Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Pückler-Muskau, Hermann von: Briefe eines Verstorbenen. Bd. 4. Stuttgart, 1831.

Bild:
<< vorherige Seite

meisters, in der er sich zugleich als wahrer Virtuose
auf der Violine zeigte, und dies nicht etwa blos in
einigen eingelernten Fertigkeiten, sondern in dem gu-
ten Geschmack seines Spiels und einer selten erreich-
ten Fülle und Schönheit des Tones. Man merkte
es seinem ganzen Spiele an, daß er zum Musiker
geboren sey. Hierauf folgte die Darstellung eines
pedantischen Gelehrten, dann eines rohen Schiffcapi-
tains u. s. w., alle Rollen vorzüglich gut ausgeführt,
und besonders ganz vortrefflich und unbefangen im
stummen Spiel, woran so viele scheitern. Napoleon
war die letzte Rolle, die einzige, die mißlang, und ich
möchte sagen, daß grade dies Mißlingen meinem Bei-
fall die Krone aufsetzte. Es ist ein Kennzeichen des
wahren Genius, daß er im Erbärmlichen, Unpassen-
den, Albernen selbst mit albern erscheint, und die
Rolle war die Quintessenz des Abgeschmackten. Im
Leben ist es nicht anders. Macht z. B. einen Lessing
zur Hofschranze, oder Napoleon zum r ..... Lieute-
nant, und Ihr werdet sehen, wie schlecht beide ihre
Rollen ausfüllen.

Ueberhaupt kömmt es nut darauf an, daß Jeder
an seinem Platze stehe, so wird auch Jeder etwas
Vorzügliches entwickeln. So besteht mein Genie
z. B. in einer so zu sagen praktisch angewandten
Phantasie, die ich stellen kann wie eine Uhr, mit der
ich nicht nur mich in jede wirkliche Lage sogleich zu-
rechtfinden, sondern mit der ich mich auch, sie als
Reizmittel gebrauchend, in alle mögliche Abgründe
zu werfen vermag, und wenn ich daran erkranke, sie

meiſters, in der er ſich zugleich als wahrer Virtuoſe
auf der Violine zeigte, und dies nicht etwa blos in
einigen eingelernten Fertigkeiten, ſondern in dem gu-
ten Geſchmack ſeines Spiels und einer ſelten erreich-
ten Fülle und Schönheit des Tones. Man merkte
es ſeinem ganzen Spiele an, daß er zum Muſiker
geboren ſey. Hierauf folgte die Darſtellung eines
pedantiſchen Gelehrten, dann eines rohen Schiffcapi-
tains u. ſ. w., alle Rollen vorzüglich gut ausgeführt,
und beſonders ganz vortrefflich und unbefangen im
ſtummen Spiel, woran ſo viele ſcheitern. Napoleon
war die letzte Rolle, die einzige, die mißlang, und ich
möchte ſagen, daß grade dies Mißlingen meinem Bei-
fall die Krone aufſetzte. Es iſt ein Kennzeichen des
wahren Genius, daß er im Erbärmlichen, Unpaſſen-
den, Albernen ſelbſt mit albern erſcheint, und die
Rolle war die Quinteſſenz des Abgeſchmackten. Im
Leben iſt es nicht anders. Macht z. B. einen Leſſing
zur Hofſchranze, oder Napoleon zum r ..... Lieute-
nant, und Ihr werdet ſehen, wie ſchlecht beide ihre
Rollen ausfüllen.

Ueberhaupt kömmt es nut darauf an, daß Jeder
an ſeinem Platze ſtehe, ſo wird auch Jeder etwas
Vorzügliches entwickeln. So beſteht mein Genie
z. B. in einer ſo zu ſagen praktiſch angewandten
Phantaſie, die ich ſtellen kann wie eine Uhr, mit der
ich nicht nur mich in jede wirkliche Lage ſogleich zu-
rechtfinden, ſondern mit der ich mich auch, ſie als
Reizmittel gebrauchend, in alle mögliche Abgründe
zu werfen vermag, und wenn ich daran erkranke, ſie

