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Ramdohr, Friedrich Wilhelm Basilius von: Über Mahlerei und Bildhauerarbeit in Rom für Liebhaber des Schönen in der Kunst. T. 3. Leipzig, 1787.

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Pallast Giustiniani.
die Mahlerei am stärksten: Dies Stärkste ist nicht so
stark als das Stärkste der verschwisterten Künste; gut!
dafür ist es schmeichelnder, sicherer. Alles was der
bloße stumme Anblick liefert, liefert die Mahlerei am
vollständigsten: Dies Vollständigste ist nicht so voll-
ständig als das Vollständigste der verschwisterten
Künste; gut! dafür ist es leichter, faßlicher. Der
Würkungskreis der Mahlerei ist eingeschränkt; thut
nichts! um desto eifriger sind wir auf die Vertheidi-
gung seiner Gränzen bedacht.

Was endlich Hemsterhuys über die Punkte des
Leonardo da Vinci sagt, kann auf keine Art zum
Beweise seines Satzes dienen. Man darf einen
Kunstgriff die Erfindungskraft des Schöpfers rege
zu machen, nicht mit der Würkung des bereits er-
fundenen auf den Beschauer, der genießen, nicht er-
finden will, und größtentheils nicht kann, verwech-
seln. Der Klang des Saitenspiels eines Nardini
weckt in der Seele der Corilla die poetische Ader auf:
will man daraus folgern, daß der Zuhörer den vor-
gesetzten Innhalt, den Plan des Gedichts schöner fin-
den solle als das Gedicht selbst? 5)

So
auf
5) Hemsterhuys scheint überhaupt von Skizze keinen
rechten Begriff zu haben, und sie mit der sublimen
Darstellung eines hervorstechenden Zuges der Lei-
denschaft, der sich ohne die ganze Reihe von Ge-
danken und Empfindungen die ihn veranlaßt haben,
nicht denken läßt, der gleichsam das Summum
aller vorhergehenden und nachfolgenden ist, zu
verwechseln. Das Virgilianische: Quos ego!
Das beredte Stillschweigen in Trauerspielen, wor-
Dritter Theil. C

Pallaſt Giuſtiniani.
die Mahlerei am ſtaͤrkſten: Dies Staͤrkſte iſt nicht ſo
ſtark als das Staͤrkſte der verſchwiſterten Kuͤnſte; gut!
dafuͤr iſt es ſchmeichelnder, ſicherer. Alles was der
bloße ſtumme Anblick liefert, liefert die Mahlerei am
vollſtaͤndigſten: Dies Vollſtaͤndigſte iſt nicht ſo voll-
ſtaͤndig als das Vollſtaͤndigſte der verſchwiſterten
Kuͤnſte; gut! dafuͤr iſt es leichter, faßlicher. Der
Wuͤrkungskreis der Mahlerei iſt eingeſchraͤnkt; thut
nichts! um deſto eifriger ſind wir auf die Vertheidi-
gung ſeiner Graͤnzen bedacht.

Was endlich Hemſterhuys uͤber die Punkte des
Leonardo da Vinci ſagt, kann auf keine Art zum
Beweiſe ſeines Satzes dienen. Man darf einen
Kunſtgriff die Erfindungskraft des Schoͤpfers rege
zu machen, nicht mit der Wuͤrkung des bereits er-
fundenen auf den Beſchauer, der genießen, nicht er-
finden will, und groͤßtentheils nicht kann, verwech-
ſeln. Der Klang des Saitenſpiels eines Nardini
weckt in der Seele der Corilla die poetiſche Ader auf:
will man daraus folgern, daß der Zuhoͤrer den vor-
geſetzten Innhalt, den Plan des Gedichts ſchoͤner fin-
den ſolle als das Gedicht ſelbſt? 5)

So
auf
5) Hemſterhuys ſcheint uͤberhaupt von Skizze keinen
rechten Begriff zu haben, und ſie mit der ſublimen
Darſtellung eines hervorſtechenden Zuges der Lei-
denſchaft, der ſich ohne die ganze Reihe von Ge-
danken und Empfindungen die ihn veranlaßt haben,
nicht denken laͤßt, der gleichſam das Summum
aller vorhergehenden und nachfolgenden iſt, zu
verwechſeln. Das Virgilianiſche: Quos ego!
Das beredte Stillſchweigen in Trauerſpielen, wor-
Dritter Theil. C
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[33/0057] Pallaſt Giuſtiniani. die Mahlerei am ſtaͤrkſten: Dies Staͤrkſte iſt nicht ſo ſtark als das Staͤrkſte der verſchwiſterten Kuͤnſte; gut! dafuͤr iſt es ſchmeichelnder, ſicherer. Alles was der bloße ſtumme Anblick liefert, liefert die Mahlerei am vollſtaͤndigſten: Dies Vollſtaͤndigſte iſt nicht ſo voll- ſtaͤndig als das Vollſtaͤndigſte der verſchwiſterten Kuͤnſte; gut! dafuͤr iſt es leichter, faßlicher. Der Wuͤrkungskreis der Mahlerei iſt eingeſchraͤnkt; thut nichts! um deſto eifriger ſind wir auf die Vertheidi- gung ſeiner Graͤnzen bedacht. Was endlich Hemſterhuys uͤber die Punkte des Leonardo da Vinci ſagt, kann auf keine Art zum Beweiſe ſeines Satzes dienen. Man darf einen Kunſtgriff die Erfindungskraft des Schoͤpfers rege zu machen, nicht mit der Wuͤrkung des bereits er- fundenen auf den Beſchauer, der genießen, nicht er- finden will, und groͤßtentheils nicht kann, verwech- ſeln. Der Klang des Saitenſpiels eines Nardini weckt in der Seele der Corilla die poetiſche Ader auf: will man daraus folgern, daß der Zuhoͤrer den vor- geſetzten Innhalt, den Plan des Gedichts ſchoͤner fin- den ſolle als das Gedicht ſelbſt? 5) So auf 5) Hemſterhuys ſcheint uͤberhaupt von Skizze keinen rechten Begriff zu haben, und ſie mit der ſublimen Darſtellung eines hervorſtechenden Zuges der Lei- denſchaft, der ſich ohne die ganze Reihe von Ge- danken und Empfindungen die ihn veranlaßt haben, nicht denken laͤßt, der gleichſam das Summum aller vorhergehenden und nachfolgenden iſt, zu verwechſeln. Das Virgilianiſche: Quos ego! Das beredte Stillſchweigen in Trauerſpielen, wor- Dritter Theil. C

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Zitationshilfe: Ramdohr, Friedrich Wilhelm Basilius von: Über Mahlerei und Bildhauerarbeit in Rom für Liebhaber des Schönen in der Kunst. T. 3. Leipzig, 1787, S. 33. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ramdohr_mahlerei03_1787/57>, abgerufen am 28.04.2024.