Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Polenz, Wilhelm von: Der Büttnerbauer. Berlin, 1895.

Bild:
<< vorherige Seite

kind am Althergebrachten, Frommen und Ehrwürdigen fest¬
haltend, der kirchlichen Trauung doch noch ganz besondere
Wirkungen bei. Das Ehegelübde vor dem Altare, meinte sie,
mache den begangenen Fehltritt gut, beglaubige ihren Bund,
trage die Gewähr eines ganz besonderen Segens in sich. Nun
durften sie sich mit gutem Gewissen lieb haben; während der
Genuß bisher, so süß er auch gewesen, doch immer den Nach¬
geschmack eines Vorwurfs gehabt hatte.

In diesen Erwartungen schien sich die gute Seele ge¬
täuscht zu haben. Gustav war ihr fremder geworden, als
er ihr zuvor gewesen. Wann wäre es früher jemals vorgekommen,
daß er für ihre liebevolle Annäherung nur eine kurze un¬
freundliche Abfertigung gehabt hätte!

Sie weinte oft heimlich. Auch zur Nachtzeit, wenn er
mit einer, selbst noch im Schlafe düster verdrossenen Miene, in
seinem Bette lag. Zu wecken wagte sie ihn nicht. Durch
ihren Kummer wäre sie ihm nur lästig gefallen. Er war ja
selbst nicht glücklich. Daß er so häßlich gegen sie war, kam
nur davon her, daß er so viel Sorgen hatte. Ihm zu Liebe
wollte sie ja alles ertragen, selbst die Entfremdung von ihm.

Pauline verschloß ihren Kummer ganz in sich, versteckte
ihre Thränen vor ihm und war darauf bedacht, ihm nur ein
lächelndes Angesicht zu zeigen. Aber er, in jenem Egoismus,
den die Vielgeschäftigkeit und Arbeitsüberbürdung groß zieht, sah
weder ihr Lächeln noch die Thränen, die darunter verborgen
waren.

Sie sorgte dafür, daß er alles so gut finden möchte, wie
sie es herzurichten im stande war: das Bett, die Kleider, das
Essen. All ihre große zurückgewiesene Frauenliebe wandte sie,
in Ermangelung eines besseren, den Dingen zu, die ihn umgaben.

So vergingen die ersten Wochen in der Fremde.

Eines Tages gab es eine unangenehme Überraschung für
den Aufseher: Rogalla, der Pole, war verschwunden. Seinen
Arbeitsgenossen fehlten verschiedene Kleidungsstücke, und Häschke
machte die Entdeckung, daß seine Vorratskammer um eine
Wurst und zwei Speckseiten ärmer war.

19*

kind am Althergebrachten, Frommen und Ehrwürdigen feſt¬
haltend, der kirchlichen Trauung doch noch ganz beſondere
Wirkungen bei. Das Ehegelübde vor dem Altare, meinte ſie,
mache den begangenen Fehltritt gut, beglaubige ihren Bund,
trage die Gewähr eines ganz beſonderen Segens in ſich. Nun
durften ſie ſich mit gutem Gewiſſen lieb haben; während der
Genuß bisher, ſo ſüß er auch geweſen, doch immer den Nach¬
geſchmack eines Vorwurfs gehabt hatte.

In dieſen Erwartungen ſchien ſich die gute Seele ge¬
täuſcht zu haben. Guſtav war ihr fremder geworden, als
er ihr zuvor geweſen. Wann wäre es früher jemals vorgekommen,
daß er für ihre liebevolle Annäherung nur eine kurze un¬
freundliche Abfertigung gehabt hätte!

Sie weinte oft heimlich. Auch zur Nachtzeit, wenn er
mit einer, ſelbſt noch im Schlafe düſter verdroſſenen Miene, in
ſeinem Bette lag. Zu wecken wagte ſie ihn nicht. Durch
ihren Kummer wäre ſie ihm nur läſtig gefallen. Er war ja
ſelbſt nicht glücklich. Daß er ſo häßlich gegen ſie war, kam
nur davon her, daß er ſo viel Sorgen hatte. Ihm zu Liebe
wollte ſie ja alles ertragen, ſelbſt die Entfremdung von ihm.

