Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Ramdohr, Basilius von: Venus Urania. Ueber die Natur der Liebe, über ihre Veredlung und Verschönerung. Erster Theil: Naturkunde der Liebe. Leipzig, 1798.

Bild:
<< vorherige Seite

Sie zeigt sich zwischen Mitgliedern einer Gesellschaft, eines Hauses, eines Staats, einer Familie, und wird daher von mir genannt: liebende Genossenschaft oder Brüderschaft. (Familiaritas, fraternite.) Ihr auffallendstes Beyspiel zeigt sich freylich in der Geschwisterliebe, in so fern diese nicht in Zärtlichkeit übergeht. Aber auch Gatten, sogenannte Liebende und Freunde, können nur treue Genossen seyn.

Von dieser persönlichen und liebenden Ergebenheit sondert sich bestimmt und deutlich ab: die Zärtlichkeit, jenes angewöhnte wonnevolle Bestreben, die Vereinigung der Naturen unserer eigenen und einer andern bestimmten Person, durch sie beglückend, aber auch durch sie beglückt zu theilen.

Die Zärtlichkeit hat dieß mit der einzelnen liebenden Aufwallung und mit der liebenden Anhänglichkeit gemein, daß wir die Person außer uns beglücken wollen: daß wir an diesem Bestreben unmittelbare Wonne empfinden. Sie ähnelt darin besonders der liebenden persönlichen Ergebenheit, daß es uns zur Fertigkeit geworden ist, unsere liebenden Affekte auf eine bestimmte Person zu richten. Aber darin unterscheidet sie sich deutlich von den beyden vorigen, daß der liebende Mensch angewöhnt ist, den Geliebten so beglücken zu wollen, wie er es selbst durch Begünstigung seiner engsten Sinnlichkeit zu seyn wünscht, und daß er dann mit ihm in einem Genusse zusammenzutreffen strebt.

Was wird leichter zur Lust und Unlust gereitzt, was aber auch mehr geschont, sanfter behandelt, eifriger geliebkoset, als unsere engste Sinnlichkeit, unsre Natur? Sie ist das Zärteste, was wir an uns tragen! Und wenn

Sie zeigt sich zwischen Mitgliedern einer Gesellschaft, eines Hauses, eines Staats, einer Familie, und wird daher von mir genannt: liebende Genossenschaft oder Brüderschaft. (Familiaritas, fraternité.) Ihr auffallendstes Beyspiel zeigt sich freylich in der Geschwisterliebe, in so fern diese nicht in Zärtlichkeit übergeht. Aber auch Gatten, sogenannte Liebende und Freunde, können nur treue Genossen seyn.

Von dieser persönlichen und liebenden Ergebenheit sondert sich bestimmt und deutlich ab: die Zärtlichkeit, jenes angewöhnte wonnevolle Bestreben, die Vereinigung der Naturen unserer eigenen und einer andern bestimmten Person, durch sie beglückend, aber auch durch sie beglückt zu theilen.

Die Zärtlichkeit hat dieß mit der einzelnen liebenden Aufwallung und mit der liebenden Anhänglichkeit gemein, daß wir die Person außer uns beglücken wollen: daß wir an diesem Bestreben unmittelbare Wonne empfinden. Sie ähnelt darin besonders der liebenden persönlichen Ergebenheit, daß es uns zur Fertigkeit geworden ist, unsere liebenden Affekte auf eine bestimmte Person zu richten. Aber darin unterscheidet sie sich deutlich von den beyden vorigen, daß der liebende Mensch angewöhnt ist, den Geliebten so beglücken zu wollen, wie er es selbst durch Begünstigung seiner engsten Sinnlichkeit zu seyn wünscht, und daß er dann mit ihm in einem Genusse zusammenzutreffen strebt.

Was wird leichter zur Lust und Unlust gereitzt, was aber auch mehr geschont, sanfter behandelt, eifriger geliebkoset, als unsere engste Sinnlichkeit, unsre Natur? Sie ist das Zärteste, was wir an uns tragen! Und wenn

