Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Quantz, Johann Joachim: Versuch einer Anweisung die Flöte traversiere zu spielen. Berlin, 1752.

Bild:
<< vorherige Seite
72. §.

Hierüber aber kann weder ein Italiäner, noch ein Franzose, wenn er zumal niemals aus seinem Lande gekommen, und nur immer einerley Art von Musik gewohnet gewesen ist, ein richtiges Urtheil fällen. Ein jeder wird die, welche seiner Landesart gemäß ist, für die beste halten, und die andere verachten. Es wird ihn immer, entweder eine lange Gewohnheit, oder ein eingewurzeltes Vorurtheil verhindern, das Gute des Gegentheils, und das Schlechte seiner Parthey einzusehen. Ein dritter hingegen, wenn er anders Einsicht und Erkenntniß besitzet, und unpartheyisch ist, kann hierbey den sichersten Ausschlag geben.

73. §.

In Italien sind meines Wissens niemals, weder französische Opern öffentlich, noch Arien oder andere französische Singstücke insbesondere aufgeführet, noch weniger französische Sänger dahin berufen worden. In Frankreich hingegen hat man, zwar keine italiänische Oper öffentlich, doch aber italiänische Arien, Concerte, Trio, Solo, u.d.m. insbesondere aufgeführet; auch italiänische Sänger dahin kommen lassen, und unterhalten: wovon unter andern das italiänische Concert an der Tuillerie, und verschiedene neuere Vorfälle Zeugniß geben. In Deutschland sind schon von mehr als siebenzig Jahren her, sowohl französische als italiänische Opern, und, von noch längern Zeiten her, andere, in beyderley Geschmacke verfertigte Musiken, öffentlich und ins besondere aufge[f]ühret worden: folglich hat man sich auch italiänischer und französischer Sänger dazu bedienet. Nachdem es aber die Italiäner im Geschmacke immer weiter getrieben haben, die Franzosen hingegen immer auf einer Stelle geblieben sind: so hat man fast seit 20 oder 30 Jahren, außer den Balletten, weder französische Opern, noch andere von dieser Art Musik in Deutschland mehr gehöret. Sowohl die im italiänischen Geschmacke gesetzeten Opern, als Instrumentalstücke, finden nicht nur bis itzo in ganz Deutschland, sondern auch in Spanien, Portugall, England, Pohlen und Rußland Beyfall. Der Franzosen ihre Sprache, Schriften, Poesie, Sitten, Gebräuche, Moden, und was sie sonst Gutes vorzubringen wissen, wird von den meisten europäischen Völkern, besonders aber von den Deutschen, beliebet: nur die Musik nicht mehr wie ehedem; ausgenommen von einigen jungen Leuten, deren erste Ausflucht nach Frankreich geht, und die allda etwan ein Instrument zu

72. §.

Hierüber aber kann weder ein Italiäner, noch ein Franzose, wenn er zumal niemals aus seinem Lande gekommen, und nur immer einerley Art von Musik gewohnet gewesen ist, ein richtiges Urtheil fällen. Ein jeder wird die, welche seiner Landesart gemäß ist, für die beste halten, und die andere verachten. Es wird ihn immer, entweder eine lange Gewohnheit, oder ein eingewurzeltes Vorurtheil verhindern, das Gute des Gegentheils, und das Schlechte seiner Parthey einzusehen. Ein dritter hingegen, wenn er anders Einsicht und Erkenntniß besitzet, und unpartheyisch ist, kann hierbey den sichersten Ausschlag geben.

73. §.

