Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Raabe, Wilhelm: Die Chronik der Sperlingsgasse. Berlin, 1857.

Bild:
<< vorherige Seite

Pyramiden von bunten Papierschnitzeln Platz. Papier,
Papier überall! Aber was ich sagen wollte: wäre es
nicht eigentlich die Pflicht zweier Mitarbeiter der welken
Blätter, jetzt auf die Weihnachtswandrung zu gehen?"

"Auch ich wollte Sie eben dazu auffordern," sagte ich.

"Vorwärts!" rief Strobel und stülpte seinen Filz
wieder auf, während ich meinen Mantel und rothen
baumwollenen Regenschirm hervorsuchte.

Wir gingen. Den Hamburger Seelöwen ließen wir
ruhig am Tisch fortbaumeln, nachdem ihn Strobel noch
einen letzten Stoß gegeben hatte. Zur Weihnachtszeit
habe ich gern ein solches Spielzeug in der Nähe; er-
freute sich doch auch der alt und grau gewordene Jean
Paul zu solcher Zeit gern an dem Farbenduft einer höl-
zernen Kindertrompete. --

Welch ein Gang war das, den ich mit dem tollen
Karikaturenzeichner in der Dämmerung des Abends
machte! In wie viel Keller- und andere Fenster mußte
der Mensch schauen; in wie viel kleine frostgeröthete
Hände, die sich an den Ecken und aus den Thorwegen
uns entgegenstreckten, ließ er seine Viergroschenstücke glei-
ten! Welch ein Gang war das! Die Geister, die den
alten Scrooge des Meister Boz über die Weihnachts-
welt führten, hätten mich nicht besser leiten können, als
Herr Ulrich Strobel. Jetzt betrachteten wir die phan-

Pyramiden von bunten Papierſchnitzeln Platz. Papier,
Papier überall! Aber was ich ſagen wollte: wäre es
nicht eigentlich die Pflicht zweier Mitarbeiter der welken
Blätter, jetzt auf die Weihnachtswandrung zu gehen?“

„Auch ich wollte Sie eben dazu auffordern,“ ſagte ich.

„Vorwärts!“ rief Strobel und ſtülpte ſeinen Filz
wieder auf, während ich meinen Mantel und rothen
baumwollenen Regenſchirm hervorſuchte.

Wir gingen. Den Hamburger Seelöwen ließen wir
ruhig am Tiſch fortbaumeln, nachdem ihn Strobel noch
einen letzten Stoß gegeben hatte. Zur Weihnachtszeit
habe ich gern ein ſolches Spielzeug in der Nähe; er-
freute ſich doch auch der alt und grau gewordene Jean
Paul zu ſolcher Zeit gern an dem Farbenduft einer höl-
zernen Kindertrompete. —

Welch ein Gang war das, den ich mit dem tollen
Karikaturenzeichner in der Dämmerung des Abends
machte! In wie viel Keller- und andere Fenſter mußte
der Menſch ſchauen; in wie viel kleine froſtgeröthete
Hände, die ſich an den Ecken und aus den Thorwegen
uns entgegenſtreckten, ließ er ſeine Viergroſchenſtücke glei-
ten! Welch ein Gang war das! Die Geiſter, die den
alten Scrooge des Meiſter Boz über die Weihnachts-
welt führten, hätten mich nicht beſſer leiten können, als
Herr Ulrich Strobel. Jetzt betrachteten wir die phan-