Pauline verſchloß ihren Kummer ganz in ſich, verſteckte
ihre Thränen vor ihm und war darauf bedacht, ihm nur ein
lächelndes Angeſicht zu zeigen. Aber er, in jenem Egoismus,
den die Vielgeſchäftigkeit und Arbeitsüberbürdung groß zieht, ſah
weder ihr Lächeln noch die Thränen, die darunter verborgen
waren.

Sie ſorgte dafür, daß er alles ſo gut finden möchte, wie
ſie es herzurichten im ſtande war: das Bett, die Kleider, das
Eſſen. All ihre große zurückgewieſene Frauenliebe wandte ſie,
in Ermangelung eines beſſeren, den Dingen zu, die ihn umgaben.

So vergingen die erſten Wochen in der Fremde.

Eines Tages gab es eine unangenehme Überraſchung für
den Aufſeher: Rogalla, der Pole, war verſchwunden. Seinen
Arbeitsgenoſſen fehlten verſchiedene Kleidungsſtücke, und Häſchke
machte die Entdeckung, daß ſeine Vorratskammer um eine
Wurſt und zwei Speckſeiten ärmer war.

19*
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0305" n="291"/>
kind am Althergebrachten, Frommen und Ehrwürdigen fe&#x017F;<lb/>
haltend, der kirchlichen Trauung doch noch ganz be&#x017F;ondere<lb/>
Wirkungen bei. Das Ehegelübde vor dem Altare, meinte &#x017F;ie,<lb/>
mache den begangenen Fehltritt gut, beglaubige ihren Bund,<lb/>
trage die Gewähr eines ganz be&#x017F;onderen Segens in &#x017F;ich. Nun<lb/>
durften &#x017F;ie &#x017F;ich mit gutem Gewi&#x017F;&#x017F;en lieb haben; während der<lb/>
Genuß bisher, &#x017F;o &#x017F;üß er auch gewe&#x017F;en, doch immer den Nach¬<lb/>
ge&#x017F;chmack eines Vorwurfs gehabt hatte.</p><lb/>
        <p>In die&#x017F;en Erwartungen &#x017F;chien &#x017F;ich die gute Seele ge¬<lb/>
täu&#x017F;cht zu haben. Gu&#x017F;tav war ihr fremder geworden, als<lb/>
er ihr zuvor gewe&#x017F;en. Wann wäre es früher jemals vorgekommen,<lb/>
daß er für ihre liebevolle Annäherung nur eine kurze un¬<lb/>
freundliche Abfertigung gehabt hätte!</p><lb/>
        <p>Sie weinte oft heimlich. Auch zur Nachtzeit, wenn er<lb/>
mit einer, &#x017F;elb&#x017F;t noch im Schlafe dü&#x017F;ter verdro&#x017F;&#x017F;enen Miene, in<lb/>
&#x017F;einem Bette lag. Zu wecken wagte &#x017F;ie ihn nicht. Durch<lb/>
ihren Kummer wäre &#x017F;ie ihm nur lä&#x017F;tig gefallen. Er war ja<lb/>
&#x017F;elb&#x017F;t nicht glücklich. Daß er &#x017F;o häßlich gegen &#x017F;ie war, kam<lb/>
nur davon her, daß er &#x017F;o viel Sorgen hatte. Ihm zu Liebe<lb/>
wollte &#x017F;ie ja alles ertragen, &#x017F;elb&#x017F;t die Entfremdung von ihm.</p><lb/>
        <p>Pauline ver&#x017F;chloß ihren Kummer ganz in &#x017F;ich, ver&#x017F;teckte<lb/>
ihre Thränen vor ihm und war darauf bedacht, ihm nur ein<lb/>
lächelndes Ange&#x017F;icht zu zeigen. Aber er, in jenem Egoismus,<lb/>
den die Vielge&#x017F;chäftigkeit und Arbeitsüberbürdung groß zieht, &#x017F;ah<lb/>
weder ihr Lächeln noch die Thränen, die darunter verborgen<lb/>
waren.</p><lb/>
        <p>Sie &#x017F;orgte dafür, daß er alles &#x017F;o gut finden möchte, wie<lb/>
&#x017F;ie es herzurichten im &#x017F;tande war: das Bett, die Kleider, das<lb/>
