Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Pückler-Muskau, Hermann von: Briefe eines Verstorbenen. Bd. 2. München, 1830.

Bild:
<< vorherige Seite

. . . . . . . . . . . . . . . . . . .
. . . . . . . . . . Wenn die Priester und
Chorjungen, wie ich erwähnt, die Räucherfässer um-
herwerfen, dem Bischof jeden Augenblick ein andrer
gestickter Rock, Kragen oder Tuch umgegeben wird,
er selbst vor dem Hochaltar bald fest steht, bald vor-
wärts, bald rückwärts läuft, sich mit dem Antlitz
auf die Erde niederwirft, und zuletzt sich mit der
Monstranz, wie eine Windfahne, umdreht, und die
Augen auf sie, wie auf ein Microscop, geheftet
hält, etc. -- so bin ich vollkommen darauf vorbereitet,
nachher von 7000 Mann sprechen zu hören, die mit
vier Brodten und drei Fischen nicht nur satt gemacht
worden, sondern noch so viele Körbe Krumen und
Gräten übrig behalten haben -- oder vom jüngsten
Tage, und Christi Sitz neben Gott dem Vater, wo
er Platz nehmen wird, um alle Diejenige zu ewigen
Martern zu verdammen, welche nicht an ihn ge-
glaubt haben. -- Wenn aber ein schlichter, sich ver-
nünftig anstellender Mann, mir zuerst von Duldung,
Tugend, ewiger Wahrheit und Liebe spricht, dann
aber vom Gott der Gerechtigkeit und Liebe und einem
seiner edelsten Verkünder auf Erden, dergleichen
Mährchen und Atrocitäten, die den gesunden Men-
schenverstand beleidigen, erzählt, und sie für etwas
Heiliges und Göttliches ausgeben will -- so wende
ich mich mit Widerwillen von solcher Heuchelei oder
Thorheit ab. Ein Cagot wird mir hierauf antwor-
ten wollen: Euer gesunder Menschenverstand ist kein
Maßstab für Gott -- worauf ich ihm erwiedere:

. . . . . . . . . . . . . . . . . . .
. . . . . . . . . . Wenn die Prieſter und
Chorjungen, wie ich erwähnt, die Räucherfäſſer um-
herwerfen, dem Biſchof jeden Augenblick ein andrer
geſtickter Rock, Kragen oder Tuch umgegeben wird,
er ſelbſt vor dem Hochaltar bald feſt ſteht, bald vor-
wärts, bald rückwärts läuft, ſich mit dem Antlitz
auf die Erde niederwirft, und zuletzt ſich mit der
Monſtranz, wie eine Windfahne, umdreht, und die
Augen auf ſie, wie auf ein Microscop, geheftet
hält, ꝛc. — ſo bin ich vollkommen darauf vorbereitet,
nachher von 7000 Mann ſprechen zu hören, die mit
vier Brodten und drei Fiſchen nicht nur ſatt gemacht
worden, ſondern noch ſo viele Körbe Krumen und
Gräten übrig behalten haben — oder vom jüngſten
Tage, und Chriſti Sitz neben Gott dem Vater, wo
er Platz nehmen wird, um alle Diejenige zu ewigen
Martern zu verdammen, welche nicht an ihn ge-
glaubt haben. — Wenn aber ein ſchlichter, ſich ver-
nünftig anſtellender Mann, mir zuerſt von Duldung,
Tugend, ewiger Wahrheit und Liebe ſpricht, dann
aber vom Gott der Gerechtigkeit und Liebe und einem
ſeiner edelſten Verkünder auf Erden, dergleichen
Mährchen und Atrocitäten, die den geſunden Men-
ſchenverſtand beleidigen, erzählt, und ſie für etwas
Heiliges und Göttliches ausgeben will — ſo wende
ich mich mit Widerwillen von ſolcher Heuchelei oder
Thorheit ab. Ein Cagot wird mir hierauf antwor-
ten wollen: Euer geſunder Menſchenverſtand iſt kein
Maßſtab für Gott — worauf ich ihm erwiedere:

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0193" n="171"/>
. . . . . . . . . . . . . . . . . . .<lb/>
. . . . . . . . . . Wenn die Prie&#x017F;ter und<lb/>
Chorjungen, wie ich erwähnt, die Räucherfä&#x017F;&#x017F;er um-<lb/>
herwerfen, dem Bi&#x017F;chof jeden Augenblick ein andrer<lb/>
ge&#x017F;tickter Rock, Kragen oder Tuch umgegeben wird,<lb/>
er &#x017F;elb&#x017F;t vor dem Hochaltar bald fe&#x017F;t &#x017F;teht, bald vor-<lb/>
wärts, bald rückwärts läuft, &#x017F;ich mit dem Antlitz<lb/>
auf die Erde niederwirft, und zuletzt &#x017F;ich mit der<lb/>
Mon&#x017F;tranz, wie eine Windfahne, umdreht, und die<lb/>
Augen auf &#x017F;ie, wie auf ein Microscop, geheftet<lb/>
hält, &#xA75B;c. &#x2014; &#x017F;o bin ich vollkommen darauf vorbereitet,<lb/>
nachher von 7000 Mann &#x017F;prechen zu hören, die mit<lb/>
vier Brodten und drei Fi&#x017F;chen nicht nur &#x017F;att gemacht<lb/>
worden, &#x017F;ondern noch &#x017F;o viele Körbe Krumen und<lb/>
Gräten übrig behalten haben &#x2014; oder vom jüng&#x017F;ten<lb/>
Tage, und Chri&#x017F;ti Sitz neben Gott dem Vater, wo<lb/>
er Platz nehmen wird, um alle Diejenige zu ewigen<lb/>
Martern zu verdammen, welche nicht an ihn ge-<lb/>
glaubt haben. &#x2014; Wenn aber ein &#x017F;chlichter, &#x017F;ich ver-<lb/>
nünftig an&#x017F;tellender Mann, mir zuer&#x017F;t von Duldung,<lb/>
Tugend, ewiger Wahrheit und Liebe &#x017F;pricht, dann<lb/>
aber vom Gott der Gerechtigkeit und Liebe und einem<lb/>
&#x017F;einer edel&#x017F;ten Verkünder auf Erden, dergleichen<lb/>
Mährchen und Atrocitäten, die den ge&#x017F;unden Men-<lb/>
&#x017F;chenver&#x017F;tand beleidigen, erzählt, und &#x017F;ie für etwas<lb/>
Heiliges und Göttliches ausgeben will &#x2014; &#x017F;o wende<lb/>
ich mich mit Widerwillen von &#x017F;olcher Heuchelei oder<lb/>
Thorheit ab. Ein Cagot wird mir hierauf antwor-<lb/>
ten wollen: Euer ge&#x017F;under Men&#x017F;chenver&#x017F;tand i&#x017F;t kein<lb/>
Maß&#x017F;tab für Gott &#x2014; worauf ich ihm erwiedere:<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[171/0193] . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Wenn die Prieſter und Chorjungen, wie ich erwähnt, die Räucherfäſſer um- herwerfen, dem Biſchof jeden Augenblick ein andrer geſtickter Rock, Kragen oder Tuch umgegeben wird, er ſelbſt vor dem Hochaltar bald feſt ſteht, bald vor- wärts, bald rückwärts läuft, ſich mit dem Antlitz auf die Erde niederwirft, und zuletzt ſich mit der Monſtranz, wie eine Windfahne, umdreht, und die Augen auf ſie, wie auf ein Microscop, geheftet hält, ꝛc. — ſo bin ich vollkommen darauf vorbereitet, nachher von 7000 Mann ſprechen zu hören, die mit vier Brodten und drei Fiſchen nicht nur ſatt gemacht worden, ſondern noch ſo viele Körbe Krumen und Gräten übrig behalten haben — oder vom jüngſten Tage, und Chriſti Sitz neben Gott dem Vater, wo er Platz nehmen wird, um alle Diejenige zu ewigen Martern zu verdammen, welche nicht an ihn ge- glaubt haben. — Wenn aber ein ſchlichter, ſich ver- nünftig anſtellender Mann, mir zuerſt von Duldung, Tugend, ewiger Wahrheit und Liebe ſpricht, dann aber vom Gott der Gerechtigkeit und Liebe und einem ſeiner edelſten Verkünder auf Erden, dergleichen Mährchen und Atrocitäten, die den geſunden Men- ſchenverſtand beleidigen, erzählt, und ſie für etwas Heiliges und Göttliches ausgeben will — ſo wende ich mich mit Widerwillen von ſolcher Heuchelei oder Thorheit ab. Ein Cagot wird mir hierauf antwor- ten wollen: Euer geſunder Menſchenverſtand iſt kein Maßſtab für Gott — worauf ich ihm erwiedere:

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/pueckler_briefe02_1830
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/pueckler_briefe02_1830/193
Zitationshilfe: Pückler-Muskau, Hermann von: Briefe eines Verstorbenen. Bd. 2. München, 1830, S. 171. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/pueckler_briefe02_1830/193>, abgerufen am 02.05.2024.