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Quantz, Johann Joachim: Versuch einer Anweisung die Flöte traversiere zu spielen. Berlin, 1752.

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des Morgens vor der Mahlzeit langsamer, als Nachmittags nach der Mahlzeit, und des Nachts noch geschwinder als Nachmittags schlage: auch daß er bey einem zur Traurigkeit geneigten Menschen langsamer, als bey einem heftigen und lustigen, gehe. Es kann seyn daß dieses seine Richtigkeit hat. Dem ungeachtet aber könnte man auch dießfalls etwas gewisses bestimmen. Man nehme den Pulsschlag, wie er nach der Mittagsmahlzeit bis Abends, und zwar bey einem lustigen und aufgeräumten, doch dabey etwas hitzigen und flüchtigen Menschen, oder, wenn es so zu reden erlaubet ist, bey einem Menschen von cholerisch-sanguinischem Temperamente geht, zum Grunde: so wird man den rechten getroffen haben. Ein niedergeschlagener, oder trauriger, oder kaltsinniger und träger Mensch, könnte allenfalls bey einem jeden Stücke das Zeitmaaß etwas lebhafter fassen, als sein Puls geht. Ist dieses nicht hinreichend, so will ich noch was genauers bestimmen. Man setze denjenigen Puls, welcher in einer Minute ohngefähr achtzigmal schlägt, zur Richtschnur. Achtzig Pulsschläge, im geschwindesten Tempo des gemeinen geraden Tacts, machen vierzig Tacte aus. Einige wenige Pulsschläge mehr, oder weniger, machen hierbey keinen Unterschied. Z. E. Fünf Pulsschläge in einer Minute mehr, oder fünfe weniger, verlängern oder verkürzen, in vierzig Tacten, jeden Tact um ein Sechzehntheil. Dieses aber beträgt so was geringes, daß es unmöglich zu merken ist. Wessen Pulsschlag nun in einer Minute viel mehr oder weniger Schläge macht, als achtzig, der weis, wie er sich, sowohl in Ansehung der Verminderung als der Vermehrung der Geschwindigkeit, zu verhalten hat. Gesetzt aber auch, daß mein vorgeschlagenes Mittel, dem allen ungeachtet, nicht ganz und gar für allgemein ausgegeben werden könnte, ob ich es gleich theils durch meinen eigenen Pulsschlag, theils durch vielfältige andere Proben, die ich sowohl bey meiner eigenen, als bey fremder Composition, und zwar mit unterschiedenen Leuten angestellet habe, beweisen wollte: so wird es doch darzu dienen, daß niemand, der sich nach der angeführten Methode, vor sich, von den vier Hauptarten des Zeitmaaßes einen Begriff gemacht hat, von dem wahren Tempo eines jeden Stücks allzuweit abweichen wird. Man sieht ja täglich vor Augen, wie sehr öfters das Zeitmaaß gemishandelt wird, wie man nicht selten, eben dasselbe Stück bald mäßig, bald geschwind, bald noch geschwinder spielet. Man weis, daß an vielen Orten, wo man nur auf das Gerathewohl los spielet, öfters aus einem Presto ein Allegretto, und aus einem Adagio ein Andante gemachet

des Morgens vor der Mahlzeit langsamer, als Nachmittags nach der Mahlzeit, und des Nachts noch geschwinder als Nachmittags schlage: auch daß er bey einem zur Traurigkeit geneigten Menschen langsamer, als bey einem heftigen und lustigen, gehe. Es kann seyn daß dieses seine Richtigkeit hat. Dem ungeachtet aber könnte man auch dießfalls etwas gewisses bestimmen. Man nehme den Pulsschlag, wie er nach der Mittagsmahlzeit bis Abends, und zwar bey einem lustigen und aufgeräumten, doch dabey etwas hitzigen und flüchtigen Menschen, oder, wenn es so zu reden erlaubet ist, bey einem Menschen von cholerisch-sanguinischem Temperamente geht, zum Grunde: so wird man den rechten getroffen haben. Ein niedergeschlagener, oder trauriger, oder kaltsinniger und träger Mensch, könnte allenfalls bey einem jeden Stücke das Zeitmaaß etwas lebhafter fassen, als sein Puls geht. Ist