn zu ſagen: wie und von wem! Wen ſollte
er anklagen? Das war ja gerade das Unheimliche, daß es
eine Erklärung nicht gab. Das Verderben war gekommen
über Nacht, er wußte nicht von wannen. Menſchen hatten
Rechte über ihn und ſein Eigentum gewonnen, Fremde, die
ihm vor zwei Jahren noch nicht einmal dem Namen nach
bekannt waren. Er hatte dieſen Leuten nichts Böſes ange¬
than, nur ihre Hülfe, die ſie ihm aufgenötigt hatten, in An¬
ſpruch genommen. Und daraus waren, durch Vorgänge und
Wendungen, die er nicht verſtand, Rechte erwachſen, durch
die er dieſen Menſchen hülflos in die Hände gegeben war.
Er mochte ſich den Kopf zermartern, er konnte das Ganze nicht
begreifen.

Eines blieb als Untergrund aller ſeiner Gedanken und
Gefühle: ein dumpfer ſchwelender Ingrimm. Ihm war un¬
ſagbares Unrecht geſchehen. Sein Mund verſtummte; hätte
er ihn aufgethan, es wäre eine Klage erſchollen, die kein
Richter dieſer Welt angenommen hätte.

Ende des zweiten Buches.

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[279/0293] Der Büttnerbauer wußte von der Geſchichte und Ent¬ wickelung ſeines Standes nichts. Kenntnis und Intereſſe für das Vergangene ſind gering beim Bauern; auch hat er wenig Standesbewußtſein, keinen Zuſammenhalt mit Seines¬ gleichen. Ihn kümmern nur die Nöte und Bedürfniſſe, die ihm gerade im Augenblicke auf den Nägeln brennen. Er weiß von der Welt und ihrem Gange meiſt nur das notdürftige, was er in der Schule erlernt, was er ſelbſt erlebt und er¬ fahren hat, und zur Not das Wenige von der Vergangenheit, was ihm die Eltern mitgeteilt haben. Traugott Büttner hatte nur ein dumpfes Gefühl, eine dunkle Ahnung, daß ihm großes Unrecht widerfahre. Aber, wer wußte denn zu ſagen: wie und von wem! Wen ſollte er anklagen? Das war ja gerade das Unheimliche, daß es eine Erklärung nicht gab. Das Verderben war gekommen über Nacht, er wußte nicht von wannen. Menſchen hatten Rechte über ihn und ſein Eigentum gewonnen, Fremde, die ihm vor zwei Jahren noch nicht einmal dem Namen nach bekannt waren. Er hatte dieſen Leuten nichts Böſes ange¬ than, nur ihre Hülfe, die ſie ihm aufgenötigt hatten, in An¬ ſpruch genommen. Und daraus waren, durch Vorgänge und Wendungen, die er nicht verſtand, Rechte erwachſen, durch die er dieſen Menſchen hülflos in die Hände gegeben war. Er mochte ſich den Kopf zermartern, er konnte das Ganze nicht begreifen. Eines blieb als Untergrund aller ſeiner Gedanken und Gefühle: ein dumpfer ſchwelender Ingrimm. Ihm war un¬ ſagbares Unrecht geſchehen. Sein Mund verſtummte; hätte er ihn aufgethan, es wäre eine Klage erſchollen, die kein Richter dieſer Welt angenommen hätte. Ende des zweiten Buches.

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Zitationshilfe: Polenz, Wilhelm von: Der Büttnerbauer. Berlin, 1895, S. 279. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/polenz_buettnerbauer_1895/293>, abgerufen am 21.05.2024.