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Raabe, Wilhelm: Stopfkuchen. Eine See- und Mordgeschichte. Berlin, 1891.

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Störzer. Mein Vater hat es heute früh beim Kaffee
aus der Zeitung vorgelesen. Das hat viele Ort-
schaften übereinandergeschmissen und darunter eine
Stadt so groß wie unsere. Donnerwetter, wer da
hätte bei sein können, Störzer!"

"Ja, Eduard, das sagten Anno Fünfzig auch
Viele von uns bei der großen Mobilmachung, wenn
alte Leute, die dabei gewesen waren von der Schlacht
bei Leipzig oder der Schlacht bei Waterloo und den
Drangsalen auf den Märschen erzählten. Nachher
war's uns Allen aber doch recht lieb, daß es diesmal
zu nichts Rechtem kam. Das größte Großmaul von
uns hatte die Geschichte bloß nur auf dem Exerzir-
platz bald satt. Und selbst Karl Drönemann, den
sie zu einem reitenden Postillon bei der Kriegs-
post gemacht hatten, meinte: zu Hause davon nachher
zu erzählen, wiege es doch nicht auf, es vorher mit
seinem eigenen menschlichen Leben selber durchgemacht
zu haben. Das ist wie mit den Reisebeschreibungen.
Nimm da nur unsern Levalljang, wie hübsch sich das
liest, weil er es so hübsch zu Hause beschrieben hat. ...
Also in Südamerika ist das große Erdbeben diesmal
gewesen? Ja, ja die Geographie ist doch die allerhöchste
Wissenschaft für uns Alle von der Post! Wieviele
sind wohl umgekommen, Eduard?"

"Na, so an die Hunderttausend. Auf das Ge-
nauste kann man das wohl nicht ausrechnen."

"Hm, ein paar Tausend mehr oder weniger!
Einer mehr oder weniger! Ja, Einer mehr oder
weniger -- weniger. Eduard, unser Herrgott muß

Störzer. Mein Vater hat es heute früh beim Kaffee
aus der Zeitung vorgeleſen. Das hat viele Ort-
ſchaften übereinandergeſchmiſſen und darunter eine
Stadt ſo groß wie unſere. Donnerwetter, wer da
hätte bei ſein können, Störzer!“

„Ja, Eduard, das ſagten Anno Fünfzig auch
Viele von uns bei der großen Mobilmachung, wenn
alte Leute, die dabei geweſen waren von der Schlacht
bei Leipzig oder der Schlacht bei Waterloo und den
Drangſalen auf den Märſchen erzählten. Nachher
war's uns Allen aber doch recht lieb, daß es diesmal
zu nichts Rechtem kam. Das größte Großmaul von
uns hatte die Geſchichte bloß nur auf dem Exerzir-
platz bald ſatt. Und ſelbſt Karl Drönemann, den
ſie zu einem reitenden Poſtillon bei der Kriegs-
poſt gemacht hatten, meinte: zu Hauſe davon nachher
zu erzählen, wiege es doch nicht auf, es vorher mit
ſeinem eigenen menſchlichen Leben ſelber durchgemacht
zu haben. Das iſt wie mit den Reiſebeſchreibungen.
Nimm da nur unſern Levalljang, wie hübſch ſich das
lieſt, weil er es ſo hübſch zu Hauſe beſchrieben hat. ...
Alſo in Südamerika iſt das große Erdbeben diesmal
geweſen? Ja, ja die Geographie iſt doch die allerhöchſte
Wiſſenſchaft für uns Alle von der Poſt! Wieviele
ſind wohl umgekommen, Eduard?“

„Na, ſo an die Hunderttauſend. Auf das Ge-
nauſte kann man das wohl nicht ausrechnen.“

„Hm, ein paar Tauſend mehr oder weniger!
Einer mehr oder weniger! Ja, Einer mehr oder
weniger — weniger. Eduard, unſer Herrgott muß

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[16/0026] Störzer. Mein Vater hat es heute früh beim Kaffee aus der Zeitung vorgeleſen. Das hat viele Ort- ſchaften übereinandergeſchmiſſen und darunter eine Stadt ſo groß wie unſere. Donnerwetter, wer da hätte bei ſein können, Störzer!“ „Ja, Eduard, das ſagten Anno Fünfzig auch Viele von uns bei der großen Mobilmachung, wenn alte Leute, die dabei geweſen waren von der Schlacht bei Leipzig oder der Schlacht bei Waterloo und den Drangſalen auf den Märſchen erzählten. Nachher war's uns Allen aber doch recht lieb, daß es diesmal zu nichts Rechtem kam. Das größte Großmaul von uns hatte die Geſchichte bloß nur auf dem Exerzir- platz bald ſatt. Und ſelbſt Karl Drönemann, den ſie zu einem reitenden Poſtillon bei der Kriegs- poſt gemacht hatten, meinte: zu Hauſe davon nachher zu erzählen, wiege es doch nicht auf, es vorher mit ſeinem eigenen menſchlichen Leben ſelber durchgemacht zu haben. Das iſt wie mit den Reiſebeſchreibungen. Nimm da nur unſern Levalljang, wie hübſch ſich das lieſt, weil er es ſo hübſch zu Hauſe beſchrieben hat. ... Alſo in Südamerika iſt das große Erdbeben diesmal geweſen? Ja, ja die Geographie iſt doch die allerhöchſte Wiſſenſchaft für uns Alle von der Poſt! Wieviele ſind wohl umgekommen, Eduard?“ „Na, ſo an die Hunderttauſend. Auf das Ge- nauſte kann man das wohl nicht ausrechnen.“ „Hm, ein paar Tauſend mehr oder weniger! Einer mehr oder weniger! Ja, Einer mehr oder weniger — weniger. Eduard, unſer Herrgott muß

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Zitationshilfe: Raabe, Wilhelm: Stopfkuchen. Eine See- und Mordgeschichte. Berlin, 1891, S. 16. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/raabe_stopfkuchen_1891/26>, abgerufen am 27.04.2024.