Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Ramdohr, Basilius von: Venus Urania. Ueber die Natur der Liebe, über ihre Veredlung und Verschönerung. Dritten Theils erste Abtheilung: Aeltere Geschichte der Geschlechtsverbindung und Liebe. Leipzig, 1798.

Bild:
<< vorherige Seite

Anblick wahre Tugenden in einem Menschen erzeugt, und von ihm zur Reife gebracht worden, dann ist er ein Liebling der Götter; und ein solcher - wenn's irgend eines Sterblichen Loos ist, - ist der Unsterblichkeit Erbe!"

Niemand wird den dichterischen Schwung und den Scharfsinn unbewundert lassen, mit denen Plato den Trieb nach Zeugung aus dem nach Unsterblichkeit, diesen wieder aus dem nach Annäherung an die Urschönheit entwickelt, und aus allen diesen den Zug zur Schönheit jeder Art erklärt. Es läßt sich auch ein Zustand von Begeisterung denken, auf den dieses Bild wirklich zutrifft. Es ist möglich, daß wir in den schönen Verhältnissen, die uns sichtbare Gestalten zeigen, die Gesetze der allgemeinen und ewigen Harmonie ahnen, diese auf das Unsinnliche übertragen, und am Ende mittelst der Phantasie uns ein Bild der Vernunftidee, Vollkommenheit, zusammensetzen. Es ist möglich, daß wir dieß Bild personificieren, uns dasselbe schwärmerisch anzueignen, uns ihm ähnlich zu machen suchen, es zu besitzen und von ihm besessen zu werden glauben. Ein solcher begeisterter Zustand mag dann allerdings seinen großen Reitz mit sich führen, und vielleicht mehr als jeder andre beseeligen.

Aber kann man diesen Zustand Liebe nennen? Im geringsten nicht! Er beruht auf Beschauungswonne, und ist nicht selten ein bloß verfeinerter Egoismus, bey dem alle Liebe verloren geht, und der den geistigen Stolz, Verachtung Anderer, und eine Menge menschenfeindlicher Neigungen zeugt und ernährt.

Am Ende des Gastmahls tritt Alcibiades zwischen die Gäste, und hält dem Sokrates eine Lobrede. In

Anblick wahre Tugenden in einem Menschen erzeugt, und von ihm zur Reife gebracht worden, dann ist er ein Liebling der Götter; und ein solcher – wenn’s irgend eines Sterblichen Loos ist, – ist der Unsterblichkeit Erbe!“

Niemand wird den dichterischen Schwung und den Scharfsinn unbewundert lassen, mit denen Plato den Trieb nach Zeugung aus dem nach Unsterblichkeit, diesen wieder aus dem nach Annäherung an die Urschönheit entwickelt, und aus allen diesen den Zug zur Schönheit jeder Art erklärt. Es läßt sich auch ein Zustand von Begeisterung denken, auf den dieses Bild wirklich zutrifft. Es ist möglich, daß wir in den schönen Verhältnissen, die uns sichtbare Gestalten zeigen, die Gesetze der allgemeinen und ewigen Harmonie ahnen, diese auf das Unsinnliche übertragen, und am Ende mittelst der Phantasie uns ein Bild der Vernunftidee, Vollkommenheit, zusammensetzen. Es ist möglich, daß wir dieß Bild personificieren, uns dasselbe schwärmerisch anzueignen, uns ihm ähnlich zu machen suchen, es zu besitzen und von ihm besessen zu werden glauben. Ein solcher begeisterter Zustand mag dann allerdings seinen großen Reitz mit sich führen, und vielleicht mehr als jeder andre beseeligen.

Aber kann man diesen Zustand Liebe nennen? Im geringsten nicht! Er beruht auf Beschauungswonne, und ist nicht selten ein bloß verfeinerter Egoismus, bey dem alle Liebe verloren geht, und der den geistigen Stolz, Verachtung Anderer, und eine Menge menschenfeindlicher Neigungen zeugt und ernährt.

Am Ende des Gastmahls tritt Alcibiades zwischen die Gäste, und hält dem Sokrates eine Lobrede. In