In Italien sind meines Wissens niemals, weder französische Opern öffentlich, noch Arien oder andere französische Singstücke insbesondere aufgeführet, noch weniger französische Sänger dahin berufen worden. In Frankreich hingegen hat man, zwar keine italiänische Oper öffentlich, doch aber italiänische Arien, Concerte, Trio, Solo, u.d.m. insbesondere aufgeführet; auch italiänische Sänger dahin kommen lassen, und unterhalten: wovon unter andern das italiänische Concert an der Tuillerie, und verschiedene neuere Vorfälle Zeugniß geben. In Deutschland sind schon von mehr als siebenzig Jahren her, sowohl französische als italiänische Opern, und, von noch längern Zeiten her, andere, in beyderley Geschmacke verfertigte Musiken, öffentlich und ins besondere aufge[f]ühret worden: folglich hat man sich auch italiänischer und französischer Sänger dazu bedienet. Nachdem es aber die Italiäner im Geschmacke immer weiter getrieben haben, die Franzosen hingegen immer auf einer Stelle geblieben sind: so hat man fast seit 20 oder 30 Jahren, außer den Balletten, weder französische Opern, noch andere von dieser Art Musik in Deutschland mehr gehöret. Sowohl die im italiänischen Geschmacke gesetzeten Opern, als Instrumentalstücke, finden nicht nur bis itzo in ganz Deutschland, sondern auch in Spanien, Portugall, England, Pohlen und Rußland Beyfall. Der Franzosen ihre Sprache, Schriften, Poesie, Sitten, Gebräuche, Moden, und was sie sonst Gutes vorzubringen wissen, wird von den meisten europäischen Völkern, besonders aber von den Deutschen, beliebet: nur die Musik nicht mehr wie ehedem; ausgenommen von einigen jungen Leuten, deren erste Ausflucht nach Frankreich geht, und die allda etwan ein Instrument zu

