Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

[Poppe, Johann Friedrich]: Characteristik der merkwürdigsten Asiatischen Nationen. Bd. 2. Breslau, 1777.

Bild:
<< vorherige Seite

nem Schech auf die Knie, und hielt ein langes
Gebet, in welchem er seinen Meister um Hülfe
anzurufen schien. Als er ihm hierauf die Hand
geküßt, und sie auf seinen Kopf gelegt hatte, so
sprang er auf, warf seinen Turban von sich,
und ließ seine langen Haare los und herunter
hangen. Er machte allerhand wunderliche
Sprünge, als wenn er begeistert, oder vielmehr
närrisch wäre. Bisweilen stand er stille, und
bedeutete dem Musikanten, welche Lieder, oder
welche Töne seine Begeisterung befördern könn-
ten. Endlich ergrif er zehn bis zwölf Stück
von den erwähnten langen und dünnen Eisen,
und lief damit auf dem ganzen Platze herum. --

Wenn man aus diesen Ceremonien der Mön-
che des Ordens Bedr eddein, welche bey allen
vernünftigen Leuten verhaßt sind, auf den Got-
tesdienst aller Mohammedaner schließen wollte;
so würde man sich sehr betrügen. Indessen hat
man wohl nur gar zu oft aus nicht viel bessern
Gründen die Religion der fremden Nationen
beurtheilt.

Die Wissenschaft Kurra ist vermuthlich
ein Theil der Simia. Jene ist die Kunst, Zet-
tels zu schreiben, welche für böse Augen und
unzählige andre Fälle nützlich seyn sollen. Man
trägt diese Zettel in Leder geneht, auf der Mütze
oder auf den Armen, oder auf der Brust; ja,
man macht den schönen Pferden, Maulthieren
und Eseln davon ganze Schnüre um den Hals,
wovon das eine verhüten soll, daß das Thier

sich

nem Schech auf die Knie, und hielt ein langes
Gebet, in welchem er ſeinen Meiſter um Huͤlfe
anzurufen ſchien. Als er ihm hierauf die Hand
gekuͤßt, und ſie auf ſeinen Kopf gelegt hatte, ſo
ſprang er auf, warf ſeinen Turban von ſich,
und ließ ſeine langen Haare los und herunter
hangen. Er machte allerhand wunderliche
Spruͤnge, als wenn er begeiſtert, oder vielmehr
naͤrriſch waͤre. Bisweilen ſtand er ſtille, und
bedeutete dem Muſikanten, welche Lieder, oder
welche Toͤne ſeine Begeiſterung befoͤrdern koͤnn-
ten. Endlich ergrif er zehn bis zwoͤlf Stuͤck
von den erwaͤhnten langen und duͤnnen Eiſen,
und lief damit auf dem ganzen Platze herum. —

Wenn man aus dieſen Ceremonien der Moͤn-
che des Ordens Bedr eddîn, welche bey allen
vernuͤnftigen Leuten verhaßt ſind, auf den Got-
tesdienſt aller Mohammedaner ſchließen wollte;
ſo wuͤrde man ſich ſehr betruͤgen. Indeſſen hat
man wohl nur gar zu oft aus nicht viel beſſern
Gruͤnden die Religion der fremden Nationen
beurtheilt.

Die Wiſſenſchaft Kurra iſt vermuthlich
ein Theil der Simia. Jene iſt die Kunſt, Zet-
tels zu ſchreiben, welche fuͤr boͤſe Augen und
unzaͤhlige andre Faͤlle nuͤtzlich ſeyn ſollen. Man
traͤgt dieſe Zettel in Leder geneht, auf der Muͤtze
oder auf den Armen, oder auf der Bruſt; ja,
man macht den ſchoͤnen Pferden, Maulthieren
und Eſeln davon ganze Schnuͤre um den Hals,
wovon das eine verhuͤten ſoll, daß das Thier

