Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

[Poppe, Johann Friedrich]: Characteristik der merkwürdigsten Asiatischen Nationen. Bd. 1. Breslau, 1776.

Bild:
<< vorherige Seite

besieht, ist das Recht Ourf weiter nichts, als
ein wohlverstandenes natürliches Recht. --
Die Vorsteher dieses Rechts, oder die höchste
Macht, sind der President des Divan, der Vi-
zir,
der Gouverneur der Stadt und desseu Lieu-
tenant, welcher des Nachts für die Ordnung
sorgen muß. Dieß Gericht mischt sich auch
oft in Sachen, die schon vor andern Gerichten
sind beygelegt worden. Und in der That, wenn
die Autorität dieses Tribunals nicht so groß
wäre; so würde man unglaubliche Ungerechtig-
keiten in Persien ausüben sehen, man würde
keine Spuren von Handel und Wandel er-
blicken.

Vor diesen beyden großen Richterstühlen
werden gemeiniglich die Sachen von Wichtig-
keit abgethan. -- Wir wollen itzt das Wich-
tigste von den Gesetzen des persischen Rechts in
den gemeinen Angelegenheiten des bürgerlichen
Lebens abhandeln.

Bey den Heyrathen gilt in Persien weder
die Gleichheit des Standes noch die Einstim-
mung der Eltern, um dieselbe gültig zu ma-
chen. So bald ein junger Mensch sein gehöri-
ges Alter erreicht; so kann er sich nach seinem
Belieben eine Frau nehmen, und wenn er sie
contractmäßig heyrathat, so wird sie seine
Frau; sie mag übrigens von einem Stande
seyn, von welchem sie will. Doch aber gesche-
hen dergleichen ungleiche Heyrathen sehr sel-
ten, weil man gemeiniglich den jungen Leuten

bey

beſieht, iſt das Recht Ourf weiter nichts, als
ein wohlverſtandenes natuͤrliches Recht. —
Die Vorſteher dieſes Rechts, oder die hoͤchſte
Macht, ſind der Preſident des Divan, der Vi-
zir,
der Gouverneur der Stadt und deſſeu Lieu-
tenant, welcher des Nachts fuͤr die Ordnung
ſorgen muß. Dieß Gericht miſcht ſich auch
oft in Sachen, die ſchon vor andern Gerichten
ſind beygelegt worden. Und in der That, wenn
die Autoritaͤt dieſes Tribunals nicht ſo groß
waͤre; ſo wuͤrde man unglaubliche Ungerechtig-
keiten in Perſien ausuͤben ſehen, man wuͤrde
keine Spuren von Handel und Wandel er-
blicken.

Vor dieſen beyden großen Richterſtuͤhlen
werden gemeiniglich die Sachen von Wichtig-
keit abgethan. — Wir wollen itzt das Wich-
tigſte von den Geſetzen des perſiſchen Rechts in
den gemeinen Angelegenheiten des buͤrgerlichen
Lebens abhandeln.

Bey den Heyrathen gilt in Perſien weder
die Gleichheit des Standes noch die Einſtim-
mung der Eltern, um dieſelbe guͤltig zu ma-
chen. So bald ein junger Menſch ſein gehoͤri-
ges Alter erreicht; ſo kann er ſich nach ſeinem
Belieben eine Frau nehmen, und wenn er ſie
contractmaͤßig heyrathat, ſo wird ſie ſeine
Frau; ſie mag uͤbrigens von einem Stande
ſeyn, von welchem ſie will. Doch aber geſche-
hen dergleichen ungleiche Heyrathen ſehr ſel-
ten, weil man gemeiniglich den jungen Leuten

