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Ramdohr, Basilius von: Venus Urania. Ueber die Natur der Liebe, über ihre Veredlung und Verschönerung. Zweyter Theil: Aesthetik der Liebe. Leipzig, 1798.

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gern außerordentliche Dinge sehen und glauben. Dieß sind eigentlich keine Begeisterte und Schwärmer. Sie sehen nur schlecht was man ihnen zeigt, und lassen sich gern berücken. Dennoch sind alle Betrüger, welche übernatürliche Erscheinungen hervorzubringen suchen, so sehr bemüht, den Leichtgläubigen, welche sie täuschen wollen, Enthaltsamkeit auf einige Zeit vor der versprochenen Erscheinung zur Pflicht zu machen. Offenbar in keiner andern Absicht, als um den Geist dieser Schwachköpfe fähiger zu machen, nach dem Außerordentlichen und Seltenen zu streben, und sich die Bilder, die ihnen gezeigt werden, lebhafter darzustellen. Wahre Schwärmer, besonders für Vollkommenheit, wird man selten unter ausschweifenden Menschen finden; gemeiniglich sind es solche, die bey einer großen Reitzbarkeit der Organisation, - deren Folge gemeiniglich das heiße Blut ist, - den unnennbaren Trieb bezwungen oder willkührlich in seiner Wirksamkeit hemmen, und dadurch die Reitzbarkeit der Seele erhöhen.

Der Sinn für Schönheit, es sey der intellektuellen oder physischen Form, geht bey schamloser Befriedigung der körperlichen Geschlechtssympathie gleichfalls leicht verloren. Aehnlich den Trunkenbolden, deren Gaumen am Ende von guten und schlechten Getränken auf gleiche Art gereitzt wird, kommt auch der Schamlose sehr leicht dahin, das Gefällige und Ungefällige gleich anziehend zu finden, wenn es nur die gröbsten Triebe zu erwecken im Stande ist. Es ist eben so traurig als widerlich anzusehen, wie eine lascive Imagination oft durch die entferntesten, schmutzigsten und ekelhaftesten Veranlassungen in förmliche Wuth der Begierden ausbricht.

gern außerordentliche Dinge sehen und glauben. Dieß sind eigentlich keine Begeisterte und Schwärmer. Sie sehen nur schlecht was man ihnen zeigt, und lassen sich gern berücken. Dennoch sind alle Betrüger, welche übernatürliche Erscheinungen hervorzubringen suchen, so sehr bemüht, den Leichtgläubigen, welche sie täuschen wollen, Enthaltsamkeit auf einige Zeit vor der versprochenen Erscheinung zur Pflicht zu machen. Offenbar in keiner andern Absicht, als um den Geist dieser Schwachköpfe fähiger zu machen, nach dem Außerordentlichen und Seltenen zu streben, und sich die Bilder, die ihnen gezeigt werden, lebhafter darzustellen. Wahre Schwärmer, besonders für Vollkommenheit, wird man selten unter ausschweifenden Menschen finden; gemeiniglich sind es solche, die bey einer großen Reitzbarkeit der Organisation, – deren Folge gemeiniglich das heiße Blut ist, – den unnennbaren Trieb bezwungen oder willkührlich in seiner Wirksamkeit hemmen, und dadurch die Reitzbarkeit der Seele erhöhen.

Der Sinn für Schönheit, es sey der intellektuellen oder physischen Form, geht bey schamloser Befriedigung der körperlichen Geschlechtssympathie gleichfalls leicht verloren. Aehnlich den Trunkenbolden, deren Gaumen am Ende von guten und schlechten Getränken auf gleiche Art gereitzt wird, kommt auch der Schamlose sehr leicht dahin, das Gefällige und Ungefällige gleich anziehend zu finden, wenn es nur die gröbsten Triebe zu erwecken im Stande ist. Es ist eben so traurig als widerlich anzusehen, wie eine lascive Imagination oft durch die entferntesten, schmutzigsten und ekelhaftesten Veranlassungen in förmliche Wuth der Begierden ausbricht.

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gern außerordentliche Dinge sehen und glauben. Dieß sind eigentlich keine Begeisterte und Schwärmer. Sie sehen nur schlecht was man ihnen zeigt, und lassen sich gern berücken. Dennoch sind alle Betrüger, welche übernatürliche Erscheinungen hervorzubringen suchen, so sehr bemüht, den Leichtgläubigen, welche sie täuschen wollen, Enthaltsamkeit auf einige Zeit vor der versprochenen Erscheinung zur Pflicht zu machen. Offenbar in keiner andern Absicht, als um den Geist dieser Schwachköpfe fähiger zu machen, nach dem Außerordentlichen und Seltenen zu streben, und sich die Bilder, die ihnen gezeigt werden, lebhafter darzustellen. Wahre Schwärmer, besonders für Vollkommenheit, wird man selten unter ausschweifenden Menschen finden; gemeiniglich sind es solche, die bey einer großen Reitzbarkeit der Organisation, &#x2013; deren Folge gemeiniglich das heiße Blut ist, &#x2013; den unnennbaren Trieb bezwungen oder willkührlich in seiner Wirksamkeit hemmen, und dadurch die Reitzbarkeit der Seele erhöhen.</p>
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[149/0149] gern außerordentliche Dinge sehen und glauben. Dieß sind eigentlich keine Begeisterte und Schwärmer. Sie sehen nur schlecht was man ihnen zeigt, und lassen sich gern berücken. Dennoch sind alle Betrüger, welche übernatürliche Erscheinungen hervorzubringen suchen, so sehr bemüht, den Leichtgläubigen, welche sie täuschen wollen, Enthaltsamkeit auf einige Zeit vor der versprochenen Erscheinung zur Pflicht zu machen. Offenbar in keiner andern Absicht, als um den Geist dieser Schwachköpfe fähiger zu machen, nach dem Außerordentlichen und Seltenen zu streben, und sich die Bilder, die ihnen gezeigt werden, lebhafter darzustellen. Wahre Schwärmer, besonders für Vollkommenheit, wird man selten unter ausschweifenden Menschen finden; gemeiniglich sind es solche, die bey einer großen Reitzbarkeit der Organisation, – deren Folge gemeiniglich das heiße Blut ist, – den unnennbaren Trieb bezwungen oder willkührlich in seiner Wirksamkeit hemmen, und dadurch die Reitzbarkeit der Seele erhöhen. Der Sinn für Schönheit, es sey der intellektuellen oder physischen Form, geht bey schamloser Befriedigung der körperlichen Geschlechtssympathie gleichfalls leicht verloren. Aehnlich den Trunkenbolden, deren Gaumen am Ende von guten und schlechten Getränken auf gleiche Art gereitzt wird, kommt auch der Schamlose sehr leicht dahin, das Gefällige und Ungefällige gleich anziehend zu finden, wenn es nur die gröbsten Triebe zu erwecken im Stande ist. Es ist eben so traurig als widerlich anzusehen, wie eine lascive Imagination oft durch die entferntesten, schmutzigsten und ekelhaftesten Veranlassungen in förmliche Wuth der Begierden ausbricht.

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Zitationshilfe: Ramdohr, Basilius von: Venus Urania. Ueber die Natur der Liebe, über ihre Veredlung und Verschönerung. Zweyter Theil: Aesthetik der Liebe. Leipzig, 1798, S. 149. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ramdohr_venus02_1798/149>, abgerufen am 03.05.2024.