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0220" n="220"/>
Anblick wahre Tugenden in einem Menschen erzeugt, und von ihm zur Reife gebracht worden, dann ist er ein Liebling der Götter; und ein solcher &#x2013; wenn&#x2019;s irgend eines Sterblichen Loos ist, &#x2013; ist der Unsterblichkeit Erbe!&#x201C;</p>
          <p>Niemand wird den dichterischen Schwung und den Scharfsinn unbewundert lassen, mit denen Plato den Trieb nach Zeugung aus dem nach Unsterblichkeit, diesen wieder aus dem nach Annäherung an die Urschönheit entwickelt, und aus allen diesen den Zug zur Schönheit jeder Art erklärt. Es läßt sich auch ein Zustand von Begeisterung denken, auf den dieses Bild wirklich zutrifft. Es ist möglich, daß wir in den schönen Verhältnissen, die uns sichtbare Gestalten zeigen, die Gesetze der allgemeinen und ewigen Harmonie ahnen, diese auf das Unsinnliche übertragen, und am Ende mittelst der Phantasie uns ein Bild der Vernunftidee, Vollkommenheit, zusammensetzen. Es ist möglich, daß wir dieß Bild personificieren, uns dasselbe schwärmerisch anzueignen, uns ihm ähnlich zu machen suchen, es zu besitzen und von ihm besessen zu werden glauben. Ein solcher begeisterter Zustand mag dann allerdings seinen großen Reitz mit sich führen, und vielleicht mehr als jeder andre beseeligen.</p>
          <p>Aber kann man diesen Zustand Liebe nennen? Im geringsten nicht! Er beruht auf Beschauungswonne, und ist nicht selten ein bloß verfeinerter Egoismus, bey dem alle Liebe verloren geht, und der den geistigen Stolz, Verachtung Anderer, und eine Menge menschenfeindlicher Neigungen zeugt und ernährt.</p>
          <p>Am Ende des Gastmahls tritt Alcibiades zwischen die Gäste, und hält dem Sokrates eine Lobrede. In
</p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[220/0220] Anblick wahre Tugenden in einem Menschen erzeugt, und von ihm zur Reife gebracht worden, dann ist er ein Liebling der Götter; und ein solcher – wenn’s irgend eines Sterblichen Loos ist, – ist der Unsterblichkeit Erbe!“ Niemand wird den dichterischen Schwung und den Scharfsinn unbewundert lassen, mit denen Plato den Trieb nach Zeugung aus dem nach Unsterblichkeit, diesen wieder aus dem nach Annäherung an die Urschönheit entwickelt, und aus allen diesen den Zug zur Schönheit jeder Art erklärt. Es läßt sich auch ein Zustand von Begeisterung denken, auf den dieses Bild wirklich zutrifft. Es ist möglich, daß wir in den schönen Verhältnissen, die uns sichtbare Gestalten zeigen, die Gesetze der allgemeinen und ewigen Harmonie ahnen, diese auf das Unsinnliche übertragen, und am Ende mittelst der Phantasie uns ein Bild der Vernunftidee, Vollkommenheit, zusammensetzen. Es ist möglich, daß wir dieß Bild personificieren, uns dasselbe schwärmerisch anzueignen, uns ihm ähnlich zu machen suchen, es zu besitzen und von ihm besessen zu werden glauben. Ein solcher begeisterter Zustand mag dann allerdings seinen großen Reitz mit sich führen, und vielleicht mehr als jeder andre beseeligen. Aber kann man diesen Zustand Liebe nennen? Im geringsten nicht! Er beruht auf Beschauungswonne, und ist nicht selten ein bloß verfeinerter Egoismus, bey dem alle Liebe verloren geht, und der den geistigen Stolz, Verachtung Anderer, und eine Menge menschenfeindlicher Neigungen zeugt und ernährt. Am Ende des Gastmahls tritt Alcibiades zwischen die Gäste, und hält dem Sokrates eine Lobrede. In

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Wikisource: Bereitstellung der Texttranskription und Auszeichnung in Wikisource-Syntax. (2012-11-20T10:30:31Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme aus Wikisource entsprechen muss.
Wikimedia Commons: Bereitstellung der Bilddigitalisate (2012-11-20T10:30:31Z)
Frank Wiegand: Konvertierung von Wikisource-Markup nach XML/TEI gemäß DTA-Basisformat. (2012-11-20T10:30:31Z)

Weitere Informationen:

Anmerkungen zur Transkription:

  • Als Grundlage dienen die Wikisource:Editionsrichtlinien.
  • Der Seitenwechsel erfolgt bei Worttrennung nach dem gesamten Wort.
  • Geviertstriche (—) wurden durch Halbgeviertstriche ersetzt (–).
  • Übergeschriebenes „e“ über „a“, „o“ und „u“ wird als moderner Umlaut (ä, ö, ü) transkribiert.



Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/ramdohr_venus0301_1798
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/ramdohr_venus0301_1798/220
Zitationshilfe: Ramdohr, Basilius von: Venus Urania. Ueber die Natur der Liebe, über ihre Veredlung und Verschönerung. Dritten Theils erste Abtheilung: Aeltere Geschichte der Geschlechtsverbindung und Liebe. Leipzig, 1798, S. 220. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ramdohr_venus0301_1798/220>, abgerufen am 29.04.2024.