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Polenz, Wilhelm von: Der Büttnerbauer. Berlin, 1895.

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Nur Ruhe! Er kam noch zeitig genug! Er warf einen Blick
auf das Dorf, das man von hier aus in seiner ganzen Länge
übersehen konnte, bis zur Kirche hinab. Eben begannen sie
dort zu läuten; es war wohl zum zweiten Gottesdienste.
Büttner nahm unwillkürlich die Mütze vom Kopfe, faltete die
Hände, betete ein Vaterunser. Dann seufzte er tief und wandte
sich wieder zum Gehen.

Ob sie ihm wohl ein christliches Begräbnis gestatten würden?

Daß er als Christ gestorben und nicht wie ein Heiden¬
mensch, das mußten sie doch einsehen! Die ganze Gemeinde
und der Pastor hatten ihn ja in der Kirche und am Altar
gesehen. Das mußte doch gelten!

Es war ja am Ende nicht recht in den Augen der
Menschen, was er that, und eine Sünde vor Gott dem Herrn
war es auch. Aber, konnte er denn anders? Tausendmal
hatte er's erwogen. Wie viele schlaflose Nächte waren darüber
hingegangen seit jener, wo ihm der Gedanke zum ersten Male
gekommen! Es war damals gewesen, als seine Frau unbe¬
erdigt im Hause lag. Er selbst hatte die Tote gewaschen und
angekleidet. Still hatte sie dagelegen und zufrieden, im Leichen¬
hemde. Da war ihm beim Anblicke des friedlichen Angesichts
seiner Lebensgefährtin zum ersten Male der Gedanke gekom¬
men, wie viel besser es doch die Toten hätten, als die Lebenden.
Gar nicht schrecklich war der Tod; er hatte etwas so Natür¬
liches und Gutes. Seitdem ließ ihn die geheime Sehnsucht
nach der Ruhe nicht wieder los.

Anfangs hatte ihn oft gegraust bei dem Gedanken, wie
doch ein solches Ende wider Natur und Sitte sei. Er
scheute vor der Ausführung zurück. Allmählich aber hatte
er sich an die Vorstellung des Grauenhaften so gewöhnt,
daß seine Pulse kaum schneller gingen, so oft er daran
dachte.

Es gab ja keinen anderen Weg! Sie hatten ihm alles
zerstört, was den Menschen an's Leben fesselt. Richtig hinaus¬
gedrängt war er worden ans seinem Hause, aus seinem Besitz,
aus allen seinen Rechten. Den Boden hatten sie ihm unter

Nur Ruhe! Er kam noch zeitig genug! Er warf einen Blick
auf das Dorf, das man von hier aus in ſeiner ganzen Länge
überſehen konnte, bis zur Kirche hinab. Eben begannen ſie
dort zu läuten; es war wohl zum zweiten Gottesdienſte.
Büttner nahm unwillkürlich die Mütze vom Kopfe, faltete die
Hände, betete ein Vaterunſer. Dann ſeufzte er tief und wandte
ſich wieder zum Gehen.

Ob ſie ihm wohl ein chriſtliches Begräbnis geſtatten würden?

Daß er als Chriſt geſtorben und nicht wie ein Heiden¬
menſch, das mußten ſie doch einſehen! Die ganze Gemeinde
und der Paſtor hatten ihn ja in der Kirche und am Altar
geſehen. Das mußte doch gelten!

Es war ja am Ende nicht recht in den Augen der
Menſchen, was er that, und eine Sünde vor Gott dem Herrn
war es auch. Aber, konnte er denn anders? Tauſendmal
hatte er's erwogen. Wie viele ſchlafloſe Nächte waren darüber
hingegangen ſeit jener, wo ihm der Gedanke zum erſten Male
gekommen! Es war damals geweſen, als ſeine Frau unbe¬
erdigt im Hauſe lag. Er ſelbſt hatte die Tote gewaſchen und
angekleidet. Still hatte ſie dagelegen und zufrieden, im Leichen¬
hemde. Da war ihm beim Anblicke des friedlichen Angeſichts
ſeiner Lebensgefährtin zum erſten Male der Gedanke gekom¬
men, wie viel beſſer es doch die Toten hätten, als die Lebenden.
Gar nicht ſchrecklich war der Tod; er hatte etwas ſo Natür¬
liches und Gutes. Seitdem ließ ihn die geheime Sehnſucht
nach der Ruhe nicht wieder los.

