Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Pückler-Muskau, Hermann von: Briefe eines Verstorbenen. Bd. 2. München, 1830.

Bild:
<< vorherige Seite

Gegen Abend fuhr ich, in einer der kleinen Kut-
schen, die nur zwischen Bath und Bristol gehen, nach
ersterem Orte. Ich war allein, und schlief den gan-
zen Weg über. Als ich von der Sieste erwachte, er-
blickte ich beim Mondschein einen weiläuftigen, er-
leuchteten Palast, auf einer ganz kahlen Höhe, und
erfuhr, auf meine Frage, daß dies die milde Stiftung
eines bloßen Privatmannes sey, und für fünfzig arme
Wittwen bestimmt, die hier in Wohlhabenheit, ja
Ueberfluß, leben. Bald darauf erglänzten am Hori-
zont noch vielfache andere Lichterreihen, und in wenig
Minuten rollten wir über das Pflaster von Bath.



Seit dem Tage, wo ich Dir die wichtige Begeben-
heit meldete, daß die Sonne geschienen -- habe ich
die Wohlthätige nicht wieder gesehen. Doch trotz
Nebel und Regen wanderte ich den ganzen Tag in
dieser wunderbaren Stadt herum, die, im Grunde
des tiefen und schmalen Bergkessels erbaut, nach und
nach alle seine hohen Ränder erstiegen hat. Die
Pracht der Palläste, Gärten, Straßen, Terrassen und
halbmondförmigen Plätze, Crescents genannt, die von
diesen Bergabhängen herabglänzen, ist imponirend
und englischen Reichthums würdig. Dessen ohnge-
achtet, und obgleich auch die Natur hier schön ist,

18*

Gegen Abend fuhr ich, in einer der kleinen Kut-
ſchen, die nur zwiſchen Bath und Briſtol gehen, nach
erſterem Orte. Ich war allein, und ſchlief den gan-
zen Weg über. Als ich von der Sieſte erwachte, er-
blickte ich beim Mondſchein einen weiläuftigen, er-
leuchteten Palaſt, auf einer ganz kahlen Höhe, und
erfuhr, auf meine Frage, daß dies die milde Stiftung
eines bloßen Privatmannes ſey, und für fünfzig arme
Wittwen beſtimmt, die hier in Wohlhabenheit, ja
Ueberfluß, leben. Bald darauf erglänzten am Hori-
zont noch vielfache andere Lichterreihen, und in wenig
Minuten rollten wir über das Pflaſter von Bath.



Seit dem Tage, wo ich Dir die wichtige Begeben-
heit meldete, daß die Sonne geſchienen — habe ich
die Wohlthätige nicht wieder geſehen. Doch trotz
Nebel und Regen wanderte ich den ganzen Tag in
dieſer wunderbaren Stadt herum, die, im Grunde
des tiefen und ſchmalen Bergkeſſels erbaut, nach und
nach alle ſeine hohen Ränder erſtiegen hat. Die
Pracht der Palläſte, Gärten, Straßen, Terraſſen und
halbmondförmigen Plätze, Crescents genannt, die von
dieſen Bergabhängen herabglänzen, iſt imponirend
und engliſchen Reichthums würdig. Deſſen ohnge-
achtet, und obgleich auch die Natur hier ſchön iſt,

