Raabe, Wilhelm: Das letzte Recht. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Peter Kurz. Bd. 21. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 205–280. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.Schnäubele ein Document mit klappernden Silberkapseln nach dem andern unter die Nase. Hier die Silberburg, mein, mein! Hier die Aecker am Gretchenkopfe, mein, mein! Hier der Weinberg zur wilden Hütte, mein! Hier die Wiesen im Hasenthal, Alles, Alles mein! Keiner der Zuschauer konnte ein Wort hervorbringen; nur der kaiserliche Notarius sagte: Schneidet die Leiche ab, Meister Scheffer. Ihr seid der reichste Mann zu Rothenburg im Thal! Dieses Recht ist nicht anzugreifen. Fiat justitia! Damit wandte sich der Rechtsgelehrte und ging. Mit dem Richtschwert durchsägte der Henker den Strick, welcher den Erhängten in der Luft hielt. Schwer fiel der Körper zu Boden, und in dem Gemach darunter fuhr die Tochter über den dumpfen Ton zusammen und sank in eine neue wohlthätige Ohnmacht. Seit Menschengedenken war kein Selbstmord in kaiserlich freier Reichsstadt Rothenburg vorgefallen, deßhalb machte der jetzige, der noch dazu unter so seltsamen Umständen stattgefunden hatte, den allergrößten Eindruck auf das Volk. Zurück wichen Alle. Niemand hielt es aus in dem unheimlichen Hause. Niemand glaubte darin länger Athem holen zu können. Die Silberburg ward leer, und todtenstill ward es drin. Auf dem Hausboden blieb der Scharfrichter mit der Leiche und den Schätzen allein zurück. Wolf Scheffer war der Einzige, welcher von Schnäubele ein Document mit klappernden Silberkapseln nach dem andern unter die Nase. Hier die Silberburg, mein, mein! Hier die Aecker am Gretchenkopfe, mein, mein! Hier der Weinberg zur wilden Hütte, mein! Hier die Wiesen im Hasenthal, Alles, Alles mein! Keiner der Zuschauer konnte ein Wort hervorbringen; nur der kaiserliche Notarius sagte: Schneidet die Leiche ab, Meister Scheffer. Ihr seid der reichste Mann zu Rothenburg im Thal! Dieses Recht ist nicht anzugreifen. Fiat justitia! Damit wandte sich der Rechtsgelehrte und ging. Mit dem Richtschwert durchsägte der Henker den Strick, welcher den Erhängten in der Luft hielt. Schwer fiel der Körper zu Boden, und in dem Gemach darunter fuhr die Tochter über den dumpfen Ton zusammen und sank in eine neue wohlthätige Ohnmacht. Seit Menschengedenken war kein Selbstmord in kaiserlich freier Reichsstadt Rothenburg vorgefallen, deßhalb machte der jetzige, der noch dazu unter so seltsamen Umständen stattgefunden hatte, den allergrößten Eindruck auf das Volk. Zurück wichen Alle. Niemand hielt es aus in dem unheimlichen Hause. Niemand glaubte darin länger Athem holen zu können. Die Silberburg ward leer, und todtenstill ward es drin. Auf dem Hausboden blieb der Scharfrichter mit der Leiche und den Schätzen allein zurück. Wolf Scheffer war der Einzige, welcher von <TEI> <text> <body> <div type="chapter" n="8"> <p><pb facs="#f0071"/> Schnäubele ein Document mit klappernden Silberkapseln nach dem andern unter die Nase.</p><lb/> <p>Hier die Silberburg, mein, mein! Hier die Aecker am Gretchenkopfe, mein, mein! Hier der Weinberg zur wilden Hütte, mein! Hier die Wiesen im Hasenthal, Alles, Alles mein!</p><lb/> <p>Keiner der Zuschauer konnte ein Wort hervorbringen; nur der kaiserliche Notarius sagte: </p><lb/> <p>Schneidet die Leiche ab, Meister Scheffer. Ihr seid der reichste Mann zu Rothenburg im Thal! Dieses Recht ist nicht anzugreifen. Fiat justitia!</p><lb/> <p>Damit wandte sich der Rechtsgelehrte und ging.</p><lb/> <p>Mit dem Richtschwert durchsägte der Henker den Strick, welcher den Erhängten in der Luft hielt. Schwer fiel der Körper zu Boden, und in dem Gemach darunter fuhr die Tochter über den dumpfen Ton zusammen und sank in eine neue wohlthätige Ohnmacht.</p><lb/> <p>Seit Menschengedenken war kein Selbstmord in kaiserlich freier Reichsstadt Rothenburg vorgefallen, deßhalb machte der jetzige, der noch dazu unter so seltsamen Umständen stattgefunden hatte, den allergrößten Eindruck auf das Volk.</p><lb/> <p>Zurück wichen Alle. Niemand hielt es aus in dem unheimlichen Hause. Niemand glaubte darin länger Athem holen zu können. Die Silberburg ward leer, und todtenstill ward es drin. Auf dem Hausboden blieb der Scharfrichter mit der Leiche und den Schätzen allein zurück. Wolf Scheffer war der Einzige, welcher von<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [0071]
Schnäubele ein Document mit klappernden Silberkapseln nach dem andern unter die Nase.
Hier die Silberburg, mein, mein! Hier die Aecker am Gretchenkopfe, mein, mein! Hier der Weinberg zur wilden Hütte, mein! Hier die Wiesen im Hasenthal, Alles, Alles mein!
Keiner der Zuschauer konnte ein Wort hervorbringen; nur der kaiserliche Notarius sagte:
Schneidet die Leiche ab, Meister Scheffer. Ihr seid der reichste Mann zu Rothenburg im Thal! Dieses Recht ist nicht anzugreifen. Fiat justitia!
Damit wandte sich der Rechtsgelehrte und ging.
Mit dem Richtschwert durchsägte der Henker den Strick, welcher den Erhängten in der Luft hielt. Schwer fiel der Körper zu Boden, und in dem Gemach darunter fuhr die Tochter über den dumpfen Ton zusammen und sank in eine neue wohlthätige Ohnmacht.
Seit Menschengedenken war kein Selbstmord in kaiserlich freier Reichsstadt Rothenburg vorgefallen, deßhalb machte der jetzige, der noch dazu unter so seltsamen Umständen stattgefunden hatte, den allergrößten Eindruck auf das Volk.
Zurück wichen Alle. Niemand hielt es aus in dem unheimlichen Hause. Niemand glaubte darin länger Athem holen zu können. Die Silberburg ward leer, und todtenstill ward es drin. Auf dem Hausboden blieb der Scharfrichter mit der Leiche und den Schätzen allein zurück. Wolf Scheffer war der Einzige, welcher von
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Zitationshilfe: | Raabe, Wilhelm: Das letzte Recht. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Peter Kurz. Bd. 21. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 205–280. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/raabe_recht_1910/71>, abgerufen am 16.06.2024. |