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0104" n="104"/>
Sie zeigt sich zwischen Mitgliedern einer Gesellschaft, eines Hauses, eines Staats, einer Familie, und wird daher von mir genannt: <hi rendition="#g">liebende Genossenschaft oder Brüderschaft</hi>. (<hi rendition="#aq">Familiaritas, fraternité.</hi>) Ihr auffallendstes Beyspiel zeigt sich freylich in der Geschwisterliebe, in so fern diese nicht in Zärtlichkeit übergeht. Aber auch Gatten, sogenannte Liebende und Freunde, können nur <hi rendition="#g">treue Genossen</hi> seyn.</p>
          <p>Von dieser persönlichen und liebenden Ergebenheit sondert sich bestimmt und deutlich ab: die <hi rendition="#g">Zärtlichkeit</hi>, jenes <hi rendition="#g">angewöhnte wonnevolle Bestreben, die Vereinigung der Naturen unserer eigenen und einer andern bestimmten Person, durch sie beglückend, aber auch durch sie beglückt zu theilen</hi>.</p>
          <p>Die Zärtlichkeit hat dieß mit der einzelnen liebenden Aufwallung und mit der liebenden Anhänglichkeit gemein, daß wir die Person außer uns beglücken wollen: daß wir an diesem Bestreben unmittelbare Wonne empfinden. Sie ähnelt darin besonders der liebenden persönlichen Ergebenheit, daß es uns zur Fertigkeit geworden ist, unsere liebenden Affekte auf eine bestimmte Person zu richten. Aber darin unterscheidet sie sich deutlich von den beyden vorigen, daß der liebende Mensch angewöhnt ist, den Geliebten so beglücken zu wollen, wie er es selbst durch Begünstigung seiner engsten Sinnlichkeit zu seyn wünscht, und daß er dann mit ihm in einem Genusse zusammenzutreffen strebt.</p>
          <p>Was wird leichter zur Lust und Unlust gereitzt, was aber auch mehr geschont, sanfter behandelt, eifriger geliebkoset, als unsere engste Sinnlichkeit, unsre Natur? Sie ist das Zärteste, was wir an uns tragen! Und wenn
</p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[104/0104] Sie zeigt sich zwischen Mitgliedern einer Gesellschaft, eines Hauses, eines Staats, einer Familie, und wird daher von mir genannt: liebende Genossenschaft oder Brüderschaft. (Familiaritas, fraternité.) Ihr auffallendstes Beyspiel zeigt sich freylich in der Geschwisterliebe, in so fern diese nicht in Zärtlichkeit übergeht. Aber auch Gatten, sogenannte Liebende und Freunde, können nur treue Genossen seyn. Von dieser persönlichen und liebenden Ergebenheit sondert sich bestimmt und deutlich ab: die Zärtlichkeit, jenes angewöhnte wonnevolle Bestreben, die Vereinigung der Naturen unserer eigenen und einer andern bestimmten Person, durch sie beglückend, aber auch durch sie beglückt zu theilen. Die Zärtlichkeit hat dieß mit der einzelnen liebenden Aufwallung und mit der liebenden Anhänglichkeit gemein, daß wir die Person außer uns beglücken wollen: daß wir an diesem Bestreben unmittelbare Wonne empfinden. Sie ähnelt darin besonders der liebenden persönlichen Ergebenheit, daß es uns zur Fertigkeit geworden ist, unsere liebenden Affekte auf eine bestimmte Person zu richten. Aber darin unterscheidet sie sich deutlich von den beyden vorigen, daß der liebende Mensch angewöhnt ist, den Geliebten so beglücken zu wollen, wie er es selbst durch Begünstigung seiner engsten Sinnlichkeit zu seyn wünscht, und daß er dann mit ihm in einem Genusse zusammenzutreffen strebt. Was wird leichter zur Lust und Unlust gereitzt, was aber auch mehr geschont, sanfter behandelt, eifriger geliebkoset, als unsere engste Sinnlichkeit, unsre Natur? Sie ist das Zärteste, was wir an uns tragen! Und wenn

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Wikisource: Bereitstellung der Texttranskription und Auszeichnung in Wikisource-Syntax. (2012-11-20T10:30:31Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme aus Wikisource entsprechen muss.
Wikimedia Commons: Bereitstellung der Bilddigitalisate (2012-11-20T10:30:31Z)
Frank Wiegand: Konvertierung von Wikisource-Markup nach XML/TEI gemäß DTA-Basisformat. (2012-11-20T10:30:31Z)

Weitere Informationen:

Anmerkungen zur Transkription:

  • Als Grundlage dienen die Wikisource:Editionsrichtlinien.
  • Der Seitenwechsel erfolgt bei Worttrennung nach dem gesamten Wort.
  • Geviertstriche (—) wurden durch Halbgeviertstriche ersetzt (–).
  • Übergeschriebenes „e“ über „a“, „o“ und „u“ wird als moderner Umlaut (ä, ö, ü) transkribiert.



Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/ramdohr_venus01_1798
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/ramdohr_venus01_1798/104
Zitationshilfe: Ramdohr, Basilius von: Venus Urania. Ueber die Natur der Liebe, über ihre Veredlung und Verschönerung. Erster Theil: Naturkunde der Liebe. Leipzig, 1798, S. 104. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ramdohr_venus01_1798/104>, abgerufen am 07.05.2024.