bey
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0158" n="138"/>
be&#x017F;ieht, i&#x017F;t das Recht <hi rendition="#fr">Ourf</hi> weiter nichts, als<lb/>
ein wohlver&#x017F;tandenes natu&#x0364;rliches Recht. &#x2014;<lb/>
Die Vor&#x017F;teher die&#x017F;es Rechts, oder die ho&#x0364;ch&#x017F;te<lb/>
Macht, &#x017F;ind der Pre&#x017F;ident des <hi rendition="#fr">Divan,</hi> der <hi rendition="#fr">Vi-<lb/>
zir,</hi> der Gouverneur der Stadt und de&#x017F;&#x017F;eu Lieu-<lb/>
tenant, welcher des Nachts fu&#x0364;r die Ordnung<lb/>
&#x017F;orgen muß. Dieß Gericht mi&#x017F;cht &#x017F;ich auch<lb/>
oft in Sachen, die &#x017F;chon vor andern Gerichten<lb/>
&#x017F;ind beygelegt worden. Und in der That, wenn<lb/>
die Autorita&#x0364;t die&#x017F;es Tribunals nicht &#x017F;o groß<lb/>
wa&#x0364;re; &#x017F;o wu&#x0364;rde man unglaubliche Ungerechtig-<lb/>
keiten in Per&#x017F;ien ausu&#x0364;ben &#x017F;ehen, man wu&#x0364;rde<lb/>
keine Spuren von Handel und Wandel er-<lb/>
blicken.</p><lb/>
          <p>Vor die&#x017F;en beyden großen Richter&#x017F;tu&#x0364;hlen<lb/>
werden gemeiniglich die Sachen von Wichtig-<lb/>
keit abgethan. &#x2014; Wir wollen itzt das Wich-<lb/>
tig&#x017F;te von den Ge&#x017F;etzen des per&#x017F;i&#x017F;chen Rechts in<lb/>
den gemeinen Angelegenheiten des bu&#x0364;rgerlichen<lb/>
Lebens abhandeln.</p><lb/>
          <p>Bey den Heyrathen gilt in Per&#x017F;ien weder<lb/>
die Gleichheit des Standes noch die Ein&#x017F;tim-<lb/>
mung der Eltern, um die&#x017F;elbe gu&#x0364;ltig zu ma-<lb/>
chen. So bald ein junger Men&#x017F;ch &#x017F;ein geho&#x0364;ri-<lb/>
ges Alter erreicht; &#x017F;o kann er &#x017F;ich nach &#x017F;einem<lb/>
Belieben eine Frau nehmen, und wenn er &#x017F;ie<lb/>
contractma&#x0364;ßig heyrathat, &#x017F;o wird &#x017F;ie &#x017F;eine<lb/>
Frau; &#x017F;ie mag u&#x0364;brigens von einem Stande<lb/>
&#x017F;eyn, von welchem &#x017F;ie will. Doch aber ge&#x017F;che-<lb/>
hen dergleichen ungleiche Heyrathen &#x017F;ehr &#x017F;el-<lb/>
ten, weil man gemeiniglich den jungen Leuten<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">bey</fw><lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[138/0158] beſieht, iſt das Recht Ourf weiter nichts, als ein wohlverſtandenes natuͤrliches Recht. — Die Vorſteher dieſes Rechts, oder die hoͤchſte Macht, ſind der Preſident des Divan, der Vi- zir, der Gouverneur der Stadt und deſſeu Lieu- tenant, welcher des Nachts fuͤr die Ordnung ſorgen muß. Dieß Gericht miſcht ſich auch oft in Sachen, die ſchon vor andern Gerichten ſind beygelegt worden. Und in der That, wenn die Autoritaͤt dieſes Tribunals nicht ſo groß waͤre; ſo wuͤrde man unglaubliche Ungerechtig- keiten in Perſien ausuͤben ſehen, man wuͤrde keine Spuren von Handel und Wandel er- blicken. Vor dieſen beyden großen Richterſtuͤhlen werden gemeiniglich die Sachen von Wichtig- keit abgethan. — Wir wollen itzt das Wich- tigſte von den Geſetzen des perſiſchen Rechts in den gemeinen Angelegenheiten des buͤrgerlichen Lebens abhandeln. Bey den Heyrathen gilt in Perſien weder die Gleichheit des Standes noch die Einſtim- mung der Eltern, um dieſelbe guͤltig zu ma- chen. So bald ein junger Menſch ſein gehoͤri- ges Alter erreicht; ſo kann er ſich nach ſeinem Belieben eine Frau nehmen, und wenn er ſie contractmaͤßig heyrathat, ſo wird ſie ſeine Frau; ſie mag uͤbrigens von einem Stande ſeyn, von welchem ſie will. Doch aber geſche- hen dergleichen ungleiche Heyrathen ſehr ſel- ten, weil man gemeiniglich den jungen Leuten bey

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/poppe_charakteristik01_1776
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/poppe_charakteristik01_1776/158
Zitationshilfe: [Poppe, Johann Friedrich]: Characteristik der merkwürdigsten Asiatischen Nationen. Bd. 1. Breslau, 1776, S. 138. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/poppe_charakteristik01_1776/158>, abgerufen am 29.04.2024.