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <pb facs="#f0335" n="321"/>
          </div>
          <div n="3">
            <head>72. §.</head><lb/>
            <p>Hierüber aber kann weder ein Italiäner, noch ein Franzose, wenn er zumal niemals aus seinem Lande gekommen, und nur immer einerley Art von Musik gewohnet gewesen ist, ein richtiges Urtheil fällen. Ein jeder wird die, welche seiner Landesart gemäß ist, für die beste halten, und die andere verachten. Es wird ihn immer, entweder eine lange Gewohnheit, oder ein eingewurzeltes Vorurtheil verhindern, das Gute des Gegentheils, und das Schlechte seiner Parthey einzusehen. Ein dritter hingegen, wenn er anders Einsicht und Erkenntniß besitzet, und unpartheyisch ist, kann hierbey den sichersten Ausschlag geben.</p>
          </div>
          <div n="3">
            <head>73. §.</head><lb/>
            <p>In Italien sind meines Wissens niemals, weder französische Opern öffentlich, noch Arien oder andere französische Singstücke insbesondere aufgeführet, noch weniger französische Sänger dahin berufen worden. In Frankreich hingegen hat man, zwar keine italiänische Oper öffentlich, doch aber italiänische Arien, Concerte, Trio, Solo, u.d.m. insbesondere aufgeführet; auch italiänische Sänger dahin kommen lassen, und unterhalten: wovon unter andern das italiänische Concert an der Tuillerie, und verschiedene neuere Vorfälle Zeugniß geben. In Deutschland sind schon von mehr als siebenzig Jahren her, sowohl französische als italiänische Opern, und, von noch längern Zeiten her, andere, in beyderley Geschmacke verfertigte Musiken, öffentlich und ins besondere aufge[f]ühret worden: folglich hat man sich auch italiänischer und französischer Sänger dazu bedienet. Nachdem es aber die Italiäner im Geschmacke immer weiter getrieben haben, die Franzosen hingegen immer auf einer Stelle geblieben sind: so hat man fast seit 20 oder 30 Jahren, außer den Balletten, weder französische Opern, noch andere von dieser Art Musik in Deutschland mehr gehöret. Sowohl die im italiänischen Geschmacke gesetzeten Opern, als Instrumentalstücke, finden nicht nur bis itzo in ganz Deutschland, sondern auch in Spanien, Portugall, England, Pohlen und Rußland Beyfall. Der Franzosen ihre Sprache, Schriften, Poesie, Sitten, Gebräuche, Moden, und was sie sonst Gutes vorzubringen wissen, wird von den meisten europäischen Völkern, besonders aber von den Deutschen, beliebet: nur die Musik nicht mehr wie ehedem; ausgenommen von einigen jungen Leuten, deren erste Ausflucht nach Frankreich geht, und die allda etwan ein Instrument zu
</p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[321/0335] 72. §. Hierüber aber kann weder ein Italiäner, noch ein Franzose, wenn er zumal niemals aus seinem Lande gekommen, und nur immer einerley Art von Musik gewohnet gewesen ist, ein richtiges Urtheil fällen. Ein jeder wird die, welche seiner Landesart gemäß ist, für die beste halten, und die andere verachten. Es wird ihn immer, entweder eine lange Gewohnheit, oder ein eingewurzeltes Vorurtheil verhindern, das Gute des Gegentheils, und das Schlechte seiner Parthey einzusehen. Ein dritter hingegen, wenn er anders Einsicht und Erkenntniß besitzet, und unpartheyisch ist, kann hierbey den sichersten Ausschlag geben. 73. §. In Italien sind meines Wissens niemals, weder französische Opern öffentlich, noch Arien oder andere französische Singstücke insbesondere aufgeführet, noch weniger französische Sänger dahin berufen worden. In Frankreich hingegen hat man, zwar keine italiänische Oper öffentlich, doch aber italiänische Arien, Concerte, Trio, Solo, u.d.m. insbesondere aufgeführet; auch italiänische Sänger dahin kommen lassen, und unterhalten: wovon unter andern das italiänische Concert an der Tuillerie, und verschiedene neuere Vorfälle Zeugniß geben. In Deutschland sind schon von mehr als siebenzig Jahren her, sowohl französische als italiänische Opern, und, von noch längern Zeiten her, andere, in beyderley Geschmacke verfertigte Musiken, öffentlich und ins besondere aufge[f]ühret worden: folglich hat man sich auch italiänischer und französischer Sänger dazu bedienet. Nachdem es aber die Italiäner im Geschmacke immer weiter getrieben haben, die Franzosen hingegen immer auf einer Stelle geblieben sind: so hat man fast seit 20 oder 30 Jahren, außer den Balletten, weder französische Opern, noch andere von dieser Art Musik in Deutschland mehr gehöret. Sowohl die im italiänischen Geschmacke gesetzeten Opern, als Instrumentalstücke, finden nicht nur bis itzo in ganz Deutschland, sondern auch in Spanien, Portugall, England, Pohlen und Rußland Beyfall. Der Franzosen ihre Sprache, Schriften, Poesie, Sitten, Gebräuche, Moden, und was sie sonst Gutes vorzubringen wissen, wird von den meisten europäischen Völkern, besonders aber von den Deutschen, beliebet: nur die Musik nicht mehr wie ehedem; ausgenommen von einigen jungen Leuten, deren erste Ausflucht nach Frankreich geht, und die allda etwan ein Instrument zu

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Wikisource: Bereitstellung der Texttranskription und Auszeichnung in Wikisource-Syntax. (2012-10-30T10:17:31Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme aus Wikisource entsprechen muss.
Wikimedia Commons: Bereitstellung der Bilddigitalisate (2012-10-30T10:17:31Z)
Frank Wiegand: Konvertierung von Wikisource-Markup nach XML/TEI gemäß DTA-Basisformat. (2012-10-30T10:17:31Z)

Weitere Informationen:

Anmerkungen zur Transkription:




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/quantz_versuchws_1752
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/quantz_versuchws_1752/335
Zitationshilfe: Quantz, Johann Joachim: Versuch einer Anweisung die Flöte traversiere zu spielen. Berlin, 1752, S. 321. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/quantz_versuchws_1752/335>, abgerufen am 27.04.2024.