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Pückler-Muskau, Hermann von: Briefe eines Verstorbenen. Bd. 3. Stuttgart, 1831.

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Wirf also Deine Geistesaugen auf einen Erdfleck
von solchem Umfang, daß Du von dem höchsten Punkt
darin, rund umher den Blick über 15 verschiedene
Grafschaften schweifen lassen kannst. Drei Seiten die-
ses weiten Panorama's heben und senken sich in ste-
ter Abwechselung mannichfacher Hügel und niedriger
Bergrücken, gleich den Wogen der bewegten See, und
werden am Horizont von den höchst seltsam geform-
ten, zackigen Felsen und hohen Gebirgen von Wallis
umgeben, die sich auf ihren beiden Enden sanft nach
der vierten Seite der Aussicht, einer fruchtbaren, von
Tausenden hoher Bäume beschatteten Ebene abdachen,
welche in dämmernder Ferne, da, wo sie mit dem
Himmelsgewölke zusammen fließt, von einem weißen
Nebelstreife, dem Meere, begränzt wird.

Das Walliser Gebürge ist zum Theil mit Schnee
bedeckt, und alles fruchtbare Land dazwischen so eng
mit Hecken und Bäumen durchwürkt, daß es in der
Ferne mehr den Anblick eines lichten Waldes gewährt,
den nur hie und da Gewässer, mit unzähligen größe-
ren und kleineren Wiesen und Feldern durchschneiden.
Grade in der Mitte dieser Scene stehst Du nun auf
einer Berggruppe, über die nahen Wipfel alter Bu-
chen- und Eichwälder hinschauend, die oft mit den
üppigsten Wiesenabhängen abwechseln, und deren In-
neres 5--600 Fuß hohe Felsenwände mit hellgrün-
glänzenden, zu Tage gehenden Kupferadern, nach meh-
reren Richtungen durchkreuzen, und vielfache tiefe
Gründe und freundliche Thäler bilden. An einer der
finstersten Stellen dieser Wildniß erheben sich die ur-

III. Briefe eines Verstorbenen. 17

Wirf alſo Deine Geiſtesaugen auf einen Erdfleck
von ſolchem Umfang, daß Du von dem höchſten Punkt
darin, rund umher den Blick über 15 verſchiedene
Grafſchaften ſchweifen laſſen kannſt. Drei Seiten die-
ſes weiten Panorama’s heben und ſenken ſich in ſte-
ter Abwechſelung mannichfacher Hügel und niedriger
Bergrücken, gleich den Wogen der bewegten See, und
werden am Horizont von den höchſt ſeltſam geform-
ten, zackigen Felſen und hohen Gebirgen von Wallis
umgeben, die ſich auf ihren beiden Enden ſanft nach
der vierten Seite der Ausſicht, einer fruchtbaren, von
Tauſenden hoher Bäume beſchatteten Ebene abdachen,
welche in dämmernder Ferne, da, wo ſie mit dem
Himmelsgewölke zuſammen fließt, von einem weißen
Nebelſtreife, dem Meere, begränzt wird.

Das Walliſer Gebürge iſt zum Theil mit Schnee
bedeckt, und alles fruchtbare Land dazwiſchen ſo eng
mit Hecken und Bäumen durchwürkt, daß es in der
Ferne mehr den Anblick eines lichten Waldes gewährt,
den nur hie und da Gewäſſer, mit unzähligen größe-
ren und kleineren Wieſen und Feldern durchſchneiden.
Grade in der Mitte dieſer Scene ſtehſt Du nun auf
einer Berggruppe, über die nahen Wipfel alter Bu-
chen- und Eichwälder hinſchauend, die oft mit den
üppigſten Wieſenabhängen abwechſeln, und deren In-
neres 5—600 Fuß hohe Felſenwände mit hellgrün-
glänzenden, zu Tage gehenden Kupferadern, nach meh-
reren Richtungen durchkreuzen, und vielfache tiefe
Gründe und freundliche Thäler bilden. An einer der
finſterſten Stellen dieſer Wildniß erheben ſich die ur-

III. Briefe eines Verſtorbenen. 17
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[257/0303] Wirf alſo Deine Geiſtesaugen auf einen Erdfleck von ſolchem Umfang, daß Du von dem höchſten Punkt darin, rund umher den Blick über 15 verſchiedene Grafſchaften ſchweifen laſſen kannſt. Drei Seiten die- ſes weiten Panorama’s heben und ſenken ſich in ſte- ter Abwechſelung mannichfacher Hügel und niedriger Bergrücken, gleich den Wogen der bewegten See, und werden am Horizont von den höchſt ſeltſam geform- ten, zackigen Felſen und hohen Gebirgen von Wallis umgeben, die ſich auf ihren beiden Enden ſanft nach der vierten Seite der Ausſicht, einer fruchtbaren, von Tauſenden hoher Bäume beſchatteten Ebene abdachen, welche in dämmernder Ferne, da, wo ſie mit dem Himmelsgewölke zuſammen fließt, von einem weißen Nebelſtreife, dem Meere, begränzt wird. Das Walliſer Gebürge iſt zum Theil mit Schnee bedeckt, und alles fruchtbare Land dazwiſchen ſo eng mit Hecken und Bäumen durchwürkt, daß es in der Ferne mehr den Anblick eines lichten Waldes gewährt, den nur hie und da Gewäſſer, mit unzähligen größe- ren und kleineren Wieſen und Feldern durchſchneiden. Grade in der Mitte dieſer Scene ſtehſt Du nun auf einer Berggruppe, über die nahen Wipfel alter Bu- chen- und Eichwälder hinſchauend, die oft mit den üppigſten Wieſenabhängen abwechſeln, und deren In- neres 5—600 Fuß hohe Felſenwände mit hellgrün- glänzenden, zu Tage gehenden Kupferadern, nach meh- reren Richtungen durchkreuzen, und vielfache tiefe Gründe und freundliche Thäler bilden. An einer der finſterſten Stellen dieſer Wildniß erheben ſich die ur- III. Briefe eines Verſtorbenen. 17

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Zitationshilfe: Pückler-Muskau, Hermann von: Briefe eines Verstorbenen. Bd. 3. Stuttgart, 1831, S. 257. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/pueckler_briefe03_1831/303>, abgerufen am 01.05.2024.