Um vier Uhr Nachmittags verließ ich gestern Cork, in der Mail, neben dem Kutscher sitzend, dessen vier Pferde ich gelegentlich dirigirte. Bis eine Stunde von der Stadt ist die Gegend pittoresk, nachher schien sie ziemlich uninteressant, auch ward es bald dunkel. Nach einigen Stationen verließen uns die meisten Passagiere, und ich setzte mich in den Wagen, wo mir ein dreistündiges tete a tete mit einer Dame bescheert wurde -- leider war sie indessen siebenzig Jahre alt, und eine Puritanerin, aber wie es schien keine Puristin. Diese unangenehme Gesellschaft, so wie die Lobeserhebungen, welche ein früherer Reise- gefährte mir von dem neu erbauten gothischen Schlosse zu Michelstown gemacht, bewogen mich, mitten in der Nacht, die Mail zu verlassen, und hier den Mor- gen zu erwarten. Um 7 Uhr weckte man mich, um das gepriesene Wunderwerk in Augenschein zu neh- men. Ich fand mich aber sehr getäuscht, so wie ei- nige andere Fremde, die derselbe Zweck hierher ge- führt hatte. Man zeigte uns allerdings einen großen und kostbaren Steinhaufen, der dem Besitzer 50,000 Pf. St. aufzuführen gekostet hatte, ein Hauptingredienz war aber dabei vergessen worden, nämlich guter Ge- schmack. Das Gebäude ist erstens viel zu hoch für seine Ausdehnung, hat nur Confusion im Styl, ohne Varietät, eine schwerfällige Außenlinie, und machte überhaupt einen kleinen Effekt mit großer Masse. Dazu stand es kahl auf dem Rasen, ohne irgend eine
Michelstown, den 9ten früh.
Um vier Uhr Nachmittags verließ ich geſtern Cork, in der Mail, neben dem Kutſcher ſitzend, deſſen vier Pferde ich gelegentlich dirigirte. Bis eine Stunde von der Stadt iſt die Gegend pittoresk, nachher ſchien ſie ziemlich unintereſſant, auch ward es bald dunkel. Nach einigen Stationen verließen uns die meiſten Paſſagiere, und ich ſetzte mich in den Wagen, wo mir ein dreiſtündiges tête à tête mit einer Dame beſcheert wurde — leider war ſie indeſſen ſiebenzig Jahre alt, und eine Puritanerin, aber wie es ſchien keine Puriſtin. Dieſe unangenehme Geſellſchaft, ſo wie die Lobeserhebungen, welche ein früherer Reiſe- gefährte mir von dem neu erbauten gothiſchen Schloſſe zu Michelstown gemacht, bewogen mich, mitten in der Nacht, die Mail zu verlaſſen, und hier den Mor- gen zu erwarten. Um 7 Uhr weckte man mich, um das geprieſene Wunderwerk in Augenſchein zu neh- men. Ich fand mich aber ſehr getäuſcht, ſo wie ei- nige andere Fremde, die derſelbe Zweck hierher ge- führt hatte. Man zeigte uns allerdings einen großen und koſtbaren Steinhaufen, der dem Beſitzer 50,000 Pf. St. aufzuführen gekoſtet hatte, ein Hauptingredienz war aber dabei vergeſſen worden, nämlich guter Ge- ſchmack. Das Gebäude iſt erſtens viel zu hoch für ſeine Ausdehnung, hat nur Confuſion im Styl, ohne Varietät, eine ſchwerfällige Außenlinie, und machte überhaupt einen kleinen Effekt mit großer Maſſe. Dazu ſtand es kahl auf dem Raſen, ohne irgend eine
<TEI><text><body><divn="1"><pbfacs="#f0090"n="68"/><divn="2"><opener><dateline><hirendition="#et">Michelstown, den 9<hirendition="#sup">ten</hi> früh.</hi></dateline></opener><lb/><p>Um vier Uhr Nachmittags verließ ich geſtern Cork,<lb/>
in der Mail, neben dem Kutſcher ſitzend, deſſen vier<lb/>
Pferde ich gelegentlich dirigirte. Bis eine Stunde<lb/>
