Polidori, John: Der Vampyr [Übers. n. n.]. Leipzig, 1819.und Einsamkeit nicht länger ertragen, er verließ seine Wohnung und eilte von Straße zu Straße, ängstlich fliehend vor dem Bilde, welches ihn immerwährend verfolgte. Er vernachlässigte seine Kleidung und wanderte eben so am hellen Tage, wie um Mitternacht umher. Man erkannte ihn kaum. Anfangs kehrte er mit dem Abende nach Hause zurück, allein endlich legte er sich da nieder, wo ihn die Ermüdung überfallen hatte. Seine Schwester, besorgt für seine Gesundheit, stellte Leute an, die ihm folgen mußten, allein sie verloren ihn bald aus dem Gesichte, denn er floh vor jedem Verfolgenden schneller, als mancher vor - Gedanken. Indessen änderte sich mit einem Male sein Benehmen. Ergriffen von der Idee, daß er in seiner Abwesenheit alle seine Freunde mit einem Feinde allein ließ, dessen Gegenwart und Einsamkeit nicht länger ertragen, er verließ seine Wohnung und eilte von Straße zu Straße, ängstlich fliehend vor dem Bilde, welches ihn immerwährend verfolgte. Er vernachlässigte seine Kleidung und wanderte eben so am hellen Tage, wie um Mitternacht umher. Man erkannte ihn kaum. Anfangs kehrte er mit dem Abende nach Hause zurück, allein endlich legte er sich da nieder, wo ihn die Ermüdung überfallen hatte. Seine Schwester, besorgt für seine Gesundheit, stellte Leute an, die ihm folgen mußten, allein sie verloren ihn bald aus dem Gesichte, denn er floh vor jedem Verfolgenden schneller, als mancher vor – Gedanken. Indessen änderte sich mit einem Male sein Benehmen. Ergriffen von der Idee, daß er in seiner Abwesenheit alle seine Freunde mit einem Feinde allein ließ, dessen Gegenwart <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0063" n="56"/> und Einsamkeit nicht länger ertragen, er verließ seine Wohnung und eilte von Straße zu Straße, ängstlich fliehend vor dem Bilde, welches ihn immerwährend verfolgte. Er vernachlässigte seine Kleidung und wanderte eben so am hellen Tage, wie um Mitternacht umher. Man erkannte ihn kaum. Anfangs kehrte er mit dem Abende nach Hause zurück, allein endlich legte er sich da nieder, wo ihn die Ermüdung überfallen hatte. Seine Schwester, besorgt für seine Gesundheit, stellte Leute an, die ihm folgen mußten, allein sie verloren ihn bald aus dem Gesichte, denn er floh vor jedem Verfolgenden schneller, als mancher vor – Gedanken.</p> <p>Indessen änderte sich mit einem Male sein Benehmen. Ergriffen von der Idee, daß er in seiner Abwesenheit alle seine Freunde mit einem Feinde allein ließ, dessen Gegenwart </p> </div> </body> </text> </TEI> [56/0063]
und Einsamkeit nicht länger ertragen, er verließ seine Wohnung und eilte von Straße zu Straße, ängstlich fliehend vor dem Bilde, welches ihn immerwährend verfolgte. Er vernachlässigte seine Kleidung und wanderte eben so am hellen Tage, wie um Mitternacht umher. Man erkannte ihn kaum. Anfangs kehrte er mit dem Abende nach Hause zurück, allein endlich legte er sich da nieder, wo ihn die Ermüdung überfallen hatte. Seine Schwester, besorgt für seine Gesundheit, stellte Leute an, die ihm folgen mußten, allein sie verloren ihn bald aus dem Gesichte, denn er floh vor jedem Verfolgenden schneller, als mancher vor – Gedanken.
Indessen änderte sich mit einem Male sein Benehmen. Ergriffen von der Idee, daß er in seiner Abwesenheit alle seine Freunde mit einem Feinde allein ließ, dessen Gegenwart
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Zitationshilfe: | Polidori, John: Der Vampyr [Übers. n. n.]. Leipzig, 1819, S. 56. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/polidori_vampyr_1819/63>, abgerufen am 17.06.2024. |