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Ramdohr, Friedrich Wilhelm Basilius von: Über Mahlerei und Bildhauerarbeit in Rom für Liebhaber des Schönen in der Kunst. T. 1. Leipzig, 1787.

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Villa Borghese.
verdienet seine Lobeserhebungen. So schön der Körper
ist, er kömmt dem Kopfe nicht bei, und die Stellung
ist gezwungen.

+ Apollo und Daphne von Bernini. DaphneApollo und
Daphne von
Bernini.

ist in dem Augenblicke der angehenden Verwandlung
vorgestellet. Ihre Finger werden zu belaubten Aesten,
ihre Zehen wurzeln ein, die Baumrinde fängt schon
an ihren Leib zu umschließen. Diese Vorstellung
scheint mir vorzüglich in Marmor eine schlechte Wür-
kung zu thun. Die Extremitäten, die sich in Aeste
und Wurzeln zuspitzen, erwecken eine widerliche Em-
pfindung. Ich weiß nicht, ob ich Recht habe: AberDie Bild-
hauerkunst,
deren Werke
die vollkom-
menste Illu-
sion in Rück-
sicht auf Ge-
stalt geben,
scheint eine
vorzügliche
Verbindlich-
keit auf sich
zu haben,
nichts Wi-
driges dar-
zustellen.
Vermeinter
Seneca, Fi-
gur eines
Sclaven.

es scheint mir, als ob der höhere Anspruch, den die
Bildhauerei auf Illusion hat, die angenehmen und
unangenehmen Sensationen, die die Kunst hervorzu-
bringen im Stande ist, auf gleiche Art verstärke.
Es fehlt übrigens den Figuren an Ausdruck. Die
Behandlung des Marmors ist, handwerksmäßig be-
trachtet, schön, aber das Fleisch gleicht mehr dem
Porcellain, als einem weichen Körper, unter dessen
Haut Muskeln von verschiedener Form liegen.

+ Der sogenannte sterbende Seneca. Es
leidet wohl keinen Zweifel, daß diese Figur einen
Sclaven vorstelle. Ob aber gerade einen Sclaven,
der im Bade aufwartet, wie Winkelmann 8) glaubt,
lasse ich dahin gestellet seyn. Figuren ähnlicher Art
finden sich in dem Clementinischen Museo. Diese
Figur ist aus schwarzem Marmor, und in Ansehung
der Arbeit keine der vorzüglichsten. Der ganze untere
Theil ist modern.

Aeneas,
8) G. d. K. S. 810.

Villa Borgheſe.
verdienet ſeine Lobeserhebungen. So ſchoͤn der Koͤrper
iſt, er koͤmmt dem Kopfe nicht bei, und die Stellung
iſt gezwungen.

Apollo und Daphne von Bernini. DaphneApollo und
Daphne von
Bernini.

iſt in dem Augenblicke der angehenden Verwandlung
vorgeſtellet. Ihre Finger werden zu belaubten Aeſten,
ihre Zehen wurzeln ein, die Baumrinde faͤngt ſchon
an ihren Leib zu umſchließen. Dieſe Vorſtellung
ſcheint mir vorzuͤglich in Marmor eine ſchlechte Wuͤr-
kung zu thun. Die Extremitaͤten, die ſich in Aeſte
und Wurzeln zuſpitzen, erwecken eine widerliche Em-
pfindung. Ich weiß nicht, ob ich Recht habe: AberDie Bild-
hauerkunſt,
deren Werke
die vollkom-
menſte Illu-
ſion in Ruͤck-
ſicht auf Ge-
ſtalt geben,
ſcheint eine
vorzuͤgliche
Verbindlich-
keit auf ſich
zu haben,
nichts Wi-
driges dar-
zuſtellen.
Vermeinter
Seneca, Fi-
gur eines
Sclaven.

es ſcheint mir, als ob der hoͤhere Anſpruch, den die
Bildhauerei auf Illuſion hat, die angenehmen und
unangenehmen Senſationen, die die Kunſt hervorzu-
bringen im Stande iſt, auf gleiche Art verſtaͤrke.
Es fehlt uͤbrigens den Figuren an Ausdruck. Die
Behandlung des Marmors iſt, handwerksmaͤßig be-
trachtet, ſchoͤn, aber das Fleiſch gleicht mehr dem
Porcellain, als einem weichen Koͤrper, unter deſſen
Haut Muſkeln von verſchiedener Form liegen.

