Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Raabe, Wilhelm: Die Chronik der Sperlingsgasse. Berlin, 1857.

Bild:
<< vorherige Seite

nen, den Arm ausstrecken und schreien: Holla, da lauft,
dort geht der rechte Weg, dorthin liegt das Ziel!"

"Und die seitwärts abführenden Holzwege? ..."

"Laufen alle der großen Straße wieder zu, nachdem sie
an irgend einer schönen, merkwürdigen, lehrreichen Stelle
vorübergeführt haben. Ich, der Fußwanderer, habe nie so
viel Erfahrungen für den Geist, so viel Skizzen für
meine Mappe mitgebracht, als wenn ich mich verirrt
hatte."

"Sie müssen ein eigenthümliches Leben geführt ha-
ben und führen!" sagte ich, den sonderbaren Menschen
vor mir ansehend. Er strich mit der Hand über das
sonnverbrannte, verschrumpfte Gesicht und lächelte. --

"Ein Leben, das gern auf Irrwegen geht, ist stets
eigenthümlich!" sagte er. "Uebrigens wird jeder Mensch
mit irgend einer Eigenthümlichkeit geboren, die, wenn
man sie gewähren läßt -- was gewöhnlich nicht ge-
schieht -- sich durch das ganze Leben zu ranken vermag,
hier Blüthen treibend, dort Stacheln ansetzend, dort --
von Außen gestochen -- Galläpfel. Was mich betrifft,
so bin ich von frühester Jugend auf mit der unwider-
stehlichsten Neigung behaftet gewesen, mein Leben auf
dem Rücken liegend hinzubringen und im Stehen und
Gehen die Hände in die Hosentaschen zu stecken. Sie
lächeln, -- aber was ich bin, bin ich dadurch geworden."

nen, den Arm ausſtrecken und ſchreien: Holla, da lauft,
dort geht der rechte Weg, dorthin liegt das Ziel!“

„Und die ſeitwärts abführenden Holzwege? …“

„Laufen alle der großen Straße wieder zu, nachdem ſie
an irgend einer ſchönen, merkwürdigen, lehrreichen Stelle
vorübergeführt haben. Ich, der Fußwanderer, habe nie ſo
viel Erfahrungen für den Geiſt, ſo viel Skizzen für
meine Mappe mitgebracht, als wenn ich mich verirrt
hatte.“

„Sie müſſen ein eigenthümliches Leben geführt ha-
ben und führen!“ ſagte ich, den ſonderbaren Menſchen
vor mir anſehend. Er ſtrich mit der Hand über das
ſonnverbrannte, verſchrumpfte Geſicht und lächelte. —

„Ein Leben, das gern auf Irrwegen geht, iſt ſtets
eigenthümlich!“ ſagte er. „Uebrigens wird jeder Menſch
mit irgend einer Eigenthümlichkeit geboren, die, wenn
man ſie gewähren läßt — was gewöhnlich nicht ge-
ſchieht — ſich durch das ganze Leben zu ranken vermag,
hier Blüthen treibend, dort Stacheln anſetzend, dort —
von Außen geſtochen — Galläpfel. Was mich betrifft,
ſo bin ich von früheſter Jugend auf mit der unwider-
ſtehlichſten Neigung behaftet geweſen, mein Leben auf
dem Rücken liegend hinzubringen und im Stehen und
Gehen die Hände in die Hoſentaſchen zu ſtecken. Sie
lächeln, — aber was ich bin, bin ich dadurch geworden.“

