Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Ramdohr, Basilius von: Venus Urania. Ueber die Natur der Liebe, über ihre Veredlung und Verschönerung. Dritten Theils erste Abtheilung: Aeltere Geschichte der Geschlechtsverbindung und Liebe. Leipzig, 1798.

Bild:
<< vorherige Seite

als in den Gang derjenigen Untersuchung, die ich hier unternehme.

Aristophanes, der nach dem Eryximachus redet, nimmt wieder einen andern Gesichtspunkt an. Er verwechselt Liebe mit Geschlechtssympathie: er will die Verschiedenheit ihrer Aeußerungen erklären, und besonders zeigen, daß sie der Natur gemäß, (secundum naturam) sind. Aber der launige Mann verläugnet auch hier seinen Charakter nicht. Seine Absicht geht mit dahin, die Gesellschaft zu erheitern. Seine Rede macht einen vortrefflichen Theil in der Oeconomie des philosophischen Drama's aus.

Die beyden ersten Redner haben den Gegenstand von der politischen und moralischen Seite betrachtet: der dritte hat ihn als Physiker angesehen: alle Dreye haben ihn mit Ernst behandelt: nun tritt Aristophanes mit seinem Witze dazwischen. Aber freylich mit einem Witze, der auch dem Vernünftigsten ein erlaubtes Lächeln abzwingen kann, weil er mit den Gesetzen der Vernunft in der engsten Verbindung steht. Der Redner stellt einen Mythos auf. Es waren ehemahls drey Geschlechter auf der Erde. Außer den zweyen noch jetzt bekannten war ein drittes, aus diesen beyden zusammengesetztes, vorhanden, welches das Androgynische 19) hieß. Aber die Gestalt eines jeden dieser drey Geschlechter war von der gegenwärtigen sehr verschieden. Der Mann bestand aus einem doppelten Manne, mit zwey Gesichtern, vier Armen, doppelten Geschlechtstheilen, u. s. w. Eben so das Weib, eben so der Androgyn. Sie waren

19) Männweibische.

als in den Gang derjenigen Untersuchung, die ich hier unternehme.

Aristophanes, der nach dem Eryximachus redet, nimmt wieder einen andern Gesichtspunkt an. Er verwechselt Liebe mit Geschlechtssympathie: er will die Verschiedenheit ihrer Aeußerungen erklären, und besonders zeigen, daß sie der Natur gemäß, (secundum naturam) sind. Aber der launige Mann verläugnet auch hier seinen Charakter nicht. Seine Absicht geht mit dahin, die Gesellschaft zu erheitern. Seine Rede macht einen vortrefflichen Theil in der Oeconomie des philosophischen Drama’s aus.

Die beyden ersten Redner haben den Gegenstand von der politischen und moralischen Seite betrachtet: der dritte hat ihn als Physiker angesehen: alle Dreye haben ihn mit Ernst behandelt: nun tritt Aristophanes mit seinem Witze dazwischen. Aber freylich mit einem Witze, der auch dem Vernünftigsten ein erlaubtes Lächeln abzwingen kann, weil er mit den Gesetzen der Vernunft in der engsten Verbindung steht. Der Redner stellt einen Mythos auf. Es waren ehemahls drey Geschlechter auf der Erde. Außer den zweyen noch jetzt bekannten war ein drittes, aus diesen beyden zusammengesetztes, vorhanden, welches das Androgynische 19) hieß. Aber die Gestalt eines jeden dieser drey Geschlechter war von der gegenwärtigen sehr verschieden. Der Mann bestand aus einem doppelten Manne, mit zwey Gesichtern, vier Armen, doppelten Geschlechtstheilen, u. s. w. Eben so das Weib, eben so der Androgyn. Sie waren