dieses nicht hinreichend, so will ich noch was genauers bestimmen. Man setze denjenigen Puls, welcher in einer Minute ohngefähr achtzigmal schlägt, zur Richtschnur. Achtzig Pulsschläge, im geschwindesten Tempo des gemeinen geraden Tacts, machen vierzig Tacte aus. Einige wenige Pulsschläge mehr, oder weniger, machen hierbey keinen Unterschied. Z. E. Fünf Pulsschläge in einer Minute mehr, oder fünfe weniger, verlängern oder verkürzen, in vierzig Tacten, jeden Tact um ein Sechzehntheil. Dieses aber beträgt so was geringes, daß es unmöglich zu merken ist. Wessen Pulsschlag nun in einer Minute viel mehr oder weniger Schläge macht, als achtzig, der weis, wie er sich, sowohl in Ansehung der Verminderung als der Vermehrung der Geschwindigkeit, zu verhalten hat. Gesetzt aber auch, daß mein vorgeschlagenes Mittel, dem allen ungeachtet, nicht ganz und gar für allgemein ausgegeben werden könnte, ob ich es gleich theils durch meinen eigenen Pulsschlag, theils durch vielfältige andere Proben, die ich sowohl bey meiner eigenen, als bey fremder Composition, und zwar mit unterschiedenen Leuten angestellet habe, beweisen wollte: so wird es doch darzu dienen, daß niemand, der sich nach der angeführten Methode, vor sich, von den vier Hauptarten des Zeitmaaßes einen Begriff gemacht hat, von dem wahren Tempo eines jeden Stücks allzuweit abweichen wird. Man sieht ja täglich vor Augen, wie sehr öfters das Zeitmaaß gemishandelt wird, wie man nicht selten, eben dasselbe Stück bald mäßig, bald geschwind, bald noch geschwinder spielet. Man weis, daß an vielen Orten, wo man nur auf das Gerathewohl los spielet, öfters aus einem Presto ein Allegretto, und aus einem Adagio ein Andante gemachet

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des Morgens vor der Mahlzeit langsamer, als Nachmittags nach der Mahlzeit, und des Nachts noch geschwinder als Nachmittags schlage: auch daß er bey einem zur Traurigkeit geneigten Menschen langsamer, als bey einem heftigen und lustigen, gehe. Es kann seyn daß dieses seine Richtigkeit hat. Dem ungeachtet aber könnte man auch dießfalls etwas gewisses bestimmen. Man nehme den Pulsschlag, wie er nach der Mittagsmahlzeit bis Abends, und zwar bey einem lustigen und aufgeräumten, doch dabey etwas hitzigen und flüchtigen Menschen, oder, wenn es so zu reden erlaubet ist, bey einem Menschen von cholerisch-sanguinischem Temperamente geht, zum Grunde: so wird man den rechten getroffen haben. Ein niedergeschlagener, oder trauriger, oder kaltsinniger und träger Mensch, könnte allenfalls bey einem jeden Stücke das Zeitmaaß etwas lebhafter fassen, als sein Puls geht. Ist dieses nicht hinreichend, so will ich noch was genauers bestimmen. Man setze denjenigen Puls, welcher in einer Minute ohngefähr achtzigmal schlägt, zur Richtschnur. Achtzig Pulsschläge, im geschwindesten Tempo des gemeinen geraden Tacts, machen vierzig Tacte aus. Einige wenige Pulsschläge mehr, oder weniger, machen hierbey keinen Unterschied. Z. E. Fünf Pulsschläge in einer Minute mehr, oder fünfe weniger, verlängern oder verkürzen, in vierzig Tacten, jeden Tact um ein Sechzehntheil. Dieses aber beträgt so was geringes, daß es unmöglich zu merken ist. Wessen Pulsschlag nun in einer Minute viel mehr oder weniger Schläge macht, als achtzig, der weis, wie er sich, sowohl in Ansehung der Verminderung als der Vermehrung der Geschwindigkeit, zu verhalten hat. Gesetzt aber auch, daß mein vorgeschlagenes Mittel, dem allen ungeachtet, nicht ganz und gar für allgemein ausgegeben werden könnte, ob ich es gleich theils durch meinen eigenen Pulsschlag, theils durch vielfältige andere Proben, die ich sowohl bey