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0302" n="284"/>
mei&#x017F;ters, in der er &#x017F;ich zugleich als wahrer Virtuo&#x017F;e<lb/>
auf der Violine zeigte, und dies nicht etwa blos in<lb/>
einigen eingelernten Fertigkeiten, &#x017F;ondern in dem gu-<lb/>
ten Ge&#x017F;chmack &#x017F;eines Spiels und einer &#x017F;elten erreich-<lb/>
ten Fülle und Schönheit des Tones. Man merkte<lb/>
es &#x017F;einem ganzen Spiele an, daß er zum Mu&#x017F;iker<lb/>
geboren &#x017F;ey. Hierauf folgte die Dar&#x017F;tellung eines<lb/>
pedanti&#x017F;chen Gelehrten, dann eines rohen Schiffcapi-<lb/>
tains u. &#x017F;. w., alle Rollen vorzüglich gut ausgeführt,<lb/>
und be&#x017F;onders ganz vortrefflich und unbefangen im<lb/>
&#x017F;tummen Spiel, woran &#x017F;o viele &#x017F;cheitern. Napoleon<lb/>
war die letzte Rolle, die einzige, die mißlang, und ich<lb/>
möchte &#x017F;agen, daß grade dies Mißlingen meinem Bei-<lb/>
fall die Krone auf&#x017F;etzte. Es i&#x017F;t ein Kennzeichen des<lb/>
wahren Genius, daß er im Erbärmlichen, Unpa&#x017F;&#x017F;en-<lb/>
den, Albernen &#x017F;elb&#x017F;t mit albern er&#x017F;cheint, und die<lb/>
Rolle war die Quinte&#x017F;&#x017F;enz des Abge&#x017F;chmackten. Im<lb/>
Leben i&#x017F;t es nicht anders. Macht z. B. einen Le&#x017F;&#x017F;ing<lb/>
zur Hof&#x017F;chranze, oder Napoleon zum r ..... Lieute-<lb/>
nant, und Ihr werdet &#x017F;ehen, wie &#x017F;chlecht beide ihre<lb/>
Rollen ausfüllen.</p><lb/>
          <p>Ueberhaupt kömmt es nut darauf an, daß Jeder<lb/>
an &#x017F;einem Platze &#x017F;tehe, &#x017F;o wird auch Jeder etwas<lb/>
Vorzügliches entwickeln. So be&#x017F;teht mein Genie<lb/>
z. B. in einer &#x017F;o zu &#x017F;agen prakti&#x017F;ch angewandten<lb/>
Phanta&#x017F;ie, die ich &#x017F;tellen kann wie eine Uhr, mit der<lb/>
ich nicht nur mich in jede wirkliche Lage &#x017F;ogleich zu-<lb/>
rechtfinden, &#x017F;ondern mit der ich mich auch, &#x017F;ie als<lb/>
Reizmittel gebrauchend, in alle mögliche Abgründe<lb/>
zu werfen vermag, und wenn ich daran erkranke, &#x017F;ie<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[284/0302] meiſters, in der er ſich zugleich als wahrer Virtuoſe auf der Violine zeigte, und dies nicht etwa blos in einigen eingelernten Fertigkeiten, ſondern in dem gu- ten Geſchmack ſeines Spiels und einer ſelten erreich- ten Fülle und Schönheit des Tones. Man merkte es ſeinem ganzen Spiele an, daß er zum Muſiker geboren ſey. Hierauf folgte die Darſtellung eines pedantiſchen Gelehrten, dann eines rohen Schiffcapi- tains u. ſ. w., alle Rollen vorzüglich gut ausgeführt, und beſonders ganz vortrefflich und unbefangen im ſtummen Spiel, woran ſo viele ſcheitern. Napoleon war die letzte Rolle, die einzige, die mißlang, und ich möchte ſagen, daß grade dies Mißlingen meinem Bei- fall die Krone aufſetzte. Es iſt ein Kennzeichen des wahren Genius, daß er im Erbärmlichen, Unpaſſen- den, Albernen ſelbſt mit albern erſcheint, und die Rolle war die Quinteſſenz des Abgeſchmackten. Im Leben iſt es nicht anders. Macht z. B. einen Leſſing zur Hofſchranze, oder Napoleon zum r ..... Lieute- nant, und Ihr werdet ſehen, wie ſchlecht beide ihre Rollen ausfüllen. Ueberhaupt kömmt es nut darauf an, daß Jeder an ſeinem Platze ſtehe, ſo wird auch Jeder etwas Vorzügliches entwickeln. So beſteht mein Genie z. B. in einer ſo zu ſagen praktiſch angewandten Phantaſie, die ich ſtellen kann wie eine Uhr, mit der ich nicht nur mich in jede wirkliche Lage ſogleich zu- rechtfinden, ſondern mit der ich mich auch, ſie als Reizmittel gebrauchend, in alle mögliche Abgründe zu werfen vermag, und wenn ich daran erkranke, ſie

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/pueckler_briefe04_1831
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/pueckler_briefe04_1831/302
Zitationshilfe: Pückler-Muskau, Hermann von: Briefe eines Verstorbenen. Bd. 4. Stuttgart, 1831, S. 284. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/pueckler_briefe04_1831/302>, abgerufen am 05.05.2024.