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Raabe, Wilhelm: Die Chronik der Sperlingsgasse. Berlin, 1857.

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wär's aber, wenn Sie Mitarbeiter dieser Chronik der
Sperlingsgasse würden; Sie haben ein gar glückliches
Auge!"

"Glauben Sie?" sagte der Karikaturenzeichner, der
den Kleiderschrankstuhl an das Fenster gezogen hatte
und emsig auf einem Papier kritzelte. "Sie wollen keine
dunkeln Blätter; -- kennen Sie vielleicht die Geschichte
jenes englischen Zerrbildzeichners, der vor dem Spiegel
an seinem eigenen Gesichte die Fratzen der menschlichen
Leidenschaften studirte?"

"Nein, ich kenne die Geschichte nicht. Was ward
mit ihm?"

"Er -- schnitt sich den Hals ab," sagte der Zeich-
ner dumpf, seine vollendete Skizze fortlegend.

Verwundert schaute ich auf. Das Gesicht Strobels
hatte einen Ausdruck von Trübsinn angenommen, der
mich fast erschreckte. Er sprach nicht weiter und es trat
eine Stille ein, während drüben das Kind lachte und
jubelte und die Tänzerin den Spatzen, die sich zwit-
schernd auf die Dachrinne setzten, Brodkrumen streute.
Ich sah, daß der Zeichner allein sein wollte und ging;
der sonderbare Mensch begleitete mich bis zur Treppe.
Dort sagte er, mir die Hand drückend und lächelnd:

"Ich will aber doch Mitarbeiter Ihrer Chronik wer-
den, Signor!" --

wär’s aber, wenn Sie Mitarbeiter dieſer Chronik der
Sperlingsgaſſe würden; Sie haben ein gar glückliches
Auge!“

„Glauben Sie?“ ſagte der Karikaturenzeichner, der
den Kleiderſchrankſtuhl an das Fenſter gezogen hatte
und emſig auf einem Papier kritzelte. „Sie wollen keine
dunkeln Blätter; — kennen Sie vielleicht die Geſchichte
jenes engliſchen Zerrbildzeichners, der vor dem Spiegel
an ſeinem eigenen Geſichte die Fratzen der menſchlichen
Leidenſchaften ſtudirte?“

„Nein, ich kenne die Geſchichte nicht. Was ward
mit ihm?“

„Er — ſchnitt ſich den Hals ab,“ ſagte der Zeich-
ner dumpf, ſeine vollendete Skizze fortlegend.

Verwundert ſchaute ich auf. Das Geſicht Strobels
hatte einen Ausdruck von Trübſinn angenommen, der
mich faſt erſchreckte. Er ſprach nicht weiter und es trat
eine Stille ein, während drüben das Kind lachte und
jubelte und die Tänzerin den Spatzen, die ſich zwit-
ſchernd auf die Dachrinne ſetzten, Brodkrumen ſtreute.
Ich ſah, daß der Zeichner allein ſein wollte und ging;
der ſonderbare Menſch begleitete mich bis zur Treppe.
Dort ſagte er, mir die Hand drückend und lächelnd:

„Ich will aber doch Mitarbeiter Ihrer Chronik wer-
den, Signor!“ —

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[43/0053] wär’s aber, wenn Sie Mitarbeiter dieſer Chronik der Sperlingsgaſſe würden; Sie haben ein gar glückliches Auge!“ „Glauben Sie?“ ſagte der Karikaturenzeichner, der den Kleiderſchrankſtuhl an das Fenſter gezogen hatte und emſig auf einem Papier kritzelte. „Sie wollen keine dunkeln Blätter; — kennen Sie vielleicht die Geſchichte jenes engliſchen Zerrbildzeichners, der vor dem Spiegel an ſeinem eigenen Geſichte die Fratzen der menſchlichen Leidenſchaften ſtudirte?“ „Nein, ich kenne die Geſchichte nicht. Was ward mit ihm?“ „Er — ſchnitt ſich den Hals ab,“ ſagte der Zeich- ner dumpf, ſeine vollendete Skizze fortlegend. Verwundert ſchaute ich auf. Das Geſicht Strobels hatte einen Ausdruck von Trübſinn angenommen, der mich faſt erſchreckte. Er ſprach nicht weiter und es trat eine Stille ein, während drüben das Kind lachte und jubelte und die Tänzerin den Spatzen, die ſich zwit- ſchernd auf die Dachrinne ſetzten, Brodkrumen ſtreute. Ich ſah, daß der Zeichner allein ſein wollte und ging; der ſonderbare Menſch begleitete mich bis zur Treppe. Dort ſagte er, mir die Hand drückend und lächelnd: „Ich will aber doch Mitarbeiter Ihrer Chronik wer- den, Signor!“ —

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Zitationshilfe: Raabe, Wilhelm: Die Chronik der Sperlingsgasse. Berlin, 1857, S. 43. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/raabe_sperlingsgasse_1857/53>, abgerufen am 01.05.2024.