Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Polenz, Wilhelm von: Der Büttnerbauer. Berlin, 1895.

Bild:
<< vorherige Seite

Arbeitstag laufe von fünf Uhr früh bis sieben Uhr Abends.
Ungebeten würden sie nicht eine Minute länger arbeiten, als
sie es nötig hätten.

Gustav war in übler Lage. Er konnte Häschke nicht wider¬
legen, und wiederum durfte er, als Aufseher, eine Auflehnung
gegen die Brotherrschaft nicht dulden. Was aus alledem ent¬
stehen konnte, war nicht abzusehen. Schwerer denn je drückte
die Verantwortung, die er für soviele Köpfe übernommen, auf
ihn. Er versprach schließlich, die Wünsche der Leute dem In¬
spektor vortragen zu wollen. Dadurch beruhigten sich die er¬
regten Gemüter etwas.

Während der Mittagspause ging er auf's Vorwerk, zum
Inspektor. Der Beamte riß erstaunte Auge auf, als er den
Aufseher zu ungewohnter Zeit bei sich eintreten sah. Als er
vernommen hatte, um was es sich handle, geriet er in ma߬
lose Wut.

"Was! Ihr wollt Forderungen stellen? Das ist Betrügerei!
Was steht im Kontrakte? Ich kann Euch allezusammen ent¬
lassen -- ohne weiteres! Überstunden! Nicht einen Pfennig
zahle ich mehr. Wer Morgen früh nicht Punkt vier Uhr auf
dem Posten ist, dem ziehe ich drei Mark ab. Rasselbande!
Mit Euch wird man wohl noch fertig werden! --"

Gustav hörte sich das Schimpfen des erbosten Menschen
nicht bis zum Ende an, machte kurz Kehrt und verließ das
Zimmer.

Gustav war Anfangs im Zweifel gewesen, ob die Forde¬
rungen, welche er im Namen seiner Leute gestellt, auch wirklich
berechtigt seien; nunmehr war er fest entschlossen, der Über¬
hebung des Beamten seinen Trotz entgegenzusetzen. Als er
zu den Arbeitern zurückkehrte und ihnen brühwarm berichtete,
wie er behandelt worden sei, brach das Gefühl langverhaltener
Erbitterung bei allen durch. Häschke sprach die Ansicht der
Mehrzahl aus, als er erklärte, daß die gebührende Antwort
hierauf nur Niederlegen der Arbeit sein könne.

Obgleich Gustav die ihm und seinen Leuten widerfahrene
Ungerechtigkeit tief empfand, erschien ihm der Gedanke einer

W. v. Polenz, Der Büttnerbauer. 20

Arbeitstag laufe von fünf Uhr früh bis ſieben Uhr Abends.
Ungebeten würden ſie nicht eine Minute länger arbeiten, als
ſie es nötig hätten.

Guſtav war in übler Lage. Er konnte Häſchke nicht wider¬
legen, und wiederum durfte er, als Aufſeher, eine Auflehnung
gegen die Brotherrſchaft nicht dulden. Was aus alledem ent¬
ſtehen konnte, war nicht abzuſehen. Schwerer denn je drückte
die Verantwortung, die er für ſoviele Köpfe übernommen, auf
ihn. Er verſprach ſchließlich, die Wünſche der Leute dem In¬
ſpektor vortragen zu wollen. Dadurch beruhigten ſich die er¬
regten Gemüter etwas.

Während der Mittagspauſe ging er auf's Vorwerk, zum
Inſpektor. Der Beamte riß erſtaunte Auge auf, als er den
Aufſeher zu ungewohnter Zeit bei ſich eintreten ſah. Als er
vernommen hatte, um was es ſich handle, geriet er in ma߬
loſe Wut.

„Was! Ihr wollt Forderungen ſtellen? Das iſt Betrügerei!
Was ſteht im Kontrakte? Ich kann Euch allezuſammen ent¬
laſſen — ohne weiteres! Überſtunden! Nicht einen Pfennig
zahle ich mehr. Wer Morgen früh nicht Punkt vier Uhr auf
dem Poſten iſt, dem ziehe ich drei Mark ab. Raſſelbande!
Mit Euch wird man wohl noch fertig werden! —“

Guſtav hörte ſich das Schimpfen des erboſten Menſchen
nicht bis zum Ende an, machte kurz Kehrt und verließ das
Zimmer.

