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Quantz, Johann Joachim: Versuch einer Anweisung die Flöte traversiere zu spielen. Berlin, 1752.

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Einleitung.
Gefallen dran zu haben. Andere haben die Musik in ihrer Jugend mehr
durch eigene Uebung, als durch richtige Grundsätze erlernet. Bey er-
wachsenen Jahren schämen sie sich des Unterrichts, oder glauben keiner
Anweisung mehr benöthiget zu seyn. Deswegen lassen sie sich nicht gerne
verbessern, sondern wollen vielmehr unter dem Namen der Liebhaber Lob
verdienen. Füget es aber das Schicksal endlich nicht, daß sie durch ihre
andern Wissenschaften zu einer Beförderung gelangen; so ergreifen sie aus
Noth die Musik; mehrentheils aber bleiben sie, wegen des Verlusts der
Zeit, die sie auf andere Wißenschaften haben wenden müssen; aus Man-
gel des Talents, welches zu andern Wißenschaften nicht hinreichend ge-
wesen, und nun vielleicht zur Musik noch weniger zulänglich ist; oder aus
Vorurtheil und falscher Einbildung, welche von andern keine Verbesse-
rung ertragen kann, von der einen Seite nur halbe Gelehrte; von der
andern aber, kaum halbe Musikverständige. Denn wer zum Studiren
keine hinlänglichen Naturgaben besitzt; der hat deren vielleicht noch we-
niger zur Musik. Doch aber, hat ein solcher, der zugleich vom Studi-
ren Werk machet, ein zureichendes Talent zur Musik; und wendet bey
dieser eben den Fleiß an, wie er bey jenem gethan hatte: so hat er nicht
nur vor andern Tonkünstlern einen Vortheil voraus; sondern er kann
auch in der Musik überhaupt mehr Nutzen stiften, als andere: welches
mit vielen Beyspielen dargethan werden kann. Denn wer da weis, wie
viel Einfluß die Mathematik, sammt denen unter ihrem Bezirke stehenden
Wißenschaften, die Weltweisheit, die Dichtkunst, und die Redekunst,
in die Musik haben; der wird gestehen müssen, daß die Musik nicht nur
einen größern Umfang habe, als viele glauben: sondern auch, daß der
bey den meisten Musikverständigen verspürte Mangel obenbemeldeter Wis-
senschaften, die größte Hinderniß an weiterem Fortkommen, und die Ur-
sache sey, warum die Musik noch nicht zu einer größern Vollkommenheit
gebracht worden ist. Wie kann es aber auders seyn: da diejenigen, so
die Theorie besitzen, selten in der Ausübung stark sind: und die, so sich
in der Ausübung hervorthun, selten Meister in der Theorie abgeben
können? Jst es möglich die Musik, bey so gestallten Sachen zu einiger
Vollkommenheit zu bringen? Es ist demnach nöthig, jungen Leuten,
die sich auf die Musik legen, ernstlich anzurathen, daß sie sich bemühen
möchten, wenn ihnen auch die Zeit nicht erlaubet, sich in allen Stu-
dien zu üben, dennoch in den obengemeldeten Wißenschaften, und hier-
nächst auch, in einigen der ausländischen Sprachen, keine Fremdlinge

zu
C 2

Einleitung.
Gefallen dran zu haben. Andere haben die Muſik in ihrer Jugend mehr
durch eigene Uebung, als durch richtige Grundſaͤtze erlernet. Bey er-
wachſenen Jahren ſchaͤmen ſie ſich des Unterrichts, oder glauben keiner
Anweiſung mehr benoͤthiget zu ſeyn. Deswegen laſſen ſie ſich nicht gerne
verbeſſern, ſondern wollen vielmehr unter dem Namen der Liebhaber Lob
verdienen. Fuͤget es aber das Schickſal endlich nicht, daß ſie durch ihre
andern Wiſſenſchaften zu einer Befoͤrderung gelangen; ſo ergreifen ſie aus
Noth die Muſik; mehrentheils aber bleiben ſie, wegen des Verluſts der
Zeit, die ſie auf andere Wißenſchaften haben wenden muͤſſen; aus Man-
gel des Talents, welches zu andern Wißenſchaften nicht hinreichend ge-
weſen, und nun vielleicht zur Muſik noch weniger zulaͤnglich iſt; oder aus
Vorurtheil und falſcher Einbildung, welche von andern keine Verbeſſe-
rung ertragen kann, von der einen Seite nur halbe Gelehrte; von der
andern aber, kaum halbe Muſikverſtaͤndige. Denn wer zum Studiren
keine hinlaͤnglichen Naturgaben beſitzt; der hat deren vielleicht noch we-
niger zur Muſik. Doch aber, hat ein ſolcher, der zugleich vom Studi-
ren Werk machet, ein zureichendes Talent zur Muſik; und wendet bey
dieſer eben den Fleiß an, wie er bey jenem gethan hatte: ſo hat er nicht
nur vor andern Tonkuͤnſtlern einen Vortheil voraus; ſondern er kann
auch in der Muſik uͤberhaupt mehr Nutzen ſtiften, als andere: welches
mit vielen Beyſpielen dargethan werden kann. Denn wer da weis, wie
viel Einfluß die Mathematik, ſammt denen unter ihrem Bezirke ſtehenden
Wißenſchaften, die Weltweisheit, die Dichtkunſt, und die Redekunſt,
in die Muſik haben; der wird geſtehen muͤſſen, daß die Muſik nicht nur
einen groͤßern Umfang habe, als viele glauben: ſondern auch, daß der
bey den meiſten Muſikverſtaͤndigen verſpuͤrte Mangel obenbemeldeter Wiſ-
ſenſchaften, die groͤßte Hinderniß an weiterem Fortkommen, und die Ur-
ſache ſey, warum die Muſik noch nicht zu einer groͤßern Vollkommenheit
gebracht worden iſt. Wie kann es aber auders ſeyn: da diejenigen, ſo
die Theorie beſitzen, ſelten in der Ausuͤbung ſtark ſind: und die, ſo ſich
in der Ausuͤbung hervorthun, ſelten Meiſter in der Theorie abgeben
koͤnnen? Jſt es moͤglich die Muſik, bey ſo geſtallten Sachen zu einiger
Vollkommenheit zu bringen? Es iſt demnach noͤthig, jungen Leuten,
die ſich auf die Muſik legen, ernſtlich anzurathen, daß ſie ſich bemuͤhen
moͤchten, wenn ihnen auch die Zeit nicht erlaubet, ſich in allen Stu-
dien zu uͤben, dennoch in den obengemeldeten Wißenſchaften, und hier-
naͤchſt auch, in einigen der auslaͤndiſchen Sprachen, keine Fremdlinge

