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Ranke, Leopold von: Die römischen Päpste. Bd. 1. Berlin, 1834.

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Veränderung der geistigen Richtung.
zugenommen. Welch eine ganz andere Masse naturhistori-
scher Kenntnisse brachte z. B. Ulisse Aldrovandi, durch die
unablässige Bemühung eines langen Lebens auf vielen Rei-
sen zusammen, als irgend ein Alter besitzen können; in
seinem Museum hatte er es auf eigentliche Vollständigkeit
abgesehen: was ihm an Naturalien abging, ersetzte er durch
Bilder: jedes Stück bekam seine ausführliche Beschreibung.
Wie hatte sich die Erdkunde so über jeden Begriff der an-
tiken Welt erweitert! Auf der andern Seite begann auch
eine tiefer eingehende Forschung. Die Mathematiker such-
ten anfangs nur die Lücken auszufüllen, welche die Alten
gelassen. Commandin z. B. glaubte zu finden, daß Archi-
medes etwas über den Schwerpunct entweder gelesen oder
sogar verfaßt haben müsse, was alsdann verloren gegan-
