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Ramdohr, Friedrich Wilhelm Basilius von: Über Mahlerei und Bildhauerarbeit in Rom für Liebhaber des Schönen in der Kunst. T. 3. Leipzig, 1787.

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über die einzelnen Kirchen.
gegangen, und hat am Ende derselben jenseits des
Ausgangs die wieder erhellte Natur gesehen? Oder
besser: wer von ihnen hat sich in einem dunkeln
Saale befunden, schnell ist ein Fenster geöffnet,
schnell ein Vorhang aufgezogen, und er hat auf
der Straße erleuchtet durch das Licht der Sonne, auf
dem Theater erleuchtet durch unzählige Lämpchen, ei-
nen Haufen Volks erblickt, angethan mit vielfarbi-
gen Kleidern, disponirt in abwechselnde Stellungen
und Gruppen, umgeben von einer reichen Architek-
tur oder einer reizenden Landschaft? Die Würkung,
die dieser erste Anblick auf ihn hervorgebracht hat, die
erwarten diese neueren Künstler für ihre Beschauer
von jedem ihrer Gemählde von größerer Composition.

Von größerer Composition sage ich, und ich
glaube mit Recht zwischen diesen und Gemählden, die
aus einer oder zwei Figuren bestehen, einen Unter-
schied machen zu müssen, den viele Critiker vor mir
übersehen zu haben scheinen, über dessen Wichtigkeit
in Rücksicht auf Ausdruck und poetische Erfindung
ich schon mehrere Winke gegeben habe, und den ich
in Rücksicht auf eigentliche mahlerische Würkung,
und Wahl der Mittel sie zu erreichen, gleichfalls von
dem wichtigsten Einflusse halte.

Denn die einzelne Figur oder die Gruppe von
zwei bis drei Personen ohne Bezeichnung einer be-
sondern Scene, was sind sie viel mehr als Statuen,
höchstens als Figuren in Basrelief, die von dem
ersten Lichtstrahle beleuchtet werden, den mein Auge
außer dem Gemählde aufnimmt, und zur Prüfung
ihrer Ründung zu ihnen hinbringt? Nichts zwingt
mich sie an einem andern Orte handeln zu sehen, als

an
Y 3

uͤber die einzelnen Kirchen.
gegangen, und hat am Ende derſelben jenſeits des
Ausgangs die wieder erhellte Natur geſehen? Oder
beſſer: wer von ihnen hat ſich in einem dunkeln
Saale befunden, ſchnell iſt ein Fenſter geoͤffnet,
ſchnell ein Vorhang aufgezogen, und er hat auf
der Straße erleuchtet durch das Licht der Sonne, auf
dem Theater erleuchtet durch unzaͤhlige Laͤmpchen, ei-
nen Haufen Volks erblickt, angethan mit vielfarbi-
gen Kleidern, diſponirt in abwechſelnde Stellungen
und Gruppen, umgeben von einer reichen Architek-
tur oder einer reizenden Landſchaft? Die Wuͤrkung,
die dieſer erſte Anblick auf ihn hervorgebracht hat, die
erwarten dieſe neueren Kuͤnſtler fuͤr ihre Beſchauer
von jedem ihrer Gemaͤhlde von groͤßerer Compoſition.

Von groͤßerer Compoſition ſage ich, und ich
glaube mit Recht zwiſchen dieſen und Gemaͤhlden, die
aus einer oder zwei Figuren beſtehen, einen Unter-
ſchied machen zu muͤſſen, den viele Critiker vor mir
uͤberſehen zu haben ſcheinen, uͤber deſſen Wichtigkeit
in Ruͤckſicht auf Ausdruck und poetiſche Erfindung
ich ſchon mehrere Winke gegeben habe, und den ich
in Ruͤckſicht auf eigentliche mahleriſche Wuͤrkung,
und Wahl der Mittel ſie zu erreichen, gleichfalls von
dem wichtigſten Einfluſſe halte.

Denn die einzelne Figur oder die Gruppe von
zwei bis drei Perſonen ohne Bezeichnung einer be-
ſondern Scene, was ſind ſie viel mehr als Statuen,
hoͤchſtens als Figuren in Basrelief, die von dem
erſten Lichtſtrahle beleuchtet werden, den mein Auge
außer dem Gemaͤhlde aufnimmt, und zur Pruͤfung
ihrer Ruͤndung zu ihnen hinbringt? Nichts zwingt
mich ſie an einem andern Orte handeln zu ſehen, als

an
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[341/0365] uͤber die einzelnen Kirchen. gegangen, und hat am Ende derſelben jenſeits des Ausgangs die wieder erhellte Natur geſehen? Oder beſſer: wer von ihnen hat ſich in einem dunkeln Saale befunden, ſchnell iſt ein Fenſter geoͤffnet, ſchnell ein Vorhang aufgezogen, und er hat auf der Straße erleuchtet durch das Licht der Sonne, auf dem Theater erleuchtet durch unzaͤhlige Laͤmpchen, ei- nen Haufen Volks erblickt, angethan mit vielfarbi- gen Kleidern, diſponirt in abwechſelnde Stellungen und Gruppen, umgeben von einer reichen Architek- tur oder einer reizenden Landſchaft? Die Wuͤrkung, die dieſer erſte Anblick auf ihn hervorgebracht hat, die erwarten dieſe neueren Kuͤnſtler fuͤr ihre Beſchauer von jedem ihrer Gemaͤhlde von groͤßerer Compoſition. Von groͤßerer Compoſition ſage ich, und ich glaube mit Recht zwiſchen dieſen und Gemaͤhlden, die aus einer oder zwei Figuren beſtehen, einen Unter- ſchied machen zu muͤſſen, den viele Critiker vor mir uͤberſehen zu haben ſcheinen, uͤber deſſen Wichtigkeit in Ruͤckſicht auf Ausdruck und poetiſche Erfindung ich ſchon mehrere Winke gegeben habe, und den ich in Ruͤckſicht auf eigentliche mahleriſche Wuͤrkung, und Wahl der Mittel ſie zu erreichen, gleichfalls von dem wichtigſten Einfluſſe halte. Denn die einzelne Figur oder die Gruppe von zwei bis drei Perſonen ohne Bezeichnung einer be- ſondern Scene, was ſind ſie viel mehr als Statuen, hoͤchſtens als Figuren in Basrelief, die von dem erſten Lichtſtrahle beleuchtet werden, den mein Auge außer dem Gemaͤhlde aufnimmt, und zur Pruͤfung ihrer Ruͤndung zu ihnen hinbringt? Nichts zwingt mich ſie an einem andern Orte handeln zu ſehen, als an Y 3

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Zitationshilfe: Ramdohr, Friedrich Wilhelm Basilius von: Über Mahlerei und Bildhauerarbeit in Rom für Liebhaber des Schönen in der Kunst. T. 3. Leipzig, 1787, S. 341. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ramdohr_mahlerei03_1787/365>, abgerufen am 04.05.2024.