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Raabe, Wilhelm: Stopfkuchen. Eine See- und Mordgeschichte. Berlin, 1891.

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Da fiel mir denn bald noch ein Anderes auf.
Wie es innerhalb der rothen Schanze aussehen mochte,
außerhalb derselben, so weit ihr Reich ging, erschien
mir das Ding verwahrloster denn je.

Sonst sah man es doch, trotz aller Vervehmung,
dem Dammweg sehr an, daß der kriegerische Auf-
wurf im fetten Ackerboden dieser Landschaft zu der
Umwallung eines friedlichen Bauerhofes geworden
war, daß Menschen und Vieh darüberhin ein- und
ausgingen, daß Mist- und Erntewagen darüberhin
fuhren, daß der Mensch, trotzdem daß Kienbaum von
hieraus todtgeschlagen worden war, auch hier noch
seiner Nahrung und seinem Behagen nachging.

Dem schien jetzt nicht mehr so zu sein. Eine
Römerstraße, auf der vor, während und nach der
Völkerwanderung Tausende todtgeschlagen worden
waren, konnte im laufenden Saekulo nicht mehr
überwachsen und von Grasnarbe überzogen sein, wie
die alten Radgleise und Fußspuren, die über den
Graben des Prinzen Xaverius von Sachsen auf dem
Dammwege des Bauern zu der rothen Schanze führ-
ten. Es leitete jetzt nur noch ein ganz schmaler,
schmaler Fußpfad, ohne Radgleisen, Huf- und Klauen-
spuren daneben, durch das hohe Gras. Quendel,
blaue Glockenblumen, Löwenzahn, Thymian und was
sonst im Grunde das meiste Recht hier hatte, brauchte
sich nicht mehr scheu wegzuducken, oder sich von Huf,
Klaue und Schuhsohle Alles gefallen zu lassen.

"Nun soll es mich doch wundern," dachte ich.
"Es ist doch wirklich, als ob das Gras auch hinter

Da fiel mir denn bald noch ein Anderes auf.
Wie es innerhalb der rothen Schanze ausſehen mochte,
außerhalb derſelben, ſo weit ihr Reich ging, erſchien
mir das Ding verwahrloſter denn je.

Sonſt ſah man es doch, trotz aller Vervehmung,
dem Dammweg ſehr an, daß der kriegeriſche Auf-
wurf im fetten Ackerboden dieſer Landſchaft zu der
Umwallung eines friedlichen Bauerhofes geworden
war, daß Menſchen und Vieh darüberhin ein- und
ausgingen, daß Miſt- und Erntewagen darüberhin
fuhren, daß der Menſch, trotzdem daß Kienbaum von
hieraus todtgeſchlagen worden war, auch hier noch
ſeiner Nahrung und ſeinem Behagen nachging.

Dem ſchien jetzt nicht mehr ſo zu ſein. Eine
Römerſtraße, auf der vor, während und nach der
Völkerwanderung Tauſende todtgeſchlagen worden
waren, konnte im laufenden Saekulo nicht mehr
überwachſen und von Grasnarbe überzogen ſein, wie
die alten Radgleiſe und Fußſpuren, die über den
Graben des Prinzen Xaverius von Sachſen auf dem
Dammwege des Bauern zu der rothen Schanze führ-
ten. Es leitete jetzt nur noch ein ganz ſchmaler,
ſchmaler Fußpfad, ohne Radgleiſen, Huf- und Klauen-
ſpuren daneben, durch das hohe Gras. Quendel,
blaue Glockenblumen, Löwenzahn, Thymian und was
ſonſt im Grunde das meiſte Recht hier hatte, brauchte
ſich nicht mehr ſcheu wegzuducken, oder ſich von Huf,
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[61/0071] Da fiel mir denn bald noch ein Anderes auf. Wie es innerhalb der rothen Schanze ausſehen mochte, außerhalb derſelben, ſo weit ihr Reich ging, erſchien mir das Ding verwahrloſter denn je. Sonſt ſah man es doch, trotz aller Vervehmung, dem Dammweg ſehr an, daß der kriegeriſche Auf- wurf im fetten Ackerboden dieſer Landſchaft zu der Umwallung eines friedlichen Bauerhofes geworden war, daß Menſchen und Vieh darüberhin ein- und ausgingen, daß Miſt- und Erntewagen darüberhin fuhren, daß der Menſch, trotzdem daß Kienbaum von hieraus todtgeſchlagen worden war, auch hier noch ſeiner Nahrung und ſeinem Behagen nachging. Dem ſchien jetzt nicht mehr ſo zu ſein. Eine Römerſtraße, auf der vor, während und nach der Völkerwanderung Tauſende todtgeſchlagen worden waren, konnte im laufenden Saekulo nicht mehr überwachſen und von Grasnarbe überzogen ſein, wie die alten Radgleiſe und Fußſpuren, die über den Graben des Prinzen Xaverius von Sachſen auf dem Dammwege des Bauern zu der rothen Schanze führ- ten. Es leitete jetzt nur noch ein ganz ſchmaler, ſchmaler Fußpfad, ohne Radgleiſen, Huf- und Klauen- ſpuren daneben, durch das hohe Gras. Quendel, blaue Glockenblumen, Löwenzahn, Thymian und was ſonſt im Grunde das meiſte Recht hier hatte, brauchte ſich nicht mehr ſcheu wegzuducken, oder ſich von Huf, Klaue und Schuhſohle Alles gefallen zu laſſen. „Nun ſoll es mich doch wundern,“ dachte ich. „Es iſt doch wirklich, als ob das Gras auch hinter

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Zitationshilfe: Raabe, Wilhelm: Stopfkuchen. Eine See- und Mordgeschichte. Berlin, 1891, S. 61. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/raabe_stopfkuchen_1891/71>, abgerufen am 28.04.2024.