19) Männweibische.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0201" n="201"/>
als in den Gang derjenigen Untersuchung, die ich hier unternehme.</p>
          <p>Aristophanes, der nach dem Eryximachus redet, nimmt wieder einen andern Gesichtspunkt an. Er verwechselt Liebe mit Geschlechtssympathie: er will die Verschiedenheit ihrer Aeußerungen erklären, und besonders zeigen, daß sie der Natur gemäß, <hi rendition="#aq">(secundum naturam)</hi> sind. Aber der launige Mann verläugnet auch hier seinen Charakter nicht. Seine Absicht geht mit dahin, die Gesellschaft zu erheitern. Seine Rede macht einen vortrefflichen Theil in der Oeconomie des philosophischen Drama&#x2019;s aus.</p>
          <p>Die beyden ersten Redner haben den Gegenstand von der politischen und moralischen Seite betrachtet: der dritte hat ihn als Physiker angesehen: alle Dreye haben ihn mit Ernst behandelt: nun tritt Aristophanes mit seinem Witze dazwischen. Aber freylich mit einem Witze, der auch dem Vernünftigsten ein erlaubtes Lächeln abzwingen kann, weil er mit den Gesetzen der Vernunft in der engsten Verbindung steht. Der Redner stellt einen Mythos auf. Es waren ehemahls drey Geschlechter auf der Erde. Außer den zweyen noch jetzt bekannten war ein drittes, aus diesen beyden zusammengesetztes, vorhanden, welches das Androgynische <note place="foot" n="19)">Männweibische.</note> hieß. Aber die Gestalt eines jeden dieser drey Geschlechter war von der gegenwärtigen sehr verschieden. Der Mann bestand aus einem doppelten Manne, mit zwey Gesichtern, vier Armen, doppelten Geschlechtstheilen, u. s. w. Eben so das Weib, eben so der Androgyn. Sie waren
</p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[201/0201] als in den Gang derjenigen Untersuchung, die ich hier unternehme. Aristophanes, der nach dem Eryximachus redet, nimmt wieder einen andern Gesichtspunkt an. Er verwechselt Liebe mit Geschlechtssympathie: er will die Verschiedenheit ihrer Aeußerungen erklären, und besonders zeigen, daß sie der Natur gemäß, (secundum naturam) sind. Aber der launige Mann verläugnet auch hier seinen Charakter nicht. Seine Absicht geht mit dahin, die Gesellschaft zu erheitern. Seine Rede macht einen vortrefflichen Theil in der Oeconomie des philosophischen Drama’s aus. Die beyden ersten Redner haben den Gegenstand von der politischen und moralischen Seite betrachtet: der dritte hat ihn als Physiker angesehen: alle Dreye haben ihn mit Ernst behandelt: nun tritt Aristophanes mit seinem Witze dazwischen. Aber freylich mit einem Witze, der auch dem Vernünftigsten ein erlaubtes Lächeln abzwingen kann, weil er mit den Gesetzen der Vernunft in der engsten Verbindung steht. Der Redner stellt einen Mythos auf. Es waren ehemahls drey Geschlechter auf der Erde. Außer den zweyen noch jetzt bekannten war ein drittes, aus diesen beyden zusammengesetztes, vorhanden, welches das Androgynische 19) hieß. Aber die Gestalt eines jeden dieser drey Geschlechter war von der gegenwärtigen sehr verschieden. Der Mann bestand aus einem doppelten Manne, mit zwey Gesichtern, vier Armen, doppelten Geschlechtstheilen, u. s. w. Eben so das Weib, eben so der Androgyn. Sie waren 19) Männweibische.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Wikisource: Bereitstellung der Texttranskription und Auszeichnung in Wikisource-Syntax. (2012-11-20T10:30:31Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme aus Wikisource entsprechen muss.
Wikimedia Commons: Bereitstellung der Bilddigitalisate (2012-11-20T10:30:31Z)
Frank Wiegand: Konvertierung von Wikisource-Markup nach XML/TEI gemäß DTA-Basisformat. (2012-11-20T10:30:31Z)

Weitere Informationen:

Anmerkungen zur Transkription:

  • Als Grundlage dienen die Wikisource:Editionsrichtlinien.
  • Der Seitenwechsel erfolgt bei Worttrennung nach dem gesamten Wort.
  • Geviertstriche (—) wurden durch Halbgeviertstriche ersetzt (–).
  • Übergeschriebenes „e“ über „a“, „o“ und „u“ wird als moderner Umlaut (ä, ö, ü) transkribiert.



Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/ramdohr_venus0301_1798
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/ramdohr_venus0301_1798/201
Zitationshilfe: Ramdohr, Basilius von: Venus Urania. Ueber die Natur der Liebe, über ihre Veredlung und Verschönerung. Dritten Theils erste Abtheilung: Aeltere Geschichte der Geschlechtsverbindung und Liebe. Leipzig, 1798, S. 201. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ramdohr_venus0301_1798/201>, abgerufen am 14.05.2024.