Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Ramdohr, Basilius von: Venus Urania. Ueber die Natur der Liebe, über ihre Veredlung und Verschönerung. Dritten Theils erste Abtheilung: Aeltere Geschichte der Geschlechtsverbindung und Liebe. Leipzig, 1798.

Bild:
<< vorherige Seite

suchen bey dem unaufhörlichen Wechsel des Vergehens und Entstehens immer etwas Neues von derselben Art an die Stelle des Alten zu setzen. Diese Zeugung, wodurch wir das Gute, das wir haben, unser Leben, unsern Leib, unsere Sitten, Gewohnheiten, Meinungen, Begierden, ja, sogar unser Wissen immerwährend zu erhalten suchen, geschieht nicht durch das Häßliche, sondern durch das Schöne. Denn von dem Häßlichen wenden wir uns mit Widerwillen und Mißmuth weg, schrumpfen in uns selbst zusammen, und behalten, anstatt zu zeugen, den Bildungsstoff unter sehr quälenden Empfindungen bey uns. Hingegen, wenn wir uns mit einem schönen Gegenstande gatten, so werden wir in Wonne und Entzückung aufgelöset, und es erfolgt Zeugung und Befruchtung. Nicht das Schöne ist folglich der Gegenstand des Verlangens der Liebe; sondern sie begehrt des Schönen, um zu erzeugen und zu gebähren." -

Der Gang der platonischen Ideen ist hier ziemlich deutlich. Er richtet seine Aufmerksamkeit auf das Unterscheidende des Begattungstriebes, den er mit der Liebe verwechselt. Dieser zeichnet sich durch eine Sehnsucht aus, die gemeiniglich von der Schönheit der physischen Gestalt erweckt wird, und die Folgen seiner Befriedigung sind Zeugung, Befruchtung, Fortpflanzung, vermöge dieser aber Unsterblichkeit der Gattung. Diese zufälligen Charaktere des unnennbaren Triebes werden für dessen unterscheidende Merkmahle angenommen, und der Trieb selbst mit Liebe verwechselt. Es fällt aber in die Augen, daß Beyde sehr verschieden sind. Nicht einmahl der unnennbare Trieb, und der Trieb, zu zeugen, dürfen mit einander verwechselt werden. Keine

suchen bey dem unaufhörlichen Wechsel des Vergehens und Entstehens immer etwas Neues von derselben Art an die Stelle des Alten zu setzen. Diese Zeugung, wodurch wir das Gute, das wir haben, unser Leben, unsern Leib, unsere Sitten, Gewohnheiten, Meinungen, Begierden, ja, sogar unser Wissen immerwährend zu erhalten suchen, geschieht nicht durch das Häßliche, sondern durch das Schöne. Denn von dem Häßlichen wenden wir uns mit Widerwillen und Mißmuth weg, schrumpfen in uns selbst zusammen, und behalten, anstatt zu zeugen, den Bildungsstoff unter sehr quälenden Empfindungen bey uns. Hingegen, wenn wir uns mit einem schönen Gegenstande gatten, so werden wir in Wonne und Entzückung aufgelöset, und es erfolgt Zeugung und Befruchtung. Nicht das Schöne ist folglich der Gegenstand des Verlangens der Liebe; sondern sie begehrt des Schönen, um zu erzeugen und zu gebähren.“ –

Der Gang der platonischen Ideen ist hier ziemlich deutlich. Er richtet seine Aufmerksamkeit auf das Unterscheidende des Begattungstriebes, den er mit der Liebe verwechselt. Dieser zeichnet sich durch eine Sehnsucht aus, die gemeiniglich von der Schönheit der physischen Gestalt erweckt wird, und die Folgen seiner Befriedigung sind Zeugung, Befruchtung, Fortpflanzung, vermöge dieser aber Unsterblichkeit der Gattung. Diese zufälligen Charaktere des unnennbaren Triebes werden für dessen unterscheidende Merkmahle angenommen, und der Trieb selbst mit Liebe verwechselt. Es fällt aber in die Augen, daß Beyde sehr verschieden sind. Nicht einmahl der unnennbare Trieb, und der Trieb, zu zeugen, dürfen mit einander verwechselt werden. Keine

