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Raabe, Wilhelm: Die Chronik der Sperlingsgasse. Berlin, 1857.

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Ich komme jetzt der bedrängten Tante zu Hülfe.

"Ausgeben kann er's freilich, aber das "Wie" ist
jetzt die Frage. Was habt Ihr mit dem Gelde an-
gefangen?"

Das Paar sieht sich stumm an. Plötzlich greift
Lise in ihre Tasche, zieht einen Kirschkern hervor und
schnellt ihn Gustav an die Nase. Die Frage ist ge-
löst!

Ach so! -- ruft die Tante Berg. "Nun es ist gut,
daß es fort ist, so kann er wenigstens nicht wieder Ci-
garren dafür kaufen, wie vorige Woche."

Auch ich bin ganz damit einverstanden, während
Elise dem Vetter den Ellenbogen in die Seite stößt und
ihm zuflüstert: "Warte nur, morgen kriege ich meins!"


Glückliche Kindheit! Alle späteren Lebensalter, die
eine einsame Minute fröhlich verträumen wollen, lassen
dich vor sich aufsteigen, und ich -- der alternde Greis
fülle diese Bogen mit längst vergangenen, längst verges-
senen Kindergedanken und Kindersorgen! -- Träumt
nicht sogar die Menschheit von einem "goldenen Zeit-
alter" einer längst untergegangenen glücklichen Kinder-
Welt? --


Ich komme jetzt der bedrängten Tante zu Hülfe.

„Ausgeben kann er’s freilich, aber das „Wie“ iſt
jetzt die Frage. Was habt Ihr mit dem Gelde an-
gefangen?“

Das Paar ſieht ſich ſtumm an. Plötzlich greift
Liſe in ihre Taſche, zieht einen Kirſchkern hervor und
ſchnellt ihn Guſtav an die Naſe. Die Frage iſt ge-
löſt!

Ach ſo! — ruft die Tante Berg. „Nun es iſt gut,
daß es fort iſt, ſo kann er wenigſtens nicht wieder Ci-
garren dafür kaufen, wie vorige Woche.“

Auch ich bin ganz damit einverſtanden, während
Eliſe dem Vetter den Ellenbogen in die Seite ſtößt und
ihm zuflüſtert: „Warte nur, morgen kriege ich meins!“


Glückliche Kindheit! Alle ſpäteren Lebensalter, die
eine einſame Minute fröhlich verträumen wollen, laſſen
dich vor ſich aufſteigen, und ich — der alternde Greis
fülle dieſe Bogen mit längſt vergangenen, längſt vergeſ-
ſenen Kindergedanken und Kinderſorgen! — Träumt
nicht ſogar die Menſchheit von einem „goldenen Zeit-
alter“ einer längſt untergegangenen glücklichen Kinder-
Welt? —


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[171/0181] Ich komme jetzt der bedrängten Tante zu Hülfe. „Ausgeben kann er’s freilich, aber das „Wie“ iſt jetzt die Frage. Was habt Ihr mit dem Gelde an- gefangen?“ Das Paar ſieht ſich ſtumm an. Plötzlich greift Liſe in ihre Taſche, zieht einen Kirſchkern hervor und ſchnellt ihn Guſtav an die Naſe. Die Frage iſt ge- löſt! Ach ſo! — ruft die Tante Berg. „Nun es iſt gut, daß es fort iſt, ſo kann er wenigſtens nicht wieder Ci- garren dafür kaufen, wie vorige Woche.“ Auch ich bin ganz damit einverſtanden, während Eliſe dem Vetter den Ellenbogen in die Seite ſtößt und ihm zuflüſtert: „Warte nur, morgen kriege ich meins!“ Glückliche Kindheit! Alle ſpäteren Lebensalter, die eine einſame Minute fröhlich verträumen wollen, laſſen dich vor ſich aufſteigen, und ich — der alternde Greis fülle dieſe Bogen mit längſt vergangenen, längſt vergeſ- ſenen Kindergedanken und Kinderſorgen! — Träumt nicht ſogar die Menſchheit von einem „goldenen Zeit- alter“ einer längſt untergegangenen glücklichen Kinder- Welt? —

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Zitationshilfe: Raabe, Wilhelm: Die Chronik der Sperlingsgasse. Berlin, 1857, S. 171. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/raabe_sperlingsgasse_1857/181>, abgerufen am 29.04.2024.