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Raabe, Wilhelm: Stopfkuchen. Eine See- und Mordgeschichte. Berlin, 1891.

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in meines Vaters Hause nicht vorfand, der hatte
mich nur beim alten Registrator Schwartner zu suchen,
da fand er mich ziemlich sicher. ,Schulkenntnisse,
Heinrich,' sagte der alte Schwartner. ,Erwirb Dir
ja Schulkenntnisse und vorzüglich Geschichte. Ohne
Geschichtskenntnisse bleibt der Gescheuteste ein dummer
Esel, mit ihr steckt er als überlegener Mensch eine
ganze Stadt, ein ganz Gemeinwesen wissenschaftlich
in die Tasche. Brauchst da bloß mich anzusehen,
den bloßen Subalternenbeamten, der ihnen allen doch
allein sagen kann, wie es mit ihnen eigentlich steht.'
Viele allgemeine Geschichtskenntniß habe ich nun frei-
lich doch nicht aus der Freundschaft des alten Herrn
gezogen; aber die Geschichte des siebenjährigen Krieges
und der rothen Schanze die weiß ich von ihm, mag
es meinetwegen mit dem Uebrigen bestellt sein und
bleiben wie es ist. Ja, ja, Eduard, sein, des alten
Schwartners Großonkel oder Urgroßonkel hatte als
damaliger Stadtsyndikus den Prinzen Xaverius
persönlich gesprochen. Der Prinz hatte ihm seine
Dose geboten, aber ihm seinen Beitrag zur Contribution
und Brandschatzung nach gewonnener Stadt leider
nicht erlassen. Er, der Herr Registrator, bewahrte
auch noch viele andere Sachen in seinem gespenstischen
Familienhause zum Angedenken an jene unruhige
Zeit auf: ein Sponton in der Ecke hinter seinem
Schreibtische, Pläne und Kupferstiche an den Wänden,
Stühle, auf welchen die Urgroßmutter und die Groß-
mutter mit dem preußischen Stadtkommandanten gesessen
hatten, einen Tisch, von welchem die Einquartierung

in meines Vaters Hauſe nicht vorfand, der hatte
mich nur beim alten Regiſtrator Schwartner zu ſuchen,
da fand er mich ziemlich ſicher. ‚Schulkenntniſſe,
Heinrich,‘ ſagte der alte Schwartner. ‚Erwirb Dir
ja Schulkenntniſſe und vorzüglich Geſchichte. Ohne
Geſchichtskenntniſſe bleibt der Geſcheuteſte ein dummer
Eſel, mit ihr ſteckt er als überlegener Menſch eine
ganze Stadt, ein ganz Gemeinweſen wiſſenſchaftlich
in die Taſche. Brauchſt da bloß mich anzuſehen,
den bloßen Subalternenbeamten, der ihnen allen doch
allein ſagen kann, wie es mit ihnen eigentlich ſteht.‘
Viele allgemeine Geſchichtskenntniß habe ich nun frei-
lich doch nicht aus der Freundſchaft des alten Herrn
gezogen; aber die Geſchichte des ſiebenjährigen Krieges
und der rothen Schanze die weiß ich von ihm, mag
es meinetwegen mit dem Uebrigen beſtellt ſein und
bleiben wie es iſt. Ja, ja, Eduard, ſein, des alten
Schwartners Großonkel oder Urgroßonkel hatte als
damaliger Stadtſyndikus den Prinzen Xaverius
perſönlich geſprochen. Der Prinz hatte ihm ſeine
Doſe geboten, aber ihm ſeinen Beitrag zur Contribution
und Brandſchatzung nach gewonnener Stadt leider
nicht erlaſſen. Er, der Herr Regiſtrator, bewahrte
auch noch viele andere Sachen in ſeinem geſpenſtiſchen
Familienhauſe zum Angedenken an jene unruhige
Zeit auf: ein Sponton in der Ecke hinter ſeinem
Schreibtiſche, Pläne und Kupferſtiche an den Wänden,
Stühle, auf welchen die Urgroßmutter und die Groß-
mutter mit dem preußiſchen Stadtkommandanten geſeſſen
hatten, einen Tiſch, von welchem die Einquartierung

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[91/0101] in meines Vaters Hauſe nicht vorfand, der hatte mich nur beim alten Regiſtrator Schwartner zu ſuchen, da fand er mich ziemlich ſicher. ‚Schulkenntniſſe, Heinrich,‘ ſagte der alte Schwartner. ‚Erwirb Dir ja Schulkenntniſſe und vorzüglich Geſchichte. Ohne Geſchichtskenntniſſe bleibt der Geſcheuteſte ein dummer Eſel, mit ihr ſteckt er als überlegener Menſch eine ganze Stadt, ein ganz Gemeinweſen wiſſenſchaftlich in die Taſche. Brauchſt da bloß mich anzuſehen, den bloßen Subalternenbeamten, der ihnen allen doch allein ſagen kann, wie es mit ihnen eigentlich ſteht.‘ Viele allgemeine Geſchichtskenntniß habe ich nun frei- lich doch nicht aus der Freundſchaft des alten Herrn gezogen; aber die Geſchichte des ſiebenjährigen Krieges und der rothen Schanze die weiß ich von ihm, mag es meinetwegen mit dem Uebrigen beſtellt ſein und bleiben wie es iſt. Ja, ja, Eduard, ſein, des alten Schwartners Großonkel oder Urgroßonkel hatte als damaliger Stadtſyndikus den Prinzen Xaverius perſönlich geſprochen. Der Prinz hatte ihm ſeine Doſe geboten, aber ihm ſeinen Beitrag zur Contribution und Brandſchatzung nach gewonnener Stadt leider nicht erlaſſen. Er, der Herr Regiſtrator, bewahrte auch noch viele andere Sachen in ſeinem geſpenſtiſchen Familienhauſe zum Angedenken an jene unruhige Zeit auf: ein Sponton in der Ecke hinter ſeinem Schreibtiſche, Pläne und Kupferſtiche an den Wänden, Stühle, auf welchen die Urgroßmutter und die Groß- mutter mit dem preußiſchen Stadtkommandanten geſeſſen hatten, einen Tiſch, von welchem die Einquartierung

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Zitationshilfe: Raabe, Wilhelm: Stopfkuchen. Eine See- und Mordgeschichte. Berlin, 1891, S. 91. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/raabe_stopfkuchen_1891/101>, abgerufen am 15.05.2024.