Guſtav war Anfangs im Zweifel geweſen, ob die Forde¬
rungen, welche er im Namen ſeiner Leute geſtellt, auch wirklich
berechtigt ſeien; nunmehr war er feſt entſchloſſen, der Über¬
hebung des Beamten ſeinen Trotz entgegenzuſetzen. Als er
zu den Arbeitern zurückkehrte und ihnen brühwarm berichtete,
wie er behandelt worden ſei, brach das Gefühl langverhaltener
Erbitterung bei allen durch. Häſchke ſprach die Anſicht der
Mehrzahl aus, als er erklärte, daß die gebührende Antwort
hierauf nur Niederlegen der Arbeit ſein könne.

Obgleich Guſtav die ihm und ſeinen Leuten widerfahrene
Ungerechtigkeit tief empfand, erſchien ihm der Gedanke einer

W. v. Polenz, Der Büttnerbauer. 20
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0319" n="305"/>
Arbeitstag laufe von fünf Uhr früh bis &#x017F;ieben Uhr Abends.<lb/>
Ungebeten würden &#x017F;ie nicht eine Minute länger arbeiten, als<lb/>
&#x017F;ie es nötig hätten.</p><lb/>
          <p>Gu&#x017F;tav war in übler Lage. Er konnte Hä&#x017F;chke nicht wider¬<lb/>
legen, und wiederum durfte er, als Auf&#x017F;eher, eine Auflehnung<lb/>
gegen die Brotherr&#x017F;chaft nicht dulden. Was aus alledem ent¬<lb/>
&#x017F;tehen konnte, war nicht abzu&#x017F;ehen. Schwerer denn je drückte<lb/>
die Verantwortung, die er für &#x017F;oviele Köpfe übernommen, auf<lb/>
ihn. Er ver&#x017F;prach &#x017F;chließlich, die Wün&#x017F;che der Leute dem In¬<lb/>
&#x017F;pektor vortragen zu wollen. Dadurch beruhigten &#x017F;ich die er¬<lb/>
regten Gemüter etwas.</p><lb/>
          <p>Während der Mittagspau&#x017F;e ging er auf's Vorwerk, zum<lb/>
In&#x017F;pektor. Der Beamte riß er&#x017F;taunte Auge auf, als er den<lb/>
Auf&#x017F;eher zu ungewohnter Zeit bei &#x017F;ich eintreten &#x017F;ah. Als er<lb/>
vernommen hatte, um was es &#x017F;ich handle, geriet er in ma߬<lb/>
lo&#x017F;e Wut.</p><lb/>
          <p>&#x201E;Was! Ihr wollt Forderungen &#x017F;tellen? Das i&#x017F;t Betrügerei!<lb/>
Was &#x017F;teht im Kontrakte? Ich kann Euch allezu&#x017F;ammen ent¬<lb/>
la&#x017F;&#x017F;en &#x2014; ohne weiteres! Über&#x017F;tunden! Nicht einen Pfennig<lb/>
zahle ich mehr. Wer Morgen früh nicht Punkt vier Uhr auf<lb/>
dem Po&#x017F;ten i&#x017F;t, dem ziehe ich drei Mark ab. Ra&#x017F;&#x017F;elbande!<lb/>
Mit Euch wird man wohl noch fertig werden! &#x2014;&#x201C;</p><lb/>
          <p>Gu&#x017F;tav hörte &#x017F;ich das Schimpfen des erbo&#x017F;ten Men&#x017F;chen<lb/>
nicht bis zum Ende an, machte kurz Kehrt und verließ das<lb/>
Zimmer.</p><lb/>
          <p>Gu&#x017F;tav war Anfangs im Zweifel gewe&#x017F;en, ob die Forde¬<lb/>
rungen, welche er im Namen &#x017F;einer Leute ge&#x017F;tellt, auch wirklich<lb/>
berechtigt &#x017F;eien; nunmehr war er fe&#x017F;t ent&#x017F;chlo&#x017F;&#x017F;en, der Über¬<lb/>
hebung des Beamten &#x017F;einen Trotz entgegenzu&#x017F;etzen. Als er<lb/>
zu den Arbeitern zurückkehrte und ihnen brühwarm berichtete,<lb/>