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0208" n="208"/>
suchen bey dem unaufhörlichen Wechsel des Vergehens und Entstehens immer etwas Neues von derselben Art an die Stelle des Alten zu setzen. Diese Zeugung, wodurch wir das Gute, das wir haben, unser Leben, unsern Leib, unsere Sitten, Gewohnheiten, Meinungen, Begierden, ja, sogar unser Wissen immerwährend zu erhalten suchen, geschieht nicht durch das Häßliche, sondern durch das Schöne. Denn von dem Häßlichen wenden wir uns mit Widerwillen und Mißmuth weg, schrumpfen in uns selbst zusammen, und behalten, anstatt zu zeugen, den Bildungsstoff unter sehr quälenden Empfindungen bey uns. Hingegen, wenn wir uns mit einem schönen Gegenstande gatten, so werden wir in Wonne und Entzückung aufgelöset, und es erfolgt Zeugung und Befruchtung. Nicht das Schöne ist folglich der Gegenstand des Verlangens der Liebe; sondern sie begehrt des Schönen, um zu erzeugen und zu gebähren.&#x201C; &#x2013;</p>
          <p>Der Gang der platonischen Ideen ist hier ziemlich deutlich. Er richtet seine Aufmerksamkeit auf das Unterscheidende des Begattungstriebes, den er mit der Liebe verwechselt. Dieser zeichnet sich durch eine Sehnsucht aus, die gemeiniglich von der Schönheit der physischen Gestalt erweckt wird, und die Folgen seiner Befriedigung sind Zeugung, Befruchtung, Fortpflanzung, vermöge dieser aber Unsterblichkeit der Gattung. Diese zufälligen Charaktere des unnennbaren Triebes werden für dessen unterscheidende Merkmahle angenommen, und der Trieb selbst mit Liebe verwechselt. Es fällt aber in die Augen, daß Beyde sehr verschieden sind. Nicht einmahl der unnennbare Trieb, und der Trieb, zu zeugen, dürfen mit einander verwechselt werden. Keine
</p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[208/0208] suchen bey dem unaufhörlichen Wechsel des Vergehens und Entstehens immer etwas Neues von derselben Art an die Stelle des Alten zu setzen. Diese Zeugung, wodurch wir das Gute, das wir haben, unser Leben, unsern Leib, unsere Sitten, Gewohnheiten, Meinungen, Begierden, ja, sogar unser Wissen immerwährend zu erhalten suchen, geschieht nicht durch das Häßliche, sondern durch das Schöne. Denn von dem Häßlichen wenden wir uns mit Widerwillen und Mißmuth weg, schrumpfen in uns selbst zusammen, und behalten, anstatt zu zeugen, den Bildungsstoff unter sehr quälenden Empfindungen bey uns. Hingegen, wenn wir uns mit einem schönen Gegenstande gatten, so werden wir in Wonne und Entzückung aufgelöset, und es erfolgt Zeugung und Befruchtung. Nicht das Schöne ist folglich der Gegenstand des Verlangens der Liebe; sondern sie begehrt des Schönen, um zu erzeugen und zu gebähren.“ – Der Gang der platonischen Ideen ist hier ziemlich deutlich. Er richtet seine Aufmerksamkeit auf das Unterscheidende des Begattungstriebes, den er mit der Liebe verwechselt. Dieser zeichnet sich durch eine Sehnsucht aus, die gemeiniglich von der Schönheit der physischen Gestalt erweckt wird, und die Folgen seiner Befriedigung sind Zeugung, Befruchtung, Fortpflanzung, vermöge dieser aber Unsterblichkeit der Gattung. Diese zufälligen Charaktere des unnennbaren Triebes werden für dessen unterscheidende Merkmahle angenommen, und der Trieb selbst mit Liebe verwechselt. Es fällt aber in die Augen, daß Beyde sehr verschieden sind. Nicht einmahl der unnennbare Trieb, und der Trieb, zu zeugen, dürfen mit einander verwechselt werden. Keine

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Wikisource: Bereitstellung der Texttranskription und Auszeichnung in Wikisource-Syntax. (2012-11-20T10:30:31Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme aus Wikisource entsprechen muss.
Wikimedia Commons: Bereitstellung der Bilddigitalisate (2012-11-20T10:30:31Z)
Frank Wiegand: Konvertierung von Wikisource-Markup nach XML/TEI gemäß DTA-Basisformat. (2012-11-20T10:30:31Z)

Weitere Informationen:

Anmerkungen zur Transkription:

  • Als Grundlage dienen die Wikisource:Editionsrichtlinien.
  • Der Seitenwechsel erfolgt bei Worttrennung nach dem gesamten Wort.
  • Geviertstriche (—) wurden durch Halbgeviertstriche ersetzt (–).
  • Übergeschriebenes „e“ über „a“, „o“ und „u“ wird als moderner Umlaut (ä, ö, ü) transkribiert.



Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/ramdohr_venus0301_1798
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/ramdohr_venus0301_1798/208
Zitationshilfe: Ramdohr, Basilius von: Venus Urania. Ueber die Natur der Liebe, über ihre Veredlung und Verschönerung. Dritten Theils erste Abtheilung: Aeltere Geschichte der Geschlechtsverbindung und Liebe. Leipzig, 1798, S. 208. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ramdohr_venus0301_1798/208>, abgerufen am 14.05.2024.