Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Ramdohr, Basilius von: Venus Urania. Ueber die Natur der Liebe, über ihre Veredlung und Verschönerung. Dritten Theils erste Abtheilung: Aeltere Geschichte der Geschlechtsverbindung und Liebe. Leipzig, 1798.

Bild:
<< vorherige Seite

Die glaubwürdigsten Zeugnisse sprechen von einer Aspasia, die von einer Hetäre zum Range einer Gattin des Pericles erhoben worden ist, und den größten Einfluß auf die Begebenheiten ihrer Zeit gehabt hat. Sie wird als eine Frau von außerordentlicher Politur der Sitten, Weisheit und Kenntnissen geschildert, und daran muß ich glauben. Allein eben das große Aufsehn das sie gemacht hat, scheint mir das Ungewöhnliche ihrer Vorzüge zu beweisen.

Man spricht ferner von einer Diotima, von der Sokrates die Kunst zu lieben, nach dem Zeugnisse des Plato, gelernt haben soll. Aber diese gehört nicht hieher. Sie ist offenbar ein idealisches Wesen, eine Begeisterte, eine Seherin, und nichts führt uns darauf zurück, sie für eine Hetäre zu halten.

Dann liefert uns Xenophon18) ein Gespräch, das Sokrates mit einer berühmten Buhlerin, Theodota, gehalten haben soll. Es ist der Mühe werth, dieß Gespräch etwas näher kennen zu lernen, um zu prüfen, ob die Dame, die hier geschildert wird, wirklich die Kunst zu gefallen, in einem so hohen Grade besessen habe, wie man es gemeiniglich von allen andern ihres Standes behauptet.

Als Sokrates mit seinen Schülern zu ihr kam, so stand sie gerade einem Mahler zum Modell. Der Umstand ist wichtig; er zeigt zum Voraus auf die Reitze hin, denen Theodota ihre Macht über die Männerherzen zuschrieb. Sokrates, der einen großen Luxus in ihrem Hause findet, fragt sie nach ihren Erwerbmitteln; und als sie die Wohlthaten ihrer Freunde als solche angiebt,

18) Memorab. Socratis III. 2.

Die glaubwürdigsten Zeugnisse sprechen von einer Aspasia, die von einer Hetäre zum Range einer Gattin des Pericles erhoben worden ist, und den größten Einfluß auf die Begebenheiten ihrer Zeit gehabt hat. Sie wird als eine Frau von außerordentlicher Politur der Sitten, Weisheit und Kenntnissen geschildert, und daran muß ich glauben. Allein eben das große Aufsehn das sie gemacht hat, scheint mir das Ungewöhnliche ihrer Vorzüge zu beweisen.

Man spricht ferner von einer Diotima, von der Sokrates die Kunst zu lieben, nach dem Zeugnisse des Plato, gelernt haben soll. Aber diese gehört nicht hieher. Sie ist offenbar ein idealisches Wesen, eine Begeisterte, eine Seherin, und nichts führt uns darauf zurück, sie für eine Hetäre zu halten.

Dann liefert uns Xenophon18) ein Gespräch, das Sokrates mit einer berühmten Buhlerin, Theodota, gehalten haben soll. Es ist der Mühe werth, dieß Gespräch etwas näher kennen zu lernen, um zu prüfen, ob die Dame, die hier geschildert wird, wirklich die Kunst zu gefallen, in einem so hohen Grade besessen habe, wie man es gemeiniglich von allen andern ihres Standes behauptet.

Als Sokrates mit seinen Schülern zu ihr kam, so stand sie gerade einem Mahler zum Modell. Der Umstand ist wichtig; er zeigt zum Voraus auf die Reitze hin, denen Theodota ihre Macht über die Männerherzen zuschrieb. Sokrates, der einen großen Luxus in ihrem Hause findet, fragt sie nach ihren Erwerbmitteln; und als sie die Wohlthaten ihrer Freunde als solche angiebt,

