Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Purtscheller, Ludwig: Zur Entwicklungsgeschichte des Alpinismus und der alpinen Technik in den Deutschen und Oesterreichischen Alpen. In: Zeitschrift des Deutschen und Oesterreichischen Alpenvereins. Band XXV. Berlin, 1894, S. 95-176.

Bild:
<< vorherige Seite

L. Purtscheller.
es empfiehlt sich daher in der Regel, nur zwei bis drei Personen
an ein Seil zu binden. An die Spitze der Karawane soll sich
stets der tüchtigste Gletschermann stellen, sein Scharfblick wird
am besten die Spalten und Zerklüftungen und auch unnütze
Irrgänge vermeiden. Eine Gesellschaft von nur zwei Personen
muss auf unbekannten, beschneiten, von der Sonne erweichten
Gletscher- und Firngebieten sehr vorsichtig operieren, da ein
Einzelner selten im Stande ist, seinen Gefährten aus einer Kluft
herauszuziehen. Man berücksichtige, dass das Seil sich an dem
überhängenden Kluftrande so tief einschneidet, dass ein Empor-
ziehen oder ein Emporklettern des frei am Seile Hängenden meist
unmöglich sein dürfte. Ein Rettungsmittel wäre dadurch ge-
schaffen, dass man das Seil doppelt nimmt und in Abständen von
je einem Meter Knoten macht. Bricht Einer von der Gesellschaft
durch, so kann der Gestürzte versuchen, in die Knoten einzu-
steigen und sich an denselben emporzuarbeiten, der oben Befind-
liche könnte aber, wenn dies nicht gelingt, das Seil an einem der
Knoten am tief eingerammten Pickel befestigen, den Schnee-
überhang wegschlagen oder sich um Hülfe umsehen.

Sehr grosse Achtsamkeit erfordert die Behandlung des Seiles
auf steilen Eis- oder Firnhängen, da das Ausgleiten eines Theil-
nehmers den Sturz der ganzen Gesellschaft herbeiführen kann.
Um dieser Gefahr vorzubeugen, darf das Seil zwischen den
Touristen nicht den Boden berühren, das Vorrücken soll an ge-
fährlichen Stellen nicht gleichzeitig erfolgen, so dass der Unsichere
von den Uebrigen gehalten wird. Selbstverständlich ist es, gute
Stufen herzustellen, auch Steigeisen leisten in solchen Fällen vor-
treffliche Dienste.

Eine ebenso grosse Verwendung wie auf Eis und Schnee
findet das Seil auf Felsen. Hier ist es nicht nur ein Präservativ
gegen den Sturz, sondern ein Mittel des Hinauf- und Herab-
kommens. Die Seil-Technik auf Felsen hat grosse Erfolge erzielt,
und oft bildet die dünne Manilafaser die einzige Brücke, die uns
den Rückweg zur Stätte der Menschen ermöglicht. Aber gerade
aus diesem Grunde erfordert die Benützung des Seiles auf Felsen
sehr viel Geschick, Umsicht und Ueberlegung, denn Leichtfertigkeit
und Uebereilungen können sich bitter rächen. Insbesondere gilt
dies von dem Abseilen über senkrechte oder überhängende Wände,
eines Kunstgriffes, den manchmal der zuletzt Absteigende an-
zuwenden hat. In diesem Falle ist das doppelte Seil um eine
Felszacke oder um eine eingekerbte Erhöhung zu legen, nachdem

L. Purtscheller.
es empfiehlt sich daher in der Regel, nur zwei bis drei Personen
an ein Seil zu binden. An die Spitze der Karawane soll sich
stets der tüchtigste Gletschermann stellen, sein Scharfblick wird
am besten die Spalten und Zerklüftungen und auch unnütze
Irrgänge vermeiden. Eine Gesellschaft von nur zwei Personen
muss auf unbekannten, beschneiten, von der Sonne erweichten
Gletscher- und Firngebieten sehr vorsichtig operieren, da ein
Einzelner selten im Stande ist, seinen Gefährten aus einer Kluft
herauszuziehen. Man berücksichtige, dass das Seil sich an dem
überhängenden Kluftrande so tief einschneidet, dass ein Empor-
ziehen oder ein Emporklettern des frei am Seile Hängenden meist
unmöglich sein dürfte. Ein Rettungsmittel wäre dadurch ge-
schaffen, dass man das Seil doppelt nimmt und in Abständen von
je einem Meter Knoten macht. Bricht Einer von der Gesellschaft
durch, so kann der Gestürzte versuchen, in die Knoten einzu-
steigen und sich an denselben emporzuarbeiten, der oben Befind-
liche könnte aber, wenn dies nicht gelingt, das Seil an einem der
Knoten am tief eingerammten Pickel befestigen, den Schnee-
überhang wegschlagen oder sich um Hülfe umsehen.