E&#x017F;&#x017F;en. All ihre große zurückgewie&#x017F;ene Frauenliebe wandte &#x017F;ie,<lb/>
in Ermangelung eines be&#x017F;&#x017F;eren, den Dingen zu, die ihn umgaben.</p><lb/>
        <p>So vergingen die er&#x017F;ten Wochen in der Fremde.</p><lb/>
        <p>Eines Tages gab es eine unangenehme Überra&#x017F;chung für<lb/>
den Auf&#x017F;eher: Rogalla, der Pole, war ver&#x017F;chwunden. Seinen<lb/>
Arbeitsgeno&#x017F;&#x017F;en fehlten ver&#x017F;chiedene Kleidungs&#x017F;tücke, und Hä&#x017F;chke<lb/>
machte die Entdeckung, daß &#x017F;eine Vorratskammer um eine<lb/>
Wur&#x017F;t und zwei Speck&#x017F;eiten ärmer war.</p><lb/>
        <fw place="bottom" type="sig">19*<lb/></fw>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[291/0305] kind am Althergebrachten, Frommen und Ehrwürdigen feſt¬ haltend, der kirchlichen Trauung doch noch ganz beſondere Wirkungen bei. Das Ehegelübde vor dem Altare, meinte ſie, mache den begangenen Fehltritt gut, beglaubige ihren Bund, trage die Gewähr eines ganz beſonderen Segens in ſich. Nun durften ſie ſich mit gutem Gewiſſen lieb haben; während der Genuß bisher, ſo ſüß er auch geweſen, doch immer den Nach¬ geſchmack eines Vorwurfs gehabt hatte. In dieſen Erwartungen ſchien ſich die gute Seele ge¬ täuſcht zu haben. Guſtav war ihr fremder geworden, als er ihr zuvor geweſen. Wann wäre es früher jemals vorgekommen, daß er für ihre liebevolle Annäherung nur eine kurze un¬ freundliche Abfertigung gehabt hätte! Sie weinte oft heimlich. Auch zur Nachtzeit, wenn er mit einer, ſelbſt noch im Schlafe düſter verdroſſenen Miene, in ſeinem Bette lag. Zu wecken wagte ſie ihn nicht. Durch ihren Kummer wäre ſie ihm nur läſtig gefallen. Er war ja ſelbſt nicht glücklich. Daß er ſo häßlich gegen ſie war, kam nur davon her, daß er ſo viel Sorgen hatte. Ihm zu Liebe wollte ſie ja alles ertragen, ſelbſt die Entfremdung von ihm. Pauline verſchloß ihren Kummer ganz in ſich, verſteckte ihre Thränen vor ihm und war darauf bedacht, ihm nur ein lächelndes Angeſicht zu zeigen. Aber er, in jenem Egoismus, den die Vielgeſchäftigkeit und Arbeitsüberbürdung groß zieht, ſah weder ihr Lächeln noch die Thränen, die darunter verborgen waren. Sie ſorgte dafür, daß er alles ſo gut finden möchte, wie ſie es herzurichten im ſtande war: das Bett, die Kleider, das Eſſen. All ihre große zurückgewieſene Frauenliebe wandte ſie, in Ermangelung eines beſſeren, den Dingen zu, die ihn umgaben. So vergingen die erſten Wochen in der Fremde. Eines Tages gab es eine unangenehme Überraſchung für den Aufſeher: Rogalla, der Pole, war verſchwunden. Seinen Arbeitsgenoſſen fehlten verſchiedene Kleidungsſtücke, und Häſchke machte die Entdeckung, daß ſeine Vorratskammer um eine Wurſt und zwei Speckſeiten ärmer war. 19*

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/polenz_buettnerbauer_1895
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/polenz_buettnerbauer_1895/305
Zitationshilfe: Polenz, Wilhelm von: Der Büttnerbauer. Berlin, 1895, S. 291. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/polenz_buettnerbauer_1895/305>, abgerufen am 22.05.2024.