von der Stadt iſt die Gegend pittoresk, nachher ſchien<lb/>ſie ziemlich unintereſſant, auch ward es bald dunkel.<lb/>
Nach einigen Stationen verließen uns die meiſten<lb/>
Paſſagiere, und ich ſetzte mich <hirendition="#g">in</hi> den Wagen, wo<lb/>
mir ein dreiſtündiges <hirendition="#aq">tête à tête</hi> mit einer Dame<lb/>
beſcheert wurde — leider war ſie indeſſen ſiebenzig<lb/>
Jahre alt, und eine Puritanerin, aber wie es ſchien<lb/>
keine Puriſtin. Dieſe unangenehme Geſellſchaft, ſo<lb/>
wie die Lobeserhebungen, welche ein früherer Reiſe-<lb/>
gefährte mir von dem neu erbauten gothiſchen Schloſſe<lb/>
zu Michelstown gemacht, bewogen mich, mitten in<lb/>
der Nacht, die Mail zu verlaſſen, und hier den Mor-<lb/>
gen zu erwarten. Um 7 Uhr weckte man mich, um<lb/>
das geprieſene Wunderwerk in Augenſchein zu neh-<lb/>
men. Ich fand mich aber ſehr getäuſcht, ſo wie ei-<lb/>
nige andere Fremde, die derſelbe Zweck hierher ge-<lb/>
führt hatte. Man zeigte uns allerdings einen großen<lb/>
und koſtbaren Steinhaufen, der dem Beſitzer 50,000<lb/>
Pf. St. aufzuführen gekoſtet hatte, ein Hauptingredienz<lb/>
war aber dabei vergeſſen worden, nämlich guter Ge-<lb/>ſchmack. Das Gebäude iſt erſtens viel zu hoch für<lb/>ſeine Ausdehnung, hat nur Confuſion im Styl, ohne<lb/>
Varietät, eine ſchwerfällige Außenlinie, und machte<lb/>
überhaupt einen <hirendition="#g">kleinen</hi> Effekt mit <hirendition="#g">großer</hi> Maſſe.<lb/>
Dazu ſtand es kahl auf dem Raſen, ohne irgend eine<lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[68/0090]
Michelstown, den 9ten früh.
Um vier Uhr Nachmittags verließ ich geſtern Cork,
in der Mail, neben dem Kutſcher ſitzend, deſſen vier
Pferde ich gelegentlich dirigirte. Bis eine Stunde
von der Stadt iſt die Gegend pittoresk, nachher ſchien
ſie ziemlich unintereſſant, auch ward es bald dunkel.
Nach einigen Stationen verließen uns die meiſten
Paſſagiere, und ich ſetzte mich in den Wagen, wo
mir ein dreiſtündiges tête à tête mit einer Dame
beſcheert wurde — leider war ſie indeſſen ſiebenzig
Jahre alt, und eine Puritanerin, aber wie es ſchien
keine Puriſtin. Dieſe unangenehme Geſellſchaft, ſo
wie die Lobeserhebungen, welche ein früherer Reiſe-
gefährte mir von dem neu erbauten gothiſchen Schloſſe
zu Michelstown gemacht, bewogen mich, mitten in
der Nacht, die Mail zu verlaſſen, und hier den Mor-
gen zu erwarten. Um 7 Uhr weckte man mich, um
das geprieſene Wunderwerk in Augenſchein zu neh-
men. Ich fand mich aber ſehr getäuſcht, ſo wie ei-
nige andere Fremde, die derſelbe Zweck hierher ge-
führt hatte. Man zeigte uns allerdings einen großen
und koſtbaren Steinhaufen, der dem Beſitzer 50,000
Pf. St. aufzuführen gekoſtet hatte, ein Hauptingredienz
war aber dabei vergeſſen worden, nämlich guter Ge-
ſchmack. Das Gebäude iſt erſtens viel zu hoch für
ſeine Ausdehnung, hat nur Confuſion im Styl, ohne
Varietät, eine ſchwerfällige Außenlinie, und machte
überhaupt einen kleinen Effekt mit großer Maſſe.
Dazu ſtand es kahl auf dem Raſen, ohne irgend eine
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Pückler-Muskau, Hermann von: Briefe eines Verstorbenen. Bd. 2. München, 1830, S. 68. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/pueckler_briefe02_1830/90>, abgerufen am 10.10.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.