Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Raabe, Wilhelm: Stopfkuchen. Eine See- und Mordgeschichte. Berlin, 1891.

Bild:
<< vorherige Seite

und wie sie lag; daß ich sie wie sie war, im Ge-
dächtniß behalten konnte: als einen sonnenbeleuchteten
Punkt im schönsten Heimathsgrün.

Schon ersuchte mein Wagengegenüber mich
höflichst, des Zuges wegen doch lieber das Fenster
auf dieser Seite zu schließen, da der Wind von der
Seite komme und das entgegengesetzte offen stehe.
Da auch die Sonne als Hitzespenderin in das be-
treffende Fenster schien, kam ich gern dem Wunsch
der Dame nach. Ich zog die Scheibe herauf und
die blauen Vorhänge zusammen, und ich kann es
nicht leugnen, daß mir die blaue Dämmerung ganz
wohl that nach dem kurz-scharf-angestrengten Aus-
schauen in den scharf-hellen Morgen hinein mit seinem
blendenden Gelb und Grün und den beiden winzigen
Figürchen auf dem Walle der rothen Schanze -- nach
dem letzten Ausgucken nach dem guten dicken Freunde
und der lieben, guten Freundin Valentine Schaumann
in der Jugendheimath! So etwas von Kohlenstaub
aus der Lokomotive war mir so schon ins rechte Auge
geweht.

Aber noch etwas will ich nicht leugnen: nämlich
daß mich das blaue Licht oder die lichtblaue Dämmerung,
in der ich bei der Abfahrt von der Heimath di[e] Augen
schloß, um mich erst wieder an die rechte Beleuchtung
zu gewöhnen, trotz dieser Gewöhnung dennoch bis
Hamburg, bis auf das Schiff -- bis in diese Stunde
begleitet hat. Vernünftige Leute werden wohl sagen:
"Ja, worauf fällt der [Me]nsch nicht, um sich bei
günstiger Fahrt und auf fast zu ruhiger See die

und wie ſie lag; daß ich ſie wie ſie war, im Ge-
dächtniß behalten konnte: als einen ſonnenbeleuchteten
Punkt im ſchönſten Heimathsgrün.

Schon erſuchte mein Wagengegenüber mich
höflichſt, des Zuges wegen doch lieber das Fenſter
auf dieſer Seite zu ſchließen, da der Wind von der
Seite komme und das entgegengeſetzte offen ſtehe.
Da auch die Sonne als Hitzeſpenderin in das be-
treffende Fenſter ſchien, kam ich gern dem Wunſch
der Dame nach. Ich zog die Scheibe herauf und
die blauen Vorhänge zuſammen, und ich kann es
nicht leugnen, daß mir die blaue Dämmerung ganz
wohl that nach dem kurz-ſcharf-angeſtrengten Aus-
ſchauen in den ſcharf-hellen Morgen hinein mit ſeinem
blendenden Gelb und Grün und den beiden winzigen
Figürchen auf dem Walle der rothen Schanze — nach
dem letzten Ausgucken nach dem guten dicken Freunde
und der lieben, guten Freundin Valentine Schaumann
in der Jugendheimath! So etwas von Kohlenſtaub
aus der Lokomotive war mir ſo ſchon ins rechte Auge
geweht.

Aber noch etwas will ich nicht leugnen: nämlich
daß mich das blaue Licht oder die lichtblaue Dämmerung,
in der ich bei der Abfahrt von der Heimath di[e] Augen
ſchloß, um mich erſt wieder an die rechte Beleuchtung
zu gewöhnen, trotz dieſer Gewöhnung dennoch bis
Hamburg, bis auf das Schiff — bis in dieſe Stunde
begleitet hat. Vernünftige Leute werden wohl ſagen:
„Ja, worauf fällt der [Me]nſch nicht, um ſich bei
günſtiger Fahrt und auf faſt zu ruhiger See die