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0051" n="41"/>
nen, den Arm aus&#x017F;trecken und &#x017F;chreien: Holla, da lauft,<lb/>
dort geht der rechte Weg, dorthin liegt das Ziel!&#x201C;</p><lb/>
        <p>&#x201E;Und die &#x017F;eitwärts abführenden Holzwege? &#x2026;&#x201C;</p><lb/>
        <p>&#x201E;Laufen alle der großen Straße wieder zu, nachdem &#x017F;ie<lb/>
an irgend einer &#x017F;chönen, merkwürdigen, lehrreichen Stelle<lb/>
vorübergeführt haben. Ich, der Fußwanderer, habe nie &#x017F;o<lb/>
viel Erfahrungen für den Gei&#x017F;t, &#x017F;o viel Skizzen für<lb/>
meine Mappe mitgebracht, als wenn ich mich verirrt<lb/>
hatte.&#x201C;</p><lb/>
        <p>&#x201E;Sie mü&#x017F;&#x017F;en ein eigenthümliches Leben geführt ha-<lb/>
ben und führen!&#x201C; &#x017F;agte ich, den &#x017F;onderbaren Men&#x017F;chen<lb/>
vor mir an&#x017F;ehend. Er &#x017F;trich mit der Hand über das<lb/>
&#x017F;onnverbrannte, ver&#x017F;chrumpfte Ge&#x017F;icht und lächelte. &#x2014;</p><lb/>
        <p>&#x201E;Ein Leben, das gern auf Irrwegen geht, i&#x017F;t &#x017F;tets<lb/>
eigenthümlich!&#x201C; &#x017F;agte er. &#x201E;Uebrigens wird jeder Men&#x017F;ch<lb/>
mit irgend einer Eigenthümlichkeit geboren, die, wenn<lb/>
man &#x017F;ie gewähren läßt &#x2014; was gewöhnlich nicht ge-<lb/>
&#x017F;chieht &#x2014; &#x017F;ich durch das ganze Leben zu ranken vermag,<lb/>
hier Blüthen treibend, dort Stacheln an&#x017F;etzend, dort &#x2014;<lb/>
von Außen ge&#x017F;tochen &#x2014; Galläpfel. Was mich betrifft,<lb/>
&#x017F;o bin ich von frühe&#x017F;ter Jugend auf mit der unwider-<lb/>
&#x017F;tehlich&#x017F;ten Neigung behaftet gewe&#x017F;en, mein Leben auf<lb/>
dem Rücken liegend hinzubringen und im Stehen und<lb/>
Gehen die Hände in die Ho&#x017F;enta&#x017F;chen zu &#x017F;tecken. Sie<lb/>
lächeln, &#x2014; aber was ich bin, bin ich dadurch geworden.&#x201C;</p><lb/>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[41/0051] nen, den Arm ausſtrecken und ſchreien: Holla, da lauft, dort geht der rechte Weg, dorthin liegt das Ziel!“ „Und die ſeitwärts abführenden Holzwege? …“ „Laufen alle der großen Straße wieder zu, nachdem ſie an irgend einer ſchönen, merkwürdigen, lehrreichen Stelle vorübergeführt haben. Ich, der Fußwanderer, habe nie ſo viel Erfahrungen für den Geiſt, ſo viel Skizzen für meine Mappe mitgebracht, als wenn ich mich verirrt hatte.“ „Sie müſſen ein eigenthümliches Leben geführt ha- ben und führen!“ ſagte ich, den ſonderbaren Menſchen vor mir anſehend. Er ſtrich mit der Hand über das ſonnverbrannte, verſchrumpfte Geſicht und lächelte. — „Ein Leben, das gern auf Irrwegen geht, iſt ſtets eigenthümlich!“ ſagte er. „Uebrigens wird jeder Menſch mit irgend einer Eigenthümlichkeit geboren, die, wenn man ſie gewähren läßt — was gewöhnlich nicht ge- ſchieht — ſich durch das ganze Leben zu ranken vermag, hier Blüthen treibend, dort Stacheln anſetzend, dort — von Außen geſtochen — Galläpfel. Was mich betrifft, ſo bin ich von früheſter Jugend auf mit der unwider- ſtehlichſten Neigung behaftet geweſen, mein Leben auf dem Rücken liegend hinzubringen und im Stehen und Gehen die Hände in die Hoſentaſchen zu ſtecken. Sie lächeln, — aber was ich bin, bin ich dadurch geworden.“

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/raabe_sperlingsgasse_1857
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/raabe_sperlingsgasse_1857/51
Zitationshilfe: Raabe, Wilhelm: Die Chronik der Sperlingsgasse. Berlin, 1857, S. 41. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/raabe_sperlingsgasse_1857/51>, abgerufen am 01.05.2024.