18*
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <pb facs="#f0295" n="273"/>
          <p>Gegen Abend fuhr ich, in einer der kleinen Kut-<lb/>
&#x017F;chen, die nur zwi&#x017F;chen Bath und Bri&#x017F;tol gehen, nach<lb/>
er&#x017F;terem Orte. Ich war allein, und &#x017F;chlief den gan-<lb/>
zen Weg über. Als ich von der Sie&#x017F;te erwachte, er-<lb/>
blickte ich beim Mond&#x017F;chein einen <choice><sic>weitla&#x0307;uftigen</sic><corr>weiläuftigen</corr></choice>, er-<lb/>
leuchteten Pala&#x017F;t, auf einer ganz kahlen Höhe, und<lb/>
erfuhr, auf meine Frage, daß dies die milde Stiftung<lb/>
eines bloßen Privatmannes &#x017F;ey, und für fünfzig arme<lb/>
Wittwen be&#x017F;timmt, die hier in Wohlhabenheit, ja<lb/>
Ueberfluß, leben. Bald darauf erglänzten am Hori-<lb/>
zont noch vielfache andere Lichterreihen, und in wenig<lb/>
Minuten rollten wir über das Pfla&#x017F;ter von Bath.</p>
        </div><lb/>
        <milestone rendition="#hr" unit="section"/>
        <div n="2">
          <opener>
            <dateline> <hi rendition="#et">Bath, den 22<hi rendition="#sup">&#x017F;ten.</hi></hi> </dateline>
          </opener><lb/>
          <p>Seit dem Tage, wo ich Dir die wichtige Begeben-<lb/>
heit meldete, daß die Sonne ge&#x017F;chienen &#x2014; habe ich<lb/>
die Wohlthätige nicht wieder ge&#x017F;ehen. Doch trotz<lb/>
Nebel und Regen wanderte ich den ganzen Tag in<lb/>
die&#x017F;er wunderbaren Stadt herum, die, im Grunde<lb/>
des tiefen und &#x017F;chmalen Bergke&#x017F;&#x017F;els erbaut, nach und<lb/>
nach alle &#x017F;eine hohen Ränder er&#x017F;tiegen hat. Die<lb/>
Pracht der Pallä&#x017F;te, Gärten, Straßen, Terra&#x017F;&#x017F;en und<lb/>
halbmondförmigen Plätze, Crescents genannt, die von<lb/>
die&#x017F;en Bergabhängen herabglänzen, i&#x017F;t imponirend<lb/>
und engli&#x017F;chen Reichthums würdig. De&#x017F;&#x017F;en ohnge-<lb/>
achtet, und obgleich auch die Natur hier &#x017F;chön i&#x017F;t,<lb/>
<fw place="bottom" type="sig">18*</fw><lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[273/0295] Gegen Abend fuhr ich, in einer der kleinen Kut- ſchen, die nur zwiſchen Bath und Briſtol gehen, nach erſterem Orte. Ich war allein, und ſchlief den gan- zen Weg über. Als ich von der Sieſte erwachte, er- blickte ich beim Mondſchein einen weiläuftigen, er- leuchteten Palaſt, auf einer ganz kahlen Höhe, und erfuhr, auf meine Frage, daß dies die milde Stiftung eines bloßen Privatmannes ſey, und für fünfzig arme Wittwen beſtimmt, die hier in Wohlhabenheit, ja Ueberfluß, leben. Bald darauf erglänzten am Hori- zont noch vielfache andere Lichterreihen, und in wenig Minuten rollten wir über das Pflaſter von Bath. Bath, den 22ſten. Seit dem Tage, wo ich Dir die wichtige Begeben- heit meldete, daß die Sonne geſchienen — habe ich die Wohlthätige nicht wieder geſehen. Doch trotz Nebel und Regen wanderte ich den ganzen Tag in dieſer wunderbaren Stadt herum, die, im Grunde des tiefen und ſchmalen Bergkeſſels erbaut, nach und nach alle ſeine hohen Ränder erſtiegen hat. Die Pracht der Palläſte, Gärten, Straßen, Terraſſen und halbmondförmigen Plätze, Crescents genannt, die von dieſen Bergabhängen herabglänzen, iſt imponirend und engliſchen Reichthums würdig. Deſſen ohnge- achtet, und obgleich auch die Natur hier ſchön iſt, 18*

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/pueckler_briefe02_1830
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/pueckler_briefe02_1830/295
Zitationshilfe: Pückler-Muskau, Hermann von: Briefe eines Verstorbenen. Bd. 2. München, 1830, S. 273. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/pueckler_briefe02_1830/295>, abgerufen am 12.10.2024.