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0074" n="64"/>
Pyramiden von bunten Papier&#x017F;chnitzeln Platz. Papier,<lb/>
Papier überall! Aber was ich &#x017F;agen wollte: wäre es<lb/>
nicht eigentlich die Pflicht zweier Mitarbeiter der welken<lb/>
Blätter, jetzt auf die Weihnachtswandrung zu gehen?&#x201C;</p><lb/>
        <p>&#x201E;Auch ich wollte Sie eben dazu auffordern,&#x201C; &#x017F;agte ich.</p><lb/>
        <p>&#x201E;Vorwärts!&#x201C; rief Strobel und &#x017F;tülpte &#x017F;einen Filz<lb/>
wieder auf, während ich meinen Mantel und rothen<lb/>
baumwollenen Regen&#x017F;chirm hervor&#x017F;uchte.</p><lb/>
        <p>Wir gingen. Den Hamburger Seelöwen ließen wir<lb/>
ruhig am Ti&#x017F;ch fortbaumeln, nachdem ihn Strobel noch<lb/>
einen letzten Stoß gegeben hatte. Zur Weihnachtszeit<lb/>
habe ich gern ein &#x017F;olches Spielzeug in der Nähe; er-<lb/>
freute &#x017F;ich doch auch der alt und grau gewordene Jean<lb/>
Paul zu &#x017F;olcher Zeit gern an dem Farbenduft einer höl-<lb/>
zernen Kindertrompete. &#x2014;</p><lb/>
        <p>Welch ein Gang war das, den ich mit dem tollen<lb/>
Karikaturenzeichner in der Dämmerung des Abends<lb/>
machte! In wie viel Keller- und andere Fen&#x017F;ter mußte<lb/>
der Men&#x017F;ch &#x017F;chauen; in wie viel kleine fro&#x017F;tgeröthete<lb/>
Hände, die &#x017F;ich an den Ecken und aus den Thorwegen<lb/>
uns entgegen&#x017F;treckten, ließ er &#x017F;eine Viergro&#x017F;chen&#x017F;tücke glei-<lb/>
ten! Welch ein Gang war das! Die Gei&#x017F;ter, die den<lb/>
alten Scrooge des Mei&#x017F;ter Boz über die Weihnachts-<lb/>
welt führten, hätten mich nicht be&#x017F;&#x017F;er leiten können, als<lb/>
Herr Ulrich Strobel. Jetzt betrachteten wir die phan-<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[64/0074] Pyramiden von bunten Papierſchnitzeln Platz. Papier, Papier überall! Aber was ich ſagen wollte: wäre es nicht eigentlich die Pflicht zweier Mitarbeiter der welken Blätter, jetzt auf die Weihnachtswandrung zu gehen?“ „Auch ich wollte Sie eben dazu auffordern,“ ſagte ich. „Vorwärts!“ rief Strobel und ſtülpte ſeinen Filz wieder auf, während ich meinen Mantel und rothen baumwollenen Regenſchirm hervorſuchte. Wir gingen. Den Hamburger Seelöwen ließen wir ruhig am Tiſch fortbaumeln, nachdem ihn Strobel noch einen letzten Stoß gegeben hatte. Zur Weihnachtszeit habe ich gern ein ſolches Spielzeug in der Nähe; er- freute ſich doch auch der alt und grau gewordene Jean Paul zu ſolcher Zeit gern an dem Farbenduft einer höl- zernen Kindertrompete. — Welch ein Gang war das, den ich mit dem tollen Karikaturenzeichner in der Dämmerung des Abends machte! In wie viel Keller- und andere Fenſter mußte der Menſch ſchauen; in wie viel kleine froſtgeröthete Hände, die ſich an den Ecken und aus den Thorwegen uns entgegenſtreckten, ließ er ſeine Viergroſchenſtücke glei- ten! Welch ein Gang war das! Die Geiſter, die den alten Scrooge des Meiſter Boz über die Weihnachts- welt führten, hätten mich nicht beſſer leiten können, als Herr Ulrich Strobel. Jetzt betrachteten wir die phan-

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/raabe_sperlingsgasse_1857
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/raabe_sperlingsgasse_1857/74
Zitationshilfe: Raabe, Wilhelm: Die Chronik der Sperlingsgasse. Berlin, 1857, S. 64. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/raabe_sperlingsgasse_1857/74>, abgerufen am 01.05.2024.