Sehr grosse Achtsamkeit erfordert die Behandlung des Seiles
auf steilen Eis- oder Firnhängen, da das Ausgleiten eines Theil-
nehmers den Sturz der ganzen Gesellschaft herbeiführen kann.
Um dieser Gefahr vorzubeugen, darf das Seil zwischen den
Touristen nicht den Boden berühren, das Vorrücken soll an ge-
fährlichen Stellen nicht gleichzeitig erfolgen, so dass der Unsichere
von den Uebrigen gehalten wird. Selbstverständlich ist es, gute
Stufen herzustellen, auch Steigeisen leisten in solchen Fällen vor-
treffliche Dienste.

Eine ebenso grosse Verwendung wie auf Eis und Schnee
findet das Seil auf Felsen. Hier ist es nicht nur ein Präservativ
gegen den Sturz, sondern ein Mittel des Hinauf- und Herab-
kommens. Die Seil-Technik auf Felsen hat grosse Erfolge erzielt,
und oft bildet die dünne Manilafaser die einzige Brücke, die uns
den Rückweg zur Stätte der Menschen ermöglicht. Aber gerade
aus diesem Grunde erfordert die Benützung des Seiles auf Felsen
sehr viel Geschick, Umsicht und Ueberlegung, denn Leichtfertigkeit
und Uebereilungen können sich bitter rächen. Insbesondere gilt
dies von dem Abseilen über senkrechte oder überhängende Wände,
eines Kunstgriffes, den manchmal der zuletzt Absteigende an-
zuwenden hat. In diesem Falle ist das doppelte Seil um eine
Felszacke oder um eine eingekerbte Erhöhung zu legen, nachdem

