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Pückler-Muskau, Hermann von: Briefe eines Verstorbenen. Bd. 2. München, 1830.

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Um 5 Uhr waren wir schon in Dover geweckt wor-
den, und hatten in völliger Dunkelheit das Packet-
boot erklettert. Wir wandelten bereits eine halbe
Stunde darin auf und ab, ohne daß man Miene
zum Absegeln machte. Mit einemmal verbreitete sich
das Gerücht, der Boiler (Dampfkessel) sey schadhaft
geworden. Die Furchtsamsten retteten sich sogleich
auf den Quai, die Uebrigen schrieen nach dem Ca-
pitain, dieser war aber nirgends zu finden; endlich
schickte er jemand, der uns ankündigte, man könne
ohne Gefahr nicht segeln, und die Sachen würden
auf einen französischen Steamer gebracht werden,
der um 8 Uhr abginge. Ich benutzte daher diesen
Zwischenraum, um die Sonne von dem Fort auf-
gehen zu sehen, das die hohen Kalkfelsen über der
Stadt krönt. Die Engländer, welche Geld genug
besitzen, um jeden nützlichen Plan auszuführen, ha-
ben, statt eines äußern Weges, ein Tunnel durch
den Felsen gesprengt, der eine Art Trichter bildet,
in welchem zwei Wendeltreppen 240 Fuß hoch hin-
aufführen. Der Anblick von oben ist höchst pittoresk,
und die Sonne stieg über die weite Aussicht, fast
wolkenlos, aus dem Meer empor. Ich hätte indeß
über die Extase, der ich mich überließ, bald die Ab-
fahrt des Schiffes versäumt, das würklich grade mit
dem Moment meiner Ankunft absegelte. In 2 1/2
Stunde warf uns der heftige Wind binüber. Dies-
mal war die Seekrankheit zu ertragen, und ein vor-
treffliches Dine, wie es kein englischer Gasthof bie-
tet, restaurirte mich in Calais vollkommen. Dies Ho-

Um 5 Uhr waren wir ſchon in Dover geweckt wor-
den, und hatten in völliger Dunkelheit das Packet-
boot erklettert. Wir wandelten bereits eine halbe
Stunde darin auf und ab, ohne daß man Miene
zum Abſegeln machte. Mit einemmal verbreitete ſich
das Gerücht, der Boiler (Dampfkeſſel) ſey ſchadhaft
geworden. Die Furchtſamſten retteten ſich ſogleich
auf den Quai, die Uebrigen ſchrieen nach dem Ca-
pitain, dieſer war aber nirgends zu finden; endlich
ſchickte er jemand, der uns ankündigte, man könne
ohne Gefahr nicht ſegeln, und die Sachen würden
auf einen franzöſiſchen Steamer gebracht werden,
der um 8 Uhr abginge. Ich benutzte daher dieſen
Zwiſchenraum, um die Sonne von dem Fort auf-
gehen zu ſehen, das die hohen Kalkfelſen über der
Stadt krönt. Die Engländer, welche Geld genug
beſitzen, um jeden nützlichen Plan auszuführen, ha-
ben, ſtatt eines äußern Weges, ein Tunnel durch
den Felſen geſprengt, der eine Art Trichter bildet,
in welchem zwei Wendeltreppen 240 Fuß hoch hin-
aufführen. Der Anblick von oben iſt höchſt pittoresk,
und die Sonne ſtieg über die weite Ausſicht, faſt
wolkenlos, aus dem Meer empor. Ich hätte indeß
über die Extaſe, der ich mich überließ, bald die Ab-
fahrt des Schiffes verſäumt, das würklich grade mit
dem Moment meiner Ankunft abſegelte. In 2 ½
Stunde warf uns der heftige Wind binüber. Dies-
mal war die Seekrankheit zu ertragen, und ein vor-
treffliches Diné, wie es kein engliſcher Gaſthof bie-
tet, reſtaurirte mich in Calais vollkommen. Dies Ho-

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[309/0331] Um 5 Uhr waren wir ſchon in Dover geweckt wor- den, und hatten in völliger Dunkelheit das Packet- boot erklettert. Wir wandelten bereits eine halbe Stunde darin auf und ab, ohne daß man Miene zum Abſegeln machte. Mit einemmal verbreitete ſich das Gerücht, der Boiler (Dampfkeſſel) ſey ſchadhaft geworden. Die Furchtſamſten retteten ſich ſogleich auf den Quai, die Uebrigen ſchrieen nach dem Ca- pitain, dieſer war aber nirgends zu finden; endlich ſchickte er jemand, der uns ankündigte, man könne ohne Gefahr nicht ſegeln, und die Sachen würden auf einen franzöſiſchen Steamer gebracht werden, der um 8 Uhr abginge. Ich benutzte daher dieſen Zwiſchenraum, um die Sonne von dem Fort auf- gehen zu ſehen, das die hohen Kalkfelſen über der Stadt krönt. Die Engländer, welche Geld genug beſitzen, um jeden nützlichen Plan auszuführen, ha- ben, ſtatt eines äußern Weges, ein Tunnel durch den Felſen geſprengt, der eine Art Trichter bildet, in welchem zwei Wendeltreppen 240 Fuß hoch hin- aufführen. Der Anblick von oben iſt höchſt pittoresk, und die Sonne ſtieg über die weite Ausſicht, faſt wolkenlos, aus dem Meer empor. Ich hätte indeß über die Extaſe, der ich mich überließ, bald die Ab- fahrt des Schiffes verſäumt, das würklich grade mit dem Moment meiner Ankunft abſegelte. In 2 ½ Stunde warf uns der heftige Wind binüber. Dies- mal war die Seekrankheit zu ertragen, und ein vor- treffliches Diné, wie es kein engliſcher Gaſthof bie- tet, reſtaurirte mich in Calais vollkommen. Dies Ho-

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Zitationshilfe: Pückler-Muskau, Hermann von: Briefe eines Verstorbenen. Bd. 2. München, 1830, S. 309. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/pueckler_briefe02_1830/331>, abgerufen am 28.04.2024.