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Pückler-Muskau, Hermann von: Briefe eines Verstorbenen. Bd. 4. Stuttgart, 1831.

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wir nicht streiten, wenn es Ihnen reckt ist, nennen
wir es fortan Erbadel."

Nach allen diesen Grübeleien habe ich heute erfah-
ren, daß die frivolsten Weltleute auch über sich selbst
nachdenken. Ein Oesterreicher von Stande, der sich
seit einiger Zeit hier aufhält, ertheilte mir folgenden
Rath praktischer Philosophie, den ich seiner Origina-
lität wegen wörtlich hersetzen muß.

"Nix is halt dümmer," sagte er, "als sich um de
Zukunft gräme! Schaun's, als i hierher kam, war's
grade Sommer, und die Season schon vorbei. Nu
hätt' en Andrer sich gegrämt, grad in so schlechter
Zeit herkommen zu seyn; aber i dacht, 's wird sich
schon hinziehen, und richtig, 's hat sich bis zum No-
vember hingezogen! Unterdessen hat mich der Ester-
hazy ufs Land genemmen, wo i mich gar herrlich
amüsirt hab, und nu is noch a Monat schlecht, dann
wird's wieder full, die Bälle und die Routs gehn
an, und i kann's nie mehr besser wünschen! Wär' i
nu nich a rechter Narr gewesen, mi zu gräme ohne
Noth? hab i ni recht? Man muß in der Welt grad
wie ne H .... leben und nimmer zuviel an die Zu-
kunft denken."

Ich kann annehmen, daß dieser praktische Mann
und ich sehr verschiedene Naturen sind, so wie man-
cher Philosoph vom Fache meine Grübeleien ohnge-
fähr eben so mitleidig betrachten wird, als ich die
des Oesterreichers; und doch kömmt das Resultat
am Ende, wie es scheint, leider bei Allen auf eins

wir nicht ſtreiten, wenn es Ihnen reckt iſt, nennen
wir es fortan Erbadel.“

Nach allen dieſen Grübeleien habe ich heute erfah-
ren, daß die frivolſten Weltleute auch über ſich ſelbſt
nachdenken. Ein Oeſterreicher von Stande, der ſich
ſeit einiger Zeit hier aufhält, ertheilte mir folgenden
Rath praktiſcher Philoſophie, den ich ſeiner Origina-
lität wegen wörtlich herſetzen muß.

„Nix is halt dümmer,“ ſagte er, „als ſich um de
Zukunft gräme! Schaun’s, als i hierher kam, war’s
grade Sommer, und die Seaſon ſchon vorbei. Nu
hätt’ en Andrer ſich gegrämt, grad in ſo ſchlechter
Zeit herkommen zu ſeyn; aber i dacht, ’s wird ſich
ſchon hinziehen, und richtig, ’s hat ſich bis zum No-
vember hingezogen! Unterdeſſen hat mich der Eſter-
hazy ufs Land genemmen, wo i mich gar herrlich
amüſirt hab, und nu is noch a Monat ſchlecht, dann
wird’s wieder full, die Bälle und die Routs gehn
an, und i kann’s nie mehr beſſer wünſchen! Wär’ i
nu nich a rechter Narr geweſen, mi zu gräme ohne
Noth? hab i ni recht? Man muß in der Welt grad
wie ne H .... leben und nimmer zuviel an die Zu-
kunft denken.“

Ich kann annehmen, daß dieſer praktiſche Mann
und ich ſehr verſchiedene Naturen ſind, ſo wie man-
cher Philoſoph vom Fache meine Grübeleien ohnge-
fähr eben ſo mitleidig betrachten wird, als ich die
des Oeſterreichers; und doch kömmt das Reſultat
am Ende, wie es ſcheint, leider bei Allen auf eins

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[288/0306] wir nicht ſtreiten, wenn es Ihnen reckt iſt, nennen wir es fortan Erbadel.“ Nach allen dieſen Grübeleien habe ich heute erfah- ren, daß die frivolſten Weltleute auch über ſich ſelbſt nachdenken. Ein Oeſterreicher von Stande, der ſich ſeit einiger Zeit hier aufhält, ertheilte mir folgenden Rath praktiſcher Philoſophie, den ich ſeiner Origina- lität wegen wörtlich herſetzen muß. „Nix is halt dümmer,“ ſagte er, „als ſich um de Zukunft gräme! Schaun’s, als i hierher kam, war’s grade Sommer, und die Seaſon ſchon vorbei. Nu hätt’ en Andrer ſich gegrämt, grad in ſo ſchlechter Zeit herkommen zu ſeyn; aber i dacht, ’s wird ſich ſchon hinziehen, und richtig, ’s hat ſich bis zum No- vember hingezogen! Unterdeſſen hat mich der Eſter- hazy ufs Land genemmen, wo i mich gar herrlich amüſirt hab, und nu is noch a Monat ſchlecht, dann wird’s wieder full, die Bälle und die Routs gehn an, und i kann’s nie mehr beſſer wünſchen! Wär’ i nu nich a rechter Narr geweſen, mi zu gräme ohne Noth? hab i ni recht? Man muß in der Welt grad wie ne H .... leben und nimmer zuviel an die Zu- kunft denken.“ Ich kann annehmen, daß dieſer praktiſche Mann und ich ſehr verſchiedene Naturen ſind, ſo wie man- cher Philoſoph vom Fache meine Grübeleien ohnge- fähr eben ſo mitleidig betrachten wird, als ich die des Oeſterreichers; und doch kömmt das Reſultat am Ende, wie es ſcheint, leider bei Allen auf eins

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Zitationshilfe: Pückler-Muskau, Hermann von: Briefe eines Verstorbenen. Bd. 4. Stuttgart, 1831, S. 288. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/pueckler_briefe04_1831/306>, abgerufen am 29.04.2024.