zu
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[19/0037] Einleitung. Gefallen dran zu haben. Andere haben die Muſik in ihrer Jugend mehr durch eigene Uebung, als durch richtige Grundſaͤtze erlernet. Bey er- wachſenen Jahren ſchaͤmen ſie ſich des Unterrichts, oder glauben keiner Anweiſung mehr benoͤthiget zu ſeyn. Deswegen laſſen ſie ſich nicht gerne verbeſſern, ſondern wollen vielmehr unter dem Namen der Liebhaber Lob verdienen. Fuͤget es aber das Schickſal endlich nicht, daß ſie durch ihre andern Wiſſenſchaften zu einer Befoͤrderung gelangen; ſo ergreifen ſie aus Noth die Muſik; mehrentheils aber bleiben ſie, wegen des Verluſts der Zeit, die ſie auf andere Wißenſchaften haben wenden muͤſſen; aus Man- gel des Talents, welches zu andern Wißenſchaften nicht hinreichend ge- weſen, und nun vielleicht zur Muſik noch weniger zulaͤnglich iſt; oder aus Vorurtheil und falſcher Einbildung, welche von andern keine Verbeſſe- rung ertragen kann, von der einen Seite nur halbe Gelehrte; von der andern aber, kaum halbe Muſikverſtaͤndige. Denn wer zum Studiren keine hinlaͤnglichen Naturgaben beſitzt; der hat deren vielleicht noch we- niger zur Muſik. Doch aber, hat ein ſolcher, der zugleich vom Studi- ren Werk machet, ein zureichendes Talent zur Muſik; und wendet bey dieſer eben den Fleiß an, wie er bey jenem gethan hatte: ſo hat er nicht nur vor andern Tonkuͤnſtlern einen Vortheil voraus; ſondern er kann auch in der Muſik uͤberhaupt mehr Nutzen ſtiften, als andere: welches mit vielen Beyſpielen dargethan werden kann. Denn wer da weis, wie viel Einfluß die Mathematik, ſammt denen unter ihrem Bezirke ſtehenden Wißenſchaften, die Weltweisheit, die Dichtkunſt, und die Redekunſt, in die Muſik haben; der wird geſtehen muͤſſen, daß die Muſik nicht nur einen groͤßern Umfang habe, als viele glauben: ſondern auch, daß der bey den meiſten Muſikverſtaͤndigen verſpuͤrte Mangel obenbemeldeter Wiſ- ſenſchaften, die groͤßte Hinderniß an weiterem Fortkommen, und die Ur- ſache ſey, warum die Muſik noch nicht zu einer groͤßern Vollkommenheit gebracht worden iſt. Wie kann es aber auders ſeyn: da diejenigen, ſo die Theorie beſitzen, ſelten in der Ausuͤbung ſtark ſind: und die, ſo ſich in der Ausuͤbung hervorthun, ſelten Meiſter in der Theorie abgeben koͤnnen? Jſt es moͤglich die Muſik, bey ſo geſtallten Sachen zu einiger Vollkommenheit zu bringen? Es iſt demnach noͤthig, jungen Leuten, die ſich auf die Muſik legen, ernſtlich anzurathen, daß ſie ſich bemuͤhen moͤchten, wenn ihnen auch die Zeit nicht erlaubet, ſich in allen Stu- dien zu uͤben, dennoch in den obengemeldeten Wißenſchaften, und hier- naͤchſt auch, in einigen der auslaͤndiſchen Sprachen, keine Fremdlinge zu C 2

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Zitationshilfe: Quantz, Johann Joachim: Versuch einer Anweisung die Flöte traversiere zu spielen. Berlin, 1752, S. 19. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/quantz_versuch_1752/37>, abgerufen am 27.04.2024.