meiner eigenen, als bey fremder Composition, und zwar mit unterschiedenen Leuten angestellet habe, beweisen wollte: so wird es doch darzu dienen, daß niemand, der sich nach der angeführten Methode, vor sich, von den vier Hauptarten des Zeitmaaßes einen <choice><sic>Begrif</sic><corr>Begriff</corr></choice> gemacht hat, von dem wahren Tempo eines jeden Stücks allzuweit abweichen wird. Man sieht ja täglich vor Augen, wie sehr öfters das Zeitmaaß gemishandelt wird, wie man nicht selten, eben dasselbe Stück bald mäßig, bald geschwind, bald noch geschwinder spielet. Man weis, daß an vielen Orten, wo man nur auf das Gerathewohl los spielet, öfters aus einem Presto ein Allegretto, und aus einem Adagio ein Andante gemachet
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[267/0281] des Morgens vor der Mahlzeit langsamer, als Nachmittags nach der Mahlzeit, und des Nachts noch geschwinder als Nachmittags schlage: auch daß er bey einem zur Traurigkeit geneigten Menschen langsamer, als bey einem heftigen und lustigen, gehe. Es kann seyn daß dieses seine Richtigkeit hat. Dem ungeachtet aber könnte man auch dießfalls etwas gewisses bestimmen. Man nehme den Pulsschlag, wie er nach der Mittagsmahlzeit bis Abends, und zwar bey einem lustigen und aufgeräumten, doch dabey etwas hitzigen und flüchtigen Menschen, oder, wenn es so zu reden erlaubet ist, bey einem Menschen von cholerisch-sanguinischem Temperamente geht, zum Grunde: so wird man den rechten getroffen haben. Ein niedergeschlagener, oder trauriger, oder kaltsinniger und träger Mensch, könnte allenfalls bey einem jeden Stücke das Zeitmaaß etwas lebhafter fassen, als sein Puls geht. Ist dieses nicht hinreichend, so will ich noch was genauers bestimmen. Man setze denjenigen Puls, welcher in einer Minute ohngefähr achtzigmal schlägt, zur Richtschnur. Achtzig Pulsschläge, im geschwindesten Tempo des gemeinen geraden Tacts, machen vierzig Tacte aus. Einige wenige Pulsschläge mehr, oder weniger, machen hierbey keinen Unterschied. Z. E. Fünf Pulsschläge in einer Minute mehr, oder fünfe weniger, verlängern oder verkürzen, in vierzig Tacten, jeden Tact um ein Sechzehntheil. Dieses aber beträgt so was geringes, daß es unmöglich zu merken ist. Wessen Pulsschlag nun in einer Minute viel mehr oder weniger Schläge macht, als achtzig, der weis, wie er sich, sowohl in Ansehung der Verminderung als der Vermehrung der Geschwindigkeit, zu verhalten hat. Gesetzt aber auch, daß mein vorgeschlagenes Mittel, dem allen ungeachtet, nicht ganz und gar für allgemein ausgegeben werden könnte, ob ich es gleich theils durch meinen eigenen Pulsschlag, theils durch vielfältige andere Proben, die ich sowohl bey meiner eigenen, als bey fremder Composition, und zwar mit unterschiedenen Leuten angestellet habe, beweisen wollte: so wird es doch darzu dienen, daß niemand, der sich nach der angeführten Methode, vor sich, von den vier Hauptarten des Zeitmaaßes einen Begriff gemacht hat, von dem wahren Tempo eines jeden Stücks allzuweit abweichen wird. Man sieht ja täglich vor Augen, wie sehr öfters das Zeitmaaß gemishandelt wird, wie man nicht selten, eben dasselbe Stück bald mäßig, bald geschwind, bald noch geschwinder spielet. Man weis, daß an vielen Orten, wo man nur auf das Gerathewohl los spielet, öfters aus einem Presto ein Allegretto, und aus einem Adagio ein Andante gemachet

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Zitationshilfe: Quantz, Johann Joachim: Versuch einer Anweisung die Flöte traversiere zu spielen. Berlin, 1752, S. 267. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/quantz_versuchws_1752/281>, abgerufen am 29.04.2024.