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Pückler-Muskau, Hermann von: Briefe eines Verstorbenen. Bd. 3. Stuttgart, 1831.

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Kikerikys begrüßt. Eine Elster neben ihm fängt an
zu sprechen, herumzuspazieren, und einen in der Mauer-
nische darunterliegenden, gigantischen Kater zu necken,
der seine Glieder schläfrig reckt, seine Schnautze putzt,
und behaglich schnurrt. Dieser Kater wird von einem
der Akteurs, welcher sich nachher in Harlequin ver-
wandelt, mit großer Virtuosität agirt. Sein Spielen
mit einer Melone, die Leichtigkeit seines Kletterns
auf den Schornstein hinauf und herunter, seine Sprün-
ge und Manieren sind so natürlich, daß sie nur den
Thieren selbst durch langes Studium abgelauscht seyn
können, denn glücklicherweise ist nun die Schauspiel-
kunst dahin gekommen, daß sie nicht mehr nöthig hat,
Menschen durch Pudel und Affen überbieten zu lassen,
sondern diese gefeierten Thiere durch die Menschen
selbst täuschend darstellen zu lassen im Stande ist.

Unterdeß öffnet sich die Thüre, und Mutter Syip-
ton, eine fürchterliche Hexe, tritt mit ihrem ähnlichen
Sohne heraus. Die Hausthiere, zu denen sich noch
eine große Eule gesellt, machen sogleich ihre Morgen-
Cour nach Kräften. Die Hexe aber ist unwirsch, spricht
eine Verwünschung über sie aus, und verwandelt sie
auf der Stelle (was äußerst geschickt gemacht wird)
in die Personen der italienischen Comödie, die, gleich-
sam ein Bild der Welt, sich rastlos verfolgen, bis der
Klügste endlich siegt. So spinnt sich denn das Mähr-
chen durch tausend Verwandlungen und Tollheiten
weiter fort, ohne besondern Zusammenhang, aber zu-
weilen mit guten Anspielungen auf die Tagesbegeben-

Briefe eines Verstorbenen. III. 20

Kikerikys begrüßt. Eine Elſter neben ihm fängt an
zu ſprechen, herumzuſpazieren, und einen in der Mauer-
niſche darunterliegenden, gigantiſchen Kater zu necken,
der ſeine Glieder ſchläfrig reckt, ſeine Schnautze putzt,
und behaglich ſchnurrt. Dieſer Kater wird von einem
der Akteurs, welcher ſich nachher in Harlequin ver-
wandelt, mit großer Virtuoſität agirt. Sein Spielen
mit einer Melone, die Leichtigkeit ſeines Kletterns
auf den Schornſtein hinauf und herunter, ſeine Sprün-
ge und Manieren ſind ſo natürlich, daß ſie nur den
Thieren ſelbſt durch langes Studium abgelauſcht ſeyn
können, denn glücklicherweiſe iſt nun die Schauſpiel-
kunſt dahin gekommen, daß ſie nicht mehr nöthig hat,
Menſchen durch Pudel und Affen überbieten zu laſſen,
ſondern dieſe gefeierten Thiere durch die Menſchen
ſelbſt täuſchend darſtellen zu laſſen im Stande iſt.

Unterdeß öffnet ſich die Thüre, und Mutter Syip-
ton, eine fürchterliche Hexe, tritt mit ihrem ähnlichen
Sohne heraus. Die Hausthiere, zu denen ſich noch
eine große Eule geſellt, machen ſogleich ihre Morgen-
Cour nach Kräften. Die Hexe aber iſt unwirſch, ſpricht
eine Verwünſchung über ſie aus, und verwandelt ſie
auf der Stelle (was äußerſt geſchickt gemacht wird)
in die Perſonen der italieniſchen Comödie, die, gleich-
ſam ein Bild der Welt, ſich raſtlos verfolgen, bis der
Klügſte endlich ſiegt. So ſpinnt ſich denn das Mähr-
chen durch tauſend Verwandlungen und Tollheiten
weiter fort, ohne beſondern Zuſammenhang, aber zu-
weilen mit guten Anſpielungen auf die Tagesbegeben-

Briefe eines Verſtorbenen. III. 20
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[305/0351] Kikerikys begrüßt. Eine Elſter neben ihm fängt an zu ſprechen, herumzuſpazieren, und einen in der Mauer- niſche darunterliegenden, gigantiſchen Kater zu necken, der ſeine Glieder ſchläfrig reckt, ſeine Schnautze putzt, und behaglich ſchnurrt. Dieſer Kater wird von einem der Akteurs, welcher ſich nachher in Harlequin ver- wandelt, mit großer Virtuoſität agirt. Sein Spielen mit einer Melone, die Leichtigkeit ſeines Kletterns auf den Schornſtein hinauf und herunter, ſeine Sprün- ge und Manieren ſind ſo natürlich, daß ſie nur den Thieren ſelbſt durch langes Studium abgelauſcht ſeyn können, denn glücklicherweiſe iſt nun die Schauſpiel- kunſt dahin gekommen, daß ſie nicht mehr nöthig hat, Menſchen durch Pudel und Affen überbieten zu laſſen, ſondern dieſe gefeierten Thiere durch die Menſchen ſelbſt täuſchend darſtellen zu laſſen im Stande iſt. Unterdeß öffnet ſich die Thüre, und Mutter Syip- ton, eine fürchterliche Hexe, tritt mit ihrem ähnlichen Sohne heraus. Die Hausthiere, zu denen ſich noch eine große Eule geſellt, machen ſogleich ihre Morgen- Cour nach Kräften. Die Hexe aber iſt unwirſch, ſpricht eine Verwünſchung über ſie aus, und verwandelt ſie auf der Stelle (was äußerſt geſchickt gemacht wird) in die Perſonen der italieniſchen Comödie, die, gleich- ſam ein Bild der Welt, ſich raſtlos verfolgen, bis der Klügſte endlich ſiegt. So ſpinnt ſich denn das Mähr- chen durch tauſend Verwandlungen und Tollheiten weiter fort, ohne beſondern Zuſammenhang, aber zu- weilen mit guten Anſpielungen auf die Tagesbegeben- Briefe eines Verſtorbenen. III. 20

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Zitationshilfe: Pückler-Muskau, Hermann von: Briefe eines Verstorbenen. Bd. 3. Stuttgart, 1831, S. 305. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/pueckler_briefe03_1831/351>, abgerufen am 28.04.2024.