Anfangs hatte ihn oft gegrauſt bei dem Gedanken, wie
doch ein ſolches Ende wider Natur und Sitte ſei. Er
ſcheute vor der Ausführung zurück. Allmählich aber hatte
er ſich an die Vorſtellung des Grauenhaften ſo gewöhnt,
daß ſeine Pulſe kaum ſchneller gingen, ſo oft er daran
dachte.

Es gab ja keinen anderen Weg! Sie hatten ihm alles
zerſtört, was den Menſchen an's Leben feſſelt. Richtig hinaus¬
gedrängt war er worden ans ſeinem Hauſe, aus ſeinem Beſitz,
aus allen ſeinen Rechten. Den Boden hatten ſie ihm unter

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[423/0437] Nur Ruhe! Er kam noch zeitig genug! Er warf einen Blick auf das Dorf, das man von hier aus in ſeiner ganzen Länge überſehen konnte, bis zur Kirche hinab. Eben begannen ſie dort zu läuten; es war wohl zum zweiten Gottesdienſte. Büttner nahm unwillkürlich die Mütze vom Kopfe, faltete die Hände, betete ein Vaterunſer. Dann ſeufzte er tief und wandte ſich wieder zum Gehen. Ob ſie ihm wohl ein chriſtliches Begräbnis geſtatten würden? Daß er als Chriſt geſtorben und nicht wie ein Heiden¬ menſch, das mußten ſie doch einſehen! Die ganze Gemeinde und der Paſtor hatten ihn ja in der Kirche und am Altar geſehen. Das mußte doch gelten! Es war ja am Ende nicht recht in den Augen der Menſchen, was er that, und eine Sünde vor Gott dem Herrn war es auch. Aber, konnte er denn anders? Tauſendmal hatte er's erwogen. Wie viele ſchlafloſe Nächte waren darüber hingegangen ſeit jener, wo ihm der Gedanke zum erſten Male gekommen! Es war damals geweſen, als ſeine Frau unbe¬ erdigt im Hauſe lag. Er ſelbſt hatte die Tote gewaſchen und angekleidet. Still hatte ſie dagelegen und zufrieden, im Leichen¬ hemde. Da war ihm beim Anblicke des friedlichen Angeſichts ſeiner Lebensgefährtin zum erſten Male der Gedanke gekom¬ men, wie viel beſſer es doch die Toten hätten, als die Lebenden. Gar nicht ſchrecklich war der Tod; er hatte etwas ſo Natür¬ liches und Gutes. Seitdem ließ ihn die geheime Sehnſucht nach der Ruhe nicht wieder los. Anfangs hatte ihn oft gegrauſt bei dem Gedanken, wie doch ein ſolches Ende wider Natur und Sitte ſei. Er ſcheute vor der Ausführung zurück. Allmählich aber hatte er ſich an die Vorſtellung des Grauenhaften ſo gewöhnt, daß ſeine Pulſe kaum ſchneller gingen, ſo oft er daran dachte. Es gab ja keinen anderen Weg! Sie hatten ihm alles zerſtört, was den Menſchen an's Leben feſſelt. Richtig hinaus¬ gedrängt war er worden ans ſeinem Hauſe, aus ſeinem Beſitz, aus allen ſeinen Rechten. Den Boden hatten ſie ihm unter

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Zitationshilfe: Polenz, Wilhelm von: Der Büttnerbauer. Berlin, 1895, S. 423. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/polenz_buettnerbauer_1895/437>, abgerufen am 29.04.2024.