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0292" n="282"/>
und wie &#x017F;ie lag; daß ich &#x017F;ie wie &#x017F;ie war, im Ge-<lb/>
dächtniß behalten konnte: als einen &#x017F;onnenbeleuchteten<lb/>
Punkt im &#x017F;chön&#x017F;ten Heimathsgrün.</p><lb/>
        <p>Schon er&#x017F;uchte mein Wagengegenüber mich<lb/>
höflich&#x017F;t, des Zuges wegen doch lieber das Fen&#x017F;ter<lb/>
auf die&#x017F;er Seite zu &#x017F;chließen, da der Wind von der<lb/>
Seite komme und das entgegenge&#x017F;etzte offen &#x017F;tehe.<lb/>
Da auch die Sonne als Hitze&#x017F;penderin in das be-<lb/>
treffende Fen&#x017F;ter &#x017F;chien, kam ich gern dem Wun&#x017F;ch<lb/>
der Dame nach. Ich zog die Scheibe herauf und<lb/>
die blauen Vorhänge zu&#x017F;ammen, und ich kann es<lb/>
nicht leugnen, daß mir die blaue Dämmerung ganz<lb/>
wohl that nach dem kurz-&#x017F;charf-ange&#x017F;trengten Aus-<lb/>
&#x017F;chauen in den &#x017F;charf-hellen Morgen hinein mit &#x017F;einem<lb/>
blendenden Gelb und Grün und den beiden winzigen<lb/>
Figürchen auf dem Walle der rothen Schanze &#x2014; nach<lb/>
dem letzten Ausgucken nach dem guten dicken Freunde<lb/>
und der lieben, guten Freundin Valentine Schaumann<lb/>
in der Jugendheimath! So etwas von Kohlen&#x017F;taub<lb/>
aus der Lokomotive war mir &#x017F;o &#x017F;chon ins rechte Auge<lb/>
geweht.</p><lb/>
        <p>Aber noch etwas will ich nicht leugnen: nämlich<lb/>
daß mich das blaue Licht oder die lichtblaue Dämmerung,<lb/>
in der ich bei der Abfahrt von der Heimath di<supplied>e</supplied> Augen<lb/>
&#x017F;chloß, um mich er&#x017F;t wieder an die rechte Beleuchtung<lb/>
zu gewöhnen, trotz die&#x017F;er Gewöhnung dennoch bis<lb/>
Hamburg, bis auf das Schiff &#x2014; bis in die&#x017F;e Stunde<lb/>
begleitet hat. Vernünftige Leute werden wohl &#x017F;agen:<lb/>
&#x201E;Ja, worauf fällt der <supplied>Me</supplied>n&#x017F;ch nicht, um &#x017F;ich bei<lb/>
gün&#x017F;tiger Fahrt und auf fa&#x017F;t zu ruhiger See die<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[282/0292] und wie ſie lag; daß ich ſie wie ſie war, im Ge- dächtniß behalten konnte: als einen ſonnenbeleuchteten Punkt im ſchönſten Heimathsgrün. Schon erſuchte mein Wagengegenüber mich höflichſt, des Zuges wegen doch lieber das Fenſter auf dieſer Seite zu ſchließen, da der Wind von der Seite komme und das entgegengeſetzte offen ſtehe. Da auch die Sonne als Hitzeſpenderin in das be- treffende Fenſter ſchien, kam ich gern dem Wunſch der Dame nach. Ich zog die Scheibe herauf und die blauen Vorhänge zuſammen, und ich kann es nicht leugnen, daß mir die blaue Dämmerung ganz wohl that nach dem kurz-ſcharf-angeſtrengten Aus- ſchauen in den ſcharf-hellen Morgen hinein mit ſeinem blendenden Gelb und Grün und den beiden winzigen Figürchen auf dem Walle der rothen Schanze — nach dem letzten Ausgucken nach dem guten dicken Freunde und der lieben, guten Freundin Valentine Schaumann in der Jugendheimath! So etwas von Kohlenſtaub aus der Lokomotive war mir ſo ſchon ins rechte Auge geweht. Aber noch etwas will ich nicht leugnen: nämlich daß mich das blaue Licht oder die lichtblaue Dämmerung, in der ich bei der Abfahrt von der Heimath die Augen ſchloß, um mich erſt wieder an die rechte Beleuchtung zu gewöhnen, trotz dieſer Gewöhnung dennoch bis Hamburg, bis auf das Schiff — bis in dieſe Stunde begleitet hat. Vernünftige Leute werden wohl ſagen: „Ja, worauf fällt der Menſch nicht, um ſich bei günſtiger Fahrt und auf faſt zu ruhiger See die

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Wilhelm Raabes "Stopfkuchen. Eine See- und Mordge… [mehr]

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/raabe_stopfkuchen_1891
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/raabe_stopfkuchen_1891/292
Zitationshilfe: Raabe, Wilhelm: Stopfkuchen. Eine See- und Mordgeschichte. Berlin, 1891, S. 282. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/raabe_stopfkuchen_1891/292>, abgerufen am 02.05.2024.