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Raabe, Wilhelm: Die Chronik der Sperlingsgasse. Berlin, 1857.

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Schnolly's Conditorei? -- Einen Spitznamen hätte ich
und meine ganze Nachkommenschaft weg -- drei Ellen
lang! Mein innerer Mensch sträubte sich dagegen. Eine
Droschke konnte ich nicht nehmen, denn meinen Geldvor-
rath hatte das Eierunglück aufgefressen, es blieb mir
nichts anderes übrig, -- als eine neue Mohrrübe abzu-
kratzen, meine Verzweiflung an ihr zu verbeißen. Das
kommt davon, wenn man mit soliden Vorsätzen von
Hause weggeht! Wie gemüthlich hätte ich in dem
Augenblick, statt auf diesem fatalen Eckstein, bei dem
Frühstück der Freiwilligen sitzen können! -- Ich weiß
nicht, wie lange ich so brütend da gesessen habe,
als ich plötzlich, um zum Himmel zu schauen, meinen
Blick aufschlage, aber halbwegs erstarrt ruhen lasse! --
-- Da saß sie! -- Kichernd lehnt sie an dem Eckstein
der andern Straßenecke, mir gegenüber, eine große, grüne,
angebissene Birne in der Hand! -- "Guten Morgen,
Vetter!" lacht sie, ohne sich vom Fleck zu rühren. "Könn-
test Du mir jetzt vielleicht meinen Korb geben? Ich
muß wirklich nach Haus; der Onkel kriegt sonst nichts
zu essen!" -- Ich fahre mit der Hand über die Stirn,
ich muß wirklich erst meine Sinne zusammensuchen; ich
stoße einen tiefen Seufzer aus, -- da erhebt sie sich,
als schicke sie sich an, wieder fortzurennen. In Todes-
angst springe ich auf, bin in einem Satz mit dem ver-

Schnolly’s Conditorei? — Einen Spitznamen hätte ich
und meine ganze Nachkommenſchaft weg — drei Ellen
lang! Mein innerer Menſch ſträubte ſich dagegen. Eine
Droſchke konnte ich nicht nehmen, denn meinen Geldvor-
rath hatte das Eierunglück aufgefreſſen, es blieb mir
nichts anderes übrig, — als eine neue Mohrrübe abzu-
kratzen, meine Verzweiflung an ihr zu verbeißen. Das
kommt davon, wenn man mit ſoliden Vorſätzen von
Hauſe weggeht! Wie gemüthlich hätte ich in dem
Augenblick, ſtatt auf dieſem fatalen Eckſtein, bei dem
Frühſtück der Freiwilligen ſitzen können! — Ich weiß
nicht, wie lange ich ſo brütend da geſeſſen habe,
als ich plötzlich, um zum Himmel zu ſchauen, meinen
Blick aufſchlage, aber halbwegs erſtarrt ruhen laſſe! —
Da ſaß ſie! — Kichernd lehnt ſie an dem Eckſtein
der andern Straßenecke, mir gegenüber, eine große, grüne,
angebiſſene Birne in der Hand! — „Guten Morgen,
Vetter!“ lacht ſie, ohne ſich vom Fleck zu rühren. „Könn-
teſt Du mir jetzt vielleicht meinen Korb geben? Ich
muß wirklich nach Haus; der Onkel kriegt ſonſt nichts
zu eſſen!“ — Ich fahre mit der Hand über die Stirn,
ich muß wirklich erſt meine Sinne zuſammenſuchen; ich
ſtoße einen tiefen Seufzer aus, — da erhebt ſie ſich,
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angſt ſpringe ich auf, bin in einem Satz mit dem ver-

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[198/0208] Schnolly’s Conditorei? — Einen Spitznamen hätte ich und meine ganze Nachkommenſchaft weg — drei Ellen lang! Mein innerer Menſch ſträubte ſich dagegen. Eine Droſchke konnte ich nicht nehmen, denn meinen Geldvor- rath hatte das Eierunglück aufgefreſſen, es blieb mir nichts anderes übrig, — als eine neue Mohrrübe abzu- kratzen, meine Verzweiflung an ihr zu verbeißen. Das kommt davon, wenn man mit ſoliden Vorſätzen von Hauſe weggeht! Wie gemüthlich hätte ich in dem Augenblick, ſtatt auf dieſem fatalen Eckſtein, bei dem Frühſtück der Freiwilligen ſitzen können! — Ich weiß nicht, wie lange ich ſo brütend da geſeſſen habe, als ich plötzlich, um zum Himmel zu ſchauen, meinen Blick aufſchlage, aber halbwegs erſtarrt ruhen laſſe! — — Da ſaß ſie! — Kichernd lehnt ſie an dem Eckſtein der andern Straßenecke, mir gegenüber, eine große, grüne, angebiſſene Birne in der Hand! — „Guten Morgen, Vetter!“ lacht ſie, ohne ſich vom Fleck zu rühren. „Könn- teſt Du mir jetzt vielleicht meinen Korb geben? Ich muß wirklich nach Haus; der Onkel kriegt ſonſt nichts zu eſſen!“ — Ich fahre mit der Hand über die Stirn, ich muß wirklich erſt meine Sinne zuſammenſuchen; ich ſtoße einen tiefen Seufzer aus, — da erhebt ſie ſich, als ſchicke ſie ſich an, wieder fortzurennen. In Todes- angſt ſpringe ich auf, bin in einem Satz mit dem ver-

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Zitationshilfe: Raabe, Wilhelm: Die Chronik der Sperlingsgasse. Berlin, 1857, S. 198. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/raabe_sperlingsgasse_1857/208>, abgerufen am 05.05.2024.