Gewalt hätten, ihn aus seinem gelehrten Staube hervorzuziehen. Jhm fehlt Geburt, und Glück, und Geschicklichkeit, sich durch Fleiß und gefälli- gen Umgang beliebt zu machen. Er spottet also über die Pracht der Großen, und nennt sie glän- zende Thoren, um einen Vorzug verächtlich zu machen, der ihm mangelt. Haben diese Reichen ein Vorrecht vor ihm, glücklich zu seyn? Ver- steht wohl einer von ihnen die gelehrten Sprachen, die unser Timon besser versteht, als seine Mutter- sprache? Die Sitten der Griechen sind ihm be- kannter, als die Sitten der Zeiten, in denen er lebt. Wagt es einmal, und laßt euch mit ihm an seinem Pulte in eine Unterredung ein: Er wird eure Unwissenheit beschämen; er wird euch mit Syllogismen stumm machen, die ihr nicht einmal zu nennen wißt. Jhr werdet auf seiner Studier- stube eben so unwissend und albern vor ihm da ste- hen, als er in eurer Antichambre vor euch zittert. Sind dieses nicht Verdienste genug, welche belohnt werden sollten, welche dem Timon ein Recht ge- ben, bey seiner gelehrten Armuth stolz zu seyn, und Muth genug zu haben, die Eitelkeit der präch- tigen Elenden zu verachten, welche weder Grie- chisch noch Latein verstehn, welche den Hektor für eine große Dogge halten, welche sich einbilden, bindig zu denken, und doch nicht einmal wissen, in welcher Form sie denken, welche bey aller dieser Unwissenheit dennoch das prächtige Glück genießen, das nur der weise Timon genießen sollte, wenn der Himmel gerecht und die Welt erkenntlich wäre?
Mitten
N 4
Abhandlung von Spruͤchwoͤrtern.
Gewalt haͤtten, ihn aus ſeinem gelehrten Staube hervorzuziehen. Jhm fehlt Geburt, und Gluͤck, und Geſchicklichkeit, ſich durch Fleiß und gefaͤlli- gen Umgang beliebt zu machen. Er ſpottet alſo uͤber die Pracht der Großen, und nennt ſie glaͤn- zende Thoren, um einen Vorzug veraͤchtlich zu machen, der ihm mangelt. Haben dieſe Reichen ein Vorrecht vor ihm, gluͤcklich zu ſeyn? Ver- ſteht wohl einer von ihnen die gelehrten Sprachen, die unſer Timon beſſer verſteht, als ſeine Mutter- ſprache? Die Sitten der Griechen ſind ihm be- kannter, als die Sitten der Zeiten, in denen er lebt. Wagt es einmal, und laßt euch mit ihm an ſeinem Pulte in eine Unterredung ein: Er wird eure Unwiſſenheit beſchaͤmen; er wird euch mit Syllogismen ſtumm machen, die ihr nicht einmal zu nennen wißt. Jhr werdet auf ſeiner Studier- ſtube eben ſo unwiſſend und albern vor ihm da ſte- hen, als er in eurer Antichambre vor euch zittert. Sind dieſes nicht Verdienſte genug, welche belohnt werden ſollten, welche dem Timon ein Recht ge- ben, bey ſeiner gelehrten Armuth ſtolz zu ſeyn, und Muth genug zu haben, die Eitelkeit der praͤch- tigen Elenden zu verachten, welche weder Grie- chiſch noch Latein verſtehn, welche den Hektor fuͤr eine große Dogge halten, welche ſich einbilden, bindig zu denken, und doch nicht einmal wiſſen, in welcher Form ſie denken, welche bey aller dieſer Unwiſſenheit dennoch das praͤchtige Gluͤck genießen, das nur der weiſe Timon genießen ſollte, wenn der Himmel gerecht und die Welt erkenntlich waͤre?
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N 4
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Abhandlung von Spruͤchwoͤrtern.
Gewalt haͤtten, ihn aus ſeinem gelehrten Staube
hervorzuziehen. Jhm fehlt Geburt, und Gluͤck,
und Geſchicklichkeit, ſich durch Fleiß und gefaͤlli-
gen Umgang beliebt zu machen. Er ſpottet alſo
uͤber die Pracht der Großen, und nennt ſie glaͤn-
zende Thoren, um einen Vorzug veraͤchtlich zu
machen, der ihm mangelt. Haben dieſe Reichen
ein Vorrecht vor ihm, gluͤcklich zu ſeyn? Ver-
ſteht wohl einer von ihnen die gelehrten Sprachen,
die unſer Timon beſſer verſteht, als ſeine Mutter-
ſprache? Die Sitten der Griechen ſind ihm be-
kannter, als die Sitten der Zeiten, in denen er
lebt. Wagt es einmal, und laßt euch mit ihm an
ſeinem Pulte in eine Unterredung ein: Er wird
eure Unwiſſenheit beſchaͤmen; er wird euch mit
Syllogismen ſtumm machen, die ihr nicht einmal
zu nennen wißt. Jhr werdet auf ſeiner Studier-
ſtube eben ſo unwiſſend und albern vor ihm da ſte-
hen, als er in eurer Antichambre vor euch zittert.
Sind dieſes nicht Verdienſte genug, welche belohnt
werden ſollten, welche dem Timon ein Recht ge-
ben, bey ſeiner gelehrten Armuth ſtolz zu ſeyn,
und Muth genug zu haben, die Eitelkeit der praͤch-
tigen Elenden zu verachten, welche weder Grie-
chiſch noch Latein verſtehn, welche den Hektor fuͤr
eine große Dogge halten, welche ſich einbilden,
bindig zu denken, und doch nicht einmal wiſſen,
in welcher Form ſie denken, welche bey aller dieſer
Unwiſſenheit dennoch das praͤchtige Gluͤck genießen,
das nur der weiſe Timon genießen ſollte, wenn
der Himmel gerecht und die Welt erkenntlich waͤre?
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[Rabener, Gottlieb Wilhelm]: Sammlung satirischer Schriften. Bd. 4. Leipzig, 1755, S. 199. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rabener_sammlung04_1755/221>, abgerufen am 17.06.2024.
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