18) Memorab. Socratis III. 2.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <pb facs="#f0127" n="127"/>
          <p>Die glaubwürdigsten Zeugnisse sprechen von einer Aspasia, die von einer Hetäre zum Range einer Gattin des Pericles erhoben worden ist, und den größten Einfluß auf die Begebenheiten ihrer Zeit gehabt hat. Sie wird als eine Frau von außerordentlicher Politur der Sitten, Weisheit und Kenntnissen geschildert, und daran muß ich glauben. Allein eben das große Aufsehn das sie gemacht hat, scheint mir das Ungewöhnliche ihrer Vorzüge zu beweisen.</p>
          <p>Man spricht ferner von einer Diotima, von der Sokrates die Kunst zu lieben, nach dem Zeugnisse des Plato, gelernt haben soll. Aber diese gehört nicht hieher. Sie ist offenbar ein idealisches Wesen, eine Begeisterte, eine Seherin, und nichts führt uns darauf zurück, sie für eine Hetäre zu halten.</p>
          <p>Dann liefert uns Xenophon<note place="foot" n="18)"><hi rendition="#aq">Memorab. Socratis III. 2.</hi></note> ein Gespräch, das Sokrates mit einer berühmten Buhlerin, Theodota, gehalten haben soll. Es ist der Mühe werth, dieß Gespräch etwas näher kennen zu lernen, um zu prüfen, ob die Dame, die hier geschildert wird, wirklich die Kunst zu gefallen, in einem so hohen Grade besessen habe, wie man es gemeiniglich von allen andern ihres Standes behauptet.</p>
          <p>Als Sokrates mit seinen Schülern zu ihr kam, so stand sie gerade einem Mahler zum Modell. Der Umstand ist wichtig; er zeigt zum Voraus auf die Reitze hin, denen Theodota ihre Macht über die Männerherzen zuschrieb. Sokrates, der einen großen Luxus in ihrem Hause findet, fragt sie nach ihren Erwerbmitteln; und als sie die Wohlthaten ihrer Freunde als solche angiebt,
</p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[127/0127] Die glaubwürdigsten Zeugnisse sprechen von einer Aspasia, die von einer Hetäre zum Range einer Gattin des Pericles erhoben worden ist, und den größten Einfluß auf die Begebenheiten ihrer Zeit gehabt hat. Sie wird als eine Frau von außerordentlicher Politur der Sitten, Weisheit und Kenntnissen geschildert, und daran muß ich glauben. Allein eben das große Aufsehn das sie gemacht hat, scheint mir das Ungewöhnliche ihrer Vorzüge zu beweisen. Man spricht ferner von einer Diotima, von der Sokrates die Kunst zu lieben, nach dem Zeugnisse des Plato, gelernt haben soll. Aber diese gehört nicht hieher. Sie ist offenbar ein idealisches Wesen, eine Begeisterte, eine Seherin, und nichts führt uns darauf zurück, sie für eine Hetäre zu halten. Dann liefert uns Xenophon 18) ein Gespräch, das Sokrates mit einer berühmten Buhlerin, Theodota, gehalten haben soll. Es ist der Mühe werth, dieß Gespräch etwas näher kennen zu lernen, um zu prüfen, ob die Dame, die hier geschildert wird, wirklich die Kunst zu gefallen, in einem so hohen Grade besessen habe, wie man es gemeiniglich von allen andern ihres Standes behauptet. Als Sokrates mit seinen Schülern zu ihr kam, so stand sie gerade einem Mahler zum Modell. Der Umstand ist wichtig; er zeigt zum Voraus auf die Reitze hin, denen Theodota ihre Macht über die Männerherzen zuschrieb. Sokrates, der einen großen Luxus in ihrem Hause findet, fragt sie nach ihren Erwerbmitteln; und als sie die Wohlthaten ihrer Freunde als solche angiebt, 18) Memorab. Socratis III. 2.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Wikisource: Bereitstellung der Texttranskription und Auszeichnung in Wikisource-Syntax. (2012-11-20T10:30:31Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme aus Wikisource entsprechen muss.
Wikimedia Commons: Bereitstellung der Bilddigitalisate (2012-11-20T10:30:31Z)
Frank Wiegand: Konvertierung von Wikisource-Markup nach XML/TEI gemäß DTA-Basisformat. (2012-11-20T10:30:31Z)

Weitere Informationen:

Anmerkungen zur Transkription:

  • Als Grundlage dienen die Wikisource:Editionsrichtlinien.
  • Der Seitenwechsel erfolgt bei Worttrennung nach dem gesamten Wort.
  • Geviertstriche (—) wurden durch Halbgeviertstriche ersetzt (–).
  • Übergeschriebenes „e“ über „a“, „o“ und „u“ wird als moderner Umlaut (ä, ö, ü) transkribiert.



Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/ramdohr_venus0301_1798
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/ramdohr_venus0301_1798/127
Zitationshilfe: Ramdohr, Basilius von: Venus Urania. Ueber die Natur der Liebe, über ihre Veredlung und Verschönerung. Dritten Theils erste Abtheilung: Aeltere Geschichte der Geschlechtsverbindung und Liebe. Leipzig, 1798, S. 127. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ramdohr_venus0301_1798/127>, abgerufen am 07.05.2024.