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Pückler-Muskau, Hermann von: Briefe eines Verstorbenen. Bd. 3. Stuttgart, 1831.

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gen. Dies übertraf meine Erwartung, und ähnliches
früher Gesehene sehr weit, denn gewiß ist es nicht
möglich, die Sinne noch effektvoller zu betrügen; ja
selbst mit der Gewißheit der Täuschung, hat man
Mühe, sie sich einzureden. Das Gemälde stellte das
Innere einer großen Abteikirche, vollständig in ihren
wahren Dimensionen erscheinend dar. Eine Seiten-
thür steht offen. Epheu rankt durch die Fenster, und
zuweilen scheint die Sonne durch die Thür, und er-
hellt mit einem freundlichen Blick die Ueberreste bun-
ter Scheiben, die unter Spinnengeweben hervorblinken.
Durch das letzte gegenüber liegende Fenster sieht man
den verwilderten Klostergarten, und darüber einzelne
Wolken am Himmel, die, stürmisch vorüberziehend,
abwechselnd das Sonnenlicht verdunkeln, und tiefe
Schatten in die todtenstille Kirche werfen, wo das
zerbröckelte, aber prachtvolle Monument eines alten
Ritters, an dem die Steine des Bodens aufgebrochen
sind, als habe man dort nach Schätzen gegraben, in
düstrer Majestät sich noch erhalten hat.

Da auf morgen unsre Abreise bestimmt ist, so
sende ich diesen Brief ab, obgleich er noch nicht zu
der gewöhnlichen Corpulenz angewachsen ist. Wie
schmächtig sind dagegen die Deinen! -- Gewiß,
wenn einst unsre Nachkommen die verwitterte Cor-
respondenz ihrer Ahnen in einem Winkel der alten
Bibliothek auffinden sollten, so werden sie über meine
Verschwendung und Deinen Geiz gleich sehr in Er-

gen. Dies übertraf meine Erwartung, und ähnliches
früher Geſehene ſehr weit, denn gewiß iſt es nicht
möglich, die Sinne noch effektvoller zu betrügen; ja
ſelbſt mit der Gewißheit der Täuſchung, hat man
Mühe, ſie ſich einzureden. Das Gemälde ſtellte das
Innere einer großen Abteikirche, vollſtändig in ihren
wahren Dimenſionen erſcheinend dar. Eine Seiten-
thür ſteht offen. Epheu rankt durch die Fenſter, und
zuweilen ſcheint die Sonne durch die Thür, und er-
hellt mit einem freundlichen Blick die Ueberreſte bun-
ter Scheiben, die unter Spinnengeweben hervorblinken.
Durch das letzte gegenüber liegende Fenſter ſieht man
den verwilderten Kloſtergarten, und darüber einzelne
Wolken am Himmel, die, ſtürmiſch vorüberziehend,
abwechſelnd das Sonnenlicht verdunkeln, und tiefe
Schatten in die todtenſtille Kirche werfen, wo das
zerbröckelte, aber prachtvolle Monument eines alten
Ritters, an dem die Steine des Bodens aufgebrochen
ſind, als habe man dort nach Schätzen gegraben, in
düſtrer Majeſtät ſich noch erhalten hat.

Da auf morgen unſre Abreiſe beſtimmt iſt, ſo
ſende ich dieſen Brief ab, obgleich er noch nicht zu
der gewöhnlichen Corpulenz angewachſen iſt. Wie
ſchmächtig ſind dagegen die Deinen! — Gewiß,
wenn einſt unſre Nachkommen die verwitterte Cor-
reſpondenz ihrer Ahnen in einem Winkel der alten
Bibliothek auffinden ſollten, ſo werden ſie über meine
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[202/0246] gen. Dies übertraf meine Erwartung, und ähnliches früher Geſehene ſehr weit, denn gewiß iſt es nicht möglich, die Sinne noch effektvoller zu betrügen; ja ſelbſt mit der Gewißheit der Täuſchung, hat man Mühe, ſie ſich einzureden. Das Gemälde ſtellte das Innere einer großen Abteikirche, vollſtändig in ihren wahren Dimenſionen erſcheinend dar. Eine Seiten- thür ſteht offen. Epheu rankt durch die Fenſter, und zuweilen ſcheint die Sonne durch die Thür, und er- hellt mit einem freundlichen Blick die Ueberreſte bun- ter Scheiben, die unter Spinnengeweben hervorblinken. Durch das letzte gegenüber liegende Fenſter ſieht man den verwilderten Kloſtergarten, und darüber einzelne Wolken am Himmel, die, ſtürmiſch vorüberziehend, abwechſelnd das Sonnenlicht verdunkeln, und tiefe Schatten in die todtenſtille Kirche werfen, wo das zerbröckelte, aber prachtvolle Monument eines alten Ritters, an dem die Steine des Bodens aufgebrochen ſind, als habe man dort nach Schätzen gegraben, in düſtrer Majeſtät ſich noch erhalten hat. Da auf morgen unſre Abreiſe beſtimmt iſt, ſo ſende ich dieſen Brief ab, obgleich er noch nicht zu der gewöhnlichen Corpulenz angewachſen iſt. Wie ſchmächtig ſind dagegen die Deinen! — Gewiß, wenn einſt unſre Nachkommen die verwitterte Cor- reſpondenz ihrer Ahnen in einem Winkel der alten Bibliothek auffinden ſollten, ſo werden ſie über meine Verſchwendung und Deinen Geiz gleich ſehr in Er-

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Zitationshilfe: Pückler-Muskau, Hermann von: Briefe eines Verstorbenen. Bd. 3. Stuttgart, 1831, S. 202. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/pueckler_briefe03_1831/246>, abgerufen am 27.04.2024.