Der ſogenannte ſterbende Seneca. Es
leidet wohl keinen Zweifel, daß dieſe Figur einen
Sclaven vorſtelle. Ob aber gerade einen Sclaven,
der im Bade aufwartet, wie Winkelmann 8) glaubt,
laſſe ich dahin geſtellet ſeyn. Figuren aͤhnlicher Art
finden ſich in dem Clementiniſchen Muſeo. Dieſe
Figur iſt aus ſchwarzem Marmor, und in Anſehung
der Arbeit keine der vorzuͤglichſten. Der ganze untere
Theil iſt modern.

Aeneas,
8) G. d. K. S. 810.
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[319/0341] Villa Borgheſe. verdienet ſeine Lobeserhebungen. So ſchoͤn der Koͤrper iſt, er koͤmmt dem Kopfe nicht bei, und die Stellung iſt gezwungen. † Apollo und Daphne von Bernini. Daphne iſt in dem Augenblicke der angehenden Verwandlung vorgeſtellet. Ihre Finger werden zu belaubten Aeſten, ihre Zehen wurzeln ein, die Baumrinde faͤngt ſchon an ihren Leib zu umſchließen. Dieſe Vorſtellung ſcheint mir vorzuͤglich in Marmor eine ſchlechte Wuͤr- kung zu thun. Die Extremitaͤten, die ſich in Aeſte und Wurzeln zuſpitzen, erwecken eine widerliche Em- pfindung. Ich weiß nicht, ob ich Recht habe: Aber es ſcheint mir, als ob der hoͤhere Anſpruch, den die Bildhauerei auf Illuſion hat, die angenehmen und unangenehmen Senſationen, die die Kunſt hervorzu- bringen im Stande iſt, auf gleiche Art verſtaͤrke. Es fehlt uͤbrigens den Figuren an Ausdruck. Die Behandlung des Marmors iſt, handwerksmaͤßig be- trachtet, ſchoͤn, aber das Fleiſch gleicht mehr dem Porcellain, als einem weichen Koͤrper, unter deſſen Haut Muſkeln von verſchiedener Form liegen. Apollo und Daphne von Bernini. Die Bild- hauerkunſt, deren Werke die vollkom- menſte Illu- ſion in Ruͤck- ſicht auf Ge- ſtalt geben, ſcheint eine vorzuͤgliche Verbindlich- keit auf ſich zu haben, nichts Wi- driges dar- zuſtellen. Vermeinter Seneca, Fi- gur eines Sclaven. † Der ſogenannte ſterbende Seneca. Es leidet wohl keinen Zweifel, daß dieſe Figur einen Sclaven vorſtelle. Ob aber gerade einen Sclaven, der im Bade aufwartet, wie Winkelmann 8) glaubt, laſſe ich dahin geſtellet ſeyn. Figuren aͤhnlicher Art finden ſich in dem Clementiniſchen Muſeo. Dieſe Figur iſt aus ſchwarzem Marmor, und in Anſehung der Arbeit keine der vorzuͤglichſten. Der ganze untere Theil iſt modern. Aeneas, 8) G. d. K. S. 810.

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Zitationshilfe: Ramdohr, Friedrich Wilhelm Basilius von: Über Mahlerei und Bildhauerarbeit in Rom für Liebhaber des Schönen in der Kunst. T. 1. Leipzig, 1787, S. 319. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ramdohr_mahlerei01_1787/341>, abgerufen am 27.04.2024.