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0046" n="140"/><fw place="top" type="header">L. Purtscheller.<lb/></fw>es empfiehlt sich
 daher in der Regel, nur zwei bis drei Personen<lb/>
an ein Seil zu binden. An die Spitze der Karawane
 soll sich<lb/>
stets der tüchtigste Gletschermann stellen, sein Scharfblick wird<lb/>
am besten die
 Spalten und Zerklüftungen und auch unnütze<lb/>
Irrgänge vermeiden. Eine Gesellschaft von nur zwei
 Personen<lb/>
muss auf unbekannten, beschneiten, von der Sonne erweichten<lb/>
Gletscher- und
 Firngebieten sehr vorsichtig operieren, da ein<lb/>
Einzelner selten im Stande ist, seinen Gefährten
 aus einer Kluft<lb/>
herauszuziehen. Man berücksichtige, dass das Seil sich an dem<lb/>
überhängenden
 Kluftrande so tief einschneidet, dass ein Empor-<lb/>
ziehen oder ein Emporklettern des frei am Seile
 Hängenden meist<lb/>
unmöglich sein dürfte. Ein Rettungsmittel wäre dadurch ge-<lb/>
schaffen, dass
 man das Seil doppelt nimmt und in Abständen von<lb/>
je einem Meter Knoten macht. Bricht Einer von
 der Gesellschaft<lb/>
durch, so kann der Gestürzte versuchen, in die Knoten einzu-<lb/>
steigen und
 sich an denselben emporzuarbeiten, der oben Befind-<lb/>
liche könnte aber, wenn dies nicht gelingt,
 das Seil an einem der<lb/>
Knoten am tief eingerammten Pickel befestigen, den Schnee-<lb/>
überhang
 wegschlagen oder sich um Hülfe umsehen.</p><lb/>
          <p>Sehr grosse Achtsamkeit erfordert die Behandlung des Seiles<lb/>
auf steilen Eis- oder Firnhängen,
 da das Ausgleiten eines Theil-<lb/>
nehmers den Sturz der ganzen Gesellschaft herbeiführen
 kann.<lb/>
Um dieser Gefahr vorzubeugen, darf das Seil zwischen den<lb/>
Touristen nicht den Boden
 berühren, das Vorrücken soll an ge-<lb/>
fährlichen Stellen nicht gleichzeitig erfolgen, so dass der
 Unsichere<lb/>
von den Uebrigen gehalten wird. Selbstverständlich ist es, gute<lb/>
Stufen
 herzustellen, auch Steigeisen leisten in solchen Fällen vor-<lb/>
treffliche Dienste.</p><lb/>
          <p>Eine ebenso grosse Verwendung wie auf Eis und Schnee<lb/>
findet das Seil auf Felsen. Hier ist es
 nicht nur ein Präservativ<lb/>
gegen den Sturz, sondern ein Mittel des Hinauf- und
 Herab-<lb/>
kommens. Die Seil-Technik auf Felsen hat grosse Erfolge erzielt,<lb/>
und oft bildet die
 dünne Manilafaser die einzige Brücke, die uns<lb/>
den Rückweg zur Stätte der Menschen ermöglicht.
 Aber gerade<lb/>
aus diesem Grunde erfordert die Benützung des Seiles auf Felsen<lb/>
sehr viel
 Geschick, Umsicht und Ueberlegung, denn Leichtfertigkeit<lb/>
und Uebereilungen können sich bitter
 rächen. Insbesondere gilt<lb/>
dies von dem Abseilen über senkrechte oder überhängende
 Wände,<lb/>
eines Kunstgriffes, den manchmal der zuletzt Absteigende an-<lb/>
zuwenden hat. In diesem
 Falle ist das doppelte Seil um eine<lb/>
Felszacke oder um eine eingekerbte Erhöhung zu legen,
 nachdem<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[140/0046] L. Purtscheller. es empfiehlt sich daher in der Regel, nur zwei bis drei Personen an ein Seil zu binden. An die Spitze der Karawane soll sich stets der tüchtigste Gletschermann stellen, sein Scharfblick wird am besten die Spalten und Zerklüftungen und auch unnütze Irrgänge vermeiden. Eine Gesellschaft von nur zwei Personen muss auf unbekannten, beschneiten, von der Sonne erweichten Gletscher- und Firngebieten sehr vorsichtig operieren, da ein Einzelner selten im Stande ist, seinen Gefährten aus einer Kluft herauszuziehen. Man berücksichtige, dass das Seil sich an dem überhängenden Kluftrande so tief einschneidet, dass ein Empor- ziehen oder ein Emporklettern des frei am Seile Hängenden meist unmöglich sein dürfte. Ein Rettungsmittel wäre dadurch ge- schaffen, dass man das Seil doppelt nimmt und in Abständen von je einem Meter Knoten macht. Bricht Einer von der Gesellschaft durch, so kann der Gestürzte versuchen, in die Knoten einzu- steigen und sich an denselben emporzuarbeiten, der oben Befind- liche könnte aber, wenn dies nicht gelingt, das Seil an einem der Knoten am tief eingerammten Pickel befestigen, den Schnee- überhang wegschlagen oder sich um Hülfe umsehen. Sehr grosse Achtsamkeit erfordert die Behandlung des Seiles auf steilen Eis- oder Firnhängen, da das Ausgleiten eines Theil- nehmers den Sturz der ganzen Gesellschaft herbeiführen kann. Um dieser Gefahr vorzubeugen, darf das Seil zwischen den Touristen nicht den Boden berühren, das Vorrücken soll an ge- fährlichen Stellen nicht gleichzeitig erfolgen, so dass der Unsichere von den Uebrigen gehalten wird. Selbstverständlich ist es, gute Stufen herzustellen, auch Steigeisen leisten in solchen Fällen vor- treffliche Dienste. Eine ebenso grosse Verwendung wie auf Eis und Schnee findet das Seil auf Felsen. Hier ist es nicht nur ein Präservativ gegen den Sturz, sondern ein Mittel des Hinauf- und Herab- kommens. Die Seil-Technik auf Felsen hat grosse Erfolge erzielt, und oft bildet die dünne Manilafaser die einzige Brücke, die uns den Rückweg zur Stätte der Menschen ermöglicht. Aber gerade aus diesem Grunde erfordert die Benützung des Seiles auf Felsen sehr viel Geschick, Umsicht und Ueberlegung, denn Leichtfertigkeit und Uebereilungen können sich bitter rächen. Insbesondere gilt dies von dem Abseilen über senkrechte oder überhängende Wände, eines Kunstgriffes, den manchmal der zuletzt Absteigende an- zuwenden hat. In diesem Falle ist das doppelte Seil um eine Felszacke oder um eine eingekerbte Erhöhung zu legen, nachdem

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Thomas Gloning, Heike Müller, Bastian Schmidt, Sonja Bayer: Texterfassung und Korrekturen (2013-05-07T06:54:31Z)
Hannah Sophia Glaum: Konversion nach XML (2013-05-07T06:54:31Z)
Melanie Henss: Nachkorrekturen (2013-05-07T06:54:31Z)
ANNO – Historische österreichische Zeitungen und Zeitschriften: Bereitstellung der Bilddigitalisate (2013-05-07T06:54:31Z)

Weitere Informationen:

Anmerkungen zur Transkription:

  • Seiten- und Zeilenumbrüche markiert. Silbentrennung entsprechend Vorlage.
  • Bogensignaturen/Kustoden und Kolumnentitel ausgezeichnet, Hervorhebungen ebenso.



Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/purtscheller_alpinismus_1894
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/purtscheller_alpinismus_1894/46
Zitationshilfe: Purtscheller, Ludwig: Zur Entwicklungsgeschichte des Alpinismus und der alpinen Technik in den Deutschen und Oesterreichischen Alpen. In: Zeitschrift des Deutschen und Oesterreichischen Alpenvereins. Band XXV. Berlin, 1894, S. 95-176, hier S. 140. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/purtscheller_alpinismus_1894/46>, abgerufen am 26.04.2024.