ſich
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0274" n="248"/>
nem Schech auf die Knie, und hielt ein langes<lb/>
Gebet, in welchem er &#x017F;einen Mei&#x017F;ter um Hu&#x0364;lfe<lb/>
anzurufen &#x017F;chien. Als er ihm hierauf die Hand<lb/>
geku&#x0364;ßt, und &#x017F;ie auf &#x017F;einen Kopf gelegt hatte, &#x017F;o<lb/>
&#x017F;prang er auf, warf &#x017F;einen Turban von &#x017F;ich,<lb/>
und ließ &#x017F;eine langen Haare los und herunter<lb/>
hangen. Er machte allerhand wunderliche<lb/>
Spru&#x0364;nge, als wenn er begei&#x017F;tert, oder vielmehr<lb/>
na&#x0364;rri&#x017F;ch wa&#x0364;re. Bisweilen &#x017F;tand er &#x017F;tille, und<lb/>
bedeutete dem Mu&#x017F;ikanten, welche Lieder, oder<lb/>
welche To&#x0364;ne &#x017F;eine Begei&#x017F;terung befo&#x0364;rdern ko&#x0364;nn-<lb/>
ten. Endlich ergrif er zehn bis zwo&#x0364;lf Stu&#x0364;ck<lb/>
von den erwa&#x0364;hnten langen und du&#x0364;nnen Ei&#x017F;en,<lb/>
und lief damit auf dem ganzen Platze herum. &#x2014;</p><lb/>
          <p>Wenn man aus die&#x017F;en Ceremonien der Mo&#x0364;n-<lb/>
che des Ordens Bedr edd<hi rendition="#aq">î</hi>n, welche bey allen<lb/>
vernu&#x0364;nftigen Leuten verhaßt &#x017F;ind, auf den Got-<lb/>
tesdien&#x017F;t aller Mohammedaner &#x017F;chließen wollte;<lb/>
&#x017F;o wu&#x0364;rde man &#x017F;ich &#x017F;ehr betru&#x0364;gen. Inde&#x017F;&#x017F;en hat<lb/>
man wohl nur gar zu oft aus nicht viel be&#x017F;&#x017F;ern<lb/>
Gru&#x0364;nden die Religion der fremden Nationen<lb/>
beurtheilt.</p><lb/>
          <p>Die Wi&#x017F;&#x017F;en&#x017F;chaft <hi rendition="#fr">Kurra</hi> i&#x017F;t vermuthlich<lb/>
ein Theil der Simia. Jene i&#x017F;t die Kun&#x017F;t, Zet-<lb/>
tels zu &#x017F;chreiben, welche fu&#x0364;r bo&#x0364;&#x017F;e Augen und<lb/>
unza&#x0364;hlige andre Fa&#x0364;lle nu&#x0364;tzlich &#x017F;eyn &#x017F;ollen. Man<lb/>
tra&#x0364;gt die&#x017F;e Zettel in Leder geneht, auf der Mu&#x0364;tze<lb/>
oder auf den Armen, oder auf der Bru&#x017F;t; ja,<lb/>
man macht den &#x017F;cho&#x0364;nen Pferden, Maulthieren<lb/>
und E&#x017F;eln davon ganze Schnu&#x0364;re um den Hals,<lb/>
wovon das eine verhu&#x0364;ten &#x017F;oll, daß das Thier<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">&#x017F;ich</fw><lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[248/0274] nem Schech auf die Knie, und hielt ein langes Gebet, in welchem er ſeinen Meiſter um Huͤlfe anzurufen ſchien. Als er ihm hierauf die Hand gekuͤßt, und ſie auf ſeinen Kopf gelegt hatte, ſo ſprang er auf, warf ſeinen Turban von ſich, und ließ ſeine langen Haare los und herunter hangen. Er machte allerhand wunderliche Spruͤnge, als wenn er begeiſtert, oder vielmehr naͤrriſch waͤre. Bisweilen ſtand er ſtille, und bedeutete dem Muſikanten, welche Lieder, oder welche Toͤne ſeine Begeiſterung befoͤrdern koͤnn- ten. Endlich ergrif er zehn bis zwoͤlf Stuͤck von den erwaͤhnten langen und duͤnnen Eiſen, und lief damit auf dem ganzen Platze herum. — Wenn man aus dieſen Ceremonien der Moͤn- che des Ordens Bedr eddîn, welche bey allen vernuͤnftigen Leuten verhaßt ſind, auf den Got- tesdienſt aller Mohammedaner ſchließen wollte; ſo wuͤrde man ſich ſehr betruͤgen. Indeſſen hat man wohl nur gar zu oft aus nicht viel beſſern Gruͤnden die Religion der fremden Nationen beurtheilt. Die Wiſſenſchaft Kurra iſt vermuthlich ein Theil der Simia. Jene iſt die Kunſt, Zet- tels zu ſchreiben, welche fuͤr boͤſe Augen und unzaͤhlige andre Faͤlle nuͤtzlich ſeyn ſollen. Man traͤgt dieſe Zettel in Leder geneht, auf der Muͤtze oder auf den Armen, oder auf der Bruſt; ja, man macht den ſchoͤnen Pferden, Maulthieren und Eſeln davon ganze Schnuͤre um den Hals, wovon das eine verhuͤten ſoll, daß das Thier ſich

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/poppe_charakteristik02_1777
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/poppe_charakteristik02_1777/274
Zitationshilfe: [Poppe, Johann Friedrich]: Characteristik der merkwürdigsten Asiatischen Nationen. Bd. 2. Breslau, 1777, S. 248. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/poppe_charakteristik02_1777/274>, abgerufen am 14.06.2024.