wie er behandelt worden &#x017F;ei, brach das Gefühl langverhaltener<lb/>
Erbitterung bei allen durch. Hä&#x017F;chke &#x017F;prach die An&#x017F;icht der<lb/>
Mehrzahl aus, als er erklärte, daß die gebührende Antwort<lb/>
hierauf nur Niederlegen der Arbeit &#x017F;ein könne.</p><lb/>
          <p>Obgleich Gu&#x017F;tav die ihm und &#x017F;einen Leuten widerfahrene<lb/>
Ungerechtigkeit tief empfand, er&#x017F;chien ihm der Gedanke einer<lb/>
<fw place="bottom" type="sig"><hi rendition="#g">W</hi>. <hi rendition="#g">v</hi>. <hi rendition="#g">Polenz</hi>, Der Büttnerbauer. 20<lb/></fw>
</p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[305/0319] Arbeitstag laufe von fünf Uhr früh bis ſieben Uhr Abends. Ungebeten würden ſie nicht eine Minute länger arbeiten, als ſie es nötig hätten. Guſtav war in übler Lage. Er konnte Häſchke nicht wider¬ legen, und wiederum durfte er, als Aufſeher, eine Auflehnung gegen die Brotherrſchaft nicht dulden. Was aus alledem ent¬ ſtehen konnte, war nicht abzuſehen. Schwerer denn je drückte die Verantwortung, die er für ſoviele Köpfe übernommen, auf ihn. Er verſprach ſchließlich, die Wünſche der Leute dem In¬ ſpektor vortragen zu wollen. Dadurch beruhigten ſich die er¬ regten Gemüter etwas. Während der Mittagspauſe ging er auf's Vorwerk, zum Inſpektor. Der Beamte riß erſtaunte Auge auf, als er den Aufſeher zu ungewohnter Zeit bei ſich eintreten ſah. Als er vernommen hatte, um was es ſich handle, geriet er in ma߬ loſe Wut. „Was! Ihr wollt Forderungen ſtellen? Das iſt Betrügerei! Was ſteht im Kontrakte? Ich kann Euch allezuſammen ent¬ laſſen — ohne weiteres! Überſtunden! Nicht einen Pfennig zahle ich mehr. Wer Morgen früh nicht Punkt vier Uhr auf dem Poſten iſt, dem ziehe ich drei Mark ab. Raſſelbande! Mit Euch wird man wohl noch fertig werden! —“ Guſtav hörte ſich das Schimpfen des erboſten Menſchen nicht bis zum Ende an, machte kurz Kehrt und verließ das Zimmer. Guſtav war Anfangs im Zweifel geweſen, ob die Forde¬ rungen, welche er im Namen ſeiner Leute geſtellt, auch wirklich berechtigt ſeien; nunmehr war er feſt entſchloſſen, der Über¬ hebung des Beamten ſeinen Trotz entgegenzuſetzen. Als er zu den Arbeitern zurückkehrte und ihnen brühwarm berichtete, wie er behandelt worden ſei, brach das Gefühl langverhaltener Erbitterung bei allen durch. Häſchke ſprach die Anſicht der Mehrzahl aus, als er erklärte, daß die gebührende Antwort hierauf nur Niederlegen der Arbeit ſein könne. Obgleich Guſtav die ihm und ſeinen Leuten widerfahrene Ungerechtigkeit tief empfand, erſchien ihm der Gedanke einer W. v. Polenz, Der Büttnerbauer. 20

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/polenz_buettnerbauer_1895
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/polenz_buettnerbauer_1895/319
Zitationshilfe: Polenz, Wilhelm von: Der Büttnerbauer. Berlin, 1895, S. 305. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/polenz_buettnerbauer_1895/319>, abgerufen am 22.05.2024.