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[Rabener, Gottlieb Wilhelm]: Sammlung satyrischer Schriften. Bd. 3. Leipzig, 1752.

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Satyrische Briefe.
zu bestreiten, was zum nothdürftigsten Unterhalte
erfodert wird; ein Mädchen, welches sich durch
Jhren Hochmuth alle zu Feinden gemacht hatte,
welches so bequem, und vornehm erzogen, und
itzt von allen verlassen, und nicht geachtet war;
mit einem Worte, eine alte Jungfer ohne Geld, oh-
ne Schönheit, ohne Freunde, und, deutsch zu reden,
ohne Verstand, ist so ein Mädchen nicht eine erbar-
menswürdige Creatur? Was sollte ich anfangen?
Zwey Jahre hatte ich mich unter meinen Verwand-
ten aufhalten, und für die kleinen Gefälligkeiten, die
sie mir, als ein Allmosen, erwiesen, viel Demüthigung
erfahren müssen. Sie wurden mich überdrüßig,
und sie sagten mir es deutlich, daß sie wünschten, ich
möchte mich entschließen, sie zu verlassen. Wo sollte
ich hin? War ich nicht bey diesen kümmerlichen Um-
ständen zu entschuldigen, daß ich einen Schritt wag-
te, der eine Folge meiner großen Verzweiflung war,
der mich bey allen, die meine Noth nicht wußten, ver-
ächtlich, und lächerlich machte, und dessen ich mich
gewiß noch itzt schämen würde, wenn mich nicht mein
Unglück so abgehärtet hätte, daß ich weiter nicht im
Stande bin, mich über eine Niederträchtigkeit zu
schämen.

Mein Vater hatte ein armes Kind zu sich zur
Aufwartung, als Jungen, genommen, und ihn end-
lich zum Schreiber herangezogen. Er mochte bey
dem Absterben meines Vaters ungefähr dreyßig
Jahre alt seyn. Seine Person war sehr unansehn-

lich,

Satyriſche Briefe.
zu beſtreiten, was zum nothduͤrftigſten Unterhalte
erfodert wird; ein Maͤdchen, welches ſich durch
Jhren Hochmuth alle zu Feinden gemacht hatte,
welches ſo bequem, und vornehm erzogen, und
itzt von allen verlaſſen, und nicht geachtet war;
mit einem Worte, eine alte Jungfer ohne Geld, oh-
ne Schoͤnheit, ohne Freunde, und, deutſch zu reden,
ohne Verſtand, iſt ſo ein Maͤdchen nicht eine erbar-
menswuͤrdige Creatur? Was ſollte ich anfangen?
Zwey Jahre hatte ich mich unter meinen Verwand-
ten aufhalten, und fuͤr die kleinen Gefaͤlligkeiten, die
ſie mir, als ein Allmoſen, erwieſen, viel Demuͤthigung
erfahren muͤſſen. Sie wurden mich uͤberdruͤßig,
und ſie ſagten mir es deutlich, daß ſie wuͤnſchten, ich
moͤchte mich entſchließen, ſie zu verlaſſen. Wo ſollte
ich hin? War ich nicht bey dieſen kuͤmmerlichen Um-
ſtaͤnden zu entſchuldigen, daß ich einen Schritt wag-
te, der eine Folge meiner großen Verzweiflung war,
der mich bey allen, die meine Noth nicht wußten, ver-
aͤchtlich, und laͤcherlich machte, und deſſen ich mich
gewiß noch itzt ſchaͤmen wuͤrde, wenn mich nicht mein
Ungluͤck ſo abgehaͤrtet haͤtte, daß ich weiter nicht im
Stande bin, mich uͤber eine Niedertraͤchtigkeit zu
ſchaͤmen.

Mein Vater hatte ein armes Kind zu ſich zur
Aufwartung, als Jungen, genommen, und ihn end-
lich zum Schreiber herangezogen. Er mochte bey
dem Abſterben meines Vaters ungefaͤhr dreyßig
Jahre alt ſeyn. Seine Perſon war ſehr unanſehn-

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[220/0248] Satyriſche Briefe. zu beſtreiten, was zum nothduͤrftigſten Unterhalte erfodert wird; ein Maͤdchen, welches ſich durch Jhren Hochmuth alle zu Feinden gemacht hatte, welches ſo bequem, und vornehm erzogen, und itzt von allen verlaſſen, und nicht geachtet war; mit einem Worte, eine alte Jungfer ohne Geld, oh- ne Schoͤnheit, ohne Freunde, und, deutſch zu reden, ohne Verſtand, iſt ſo ein Maͤdchen nicht eine erbar- menswuͤrdige Creatur? Was ſollte ich anfangen? Zwey Jahre hatte ich mich unter meinen Verwand- ten aufhalten, und fuͤr die kleinen Gefaͤlligkeiten, die ſie mir, als ein Allmoſen, erwieſen, viel Demuͤthigung erfahren muͤſſen. Sie wurden mich uͤberdruͤßig, und ſie ſagten mir es deutlich, daß ſie wuͤnſchten, ich moͤchte mich entſchließen, ſie zu verlaſſen. Wo ſollte ich hin? War ich nicht bey dieſen kuͤmmerlichen Um- ſtaͤnden zu entſchuldigen, daß ich einen Schritt wag- te, der eine Folge meiner großen Verzweiflung war, der mich bey allen, die meine Noth nicht wußten, ver- aͤchtlich, und laͤcherlich machte, und deſſen ich mich gewiß noch itzt ſchaͤmen wuͤrde, wenn mich nicht mein Ungluͤck ſo abgehaͤrtet haͤtte, daß ich weiter nicht im Stande bin, mich uͤber eine Niedertraͤchtigkeit zu ſchaͤmen. Mein Vater hatte ein armes Kind zu ſich zur Aufwartung, als Jungen, genommen, und ihn end- lich zum Schreiber herangezogen. Er mochte bey dem Abſterben meines Vaters ungefaͤhr dreyßig Jahre alt ſeyn. Seine Perſon war ſehr unanſehn- lich,

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Zitationshilfe: [Rabener, Gottlieb Wilhelm]: Sammlung satyrischer Schriften. Bd. 3. Leipzig, 1752, S. 220. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rabener_sammlung03_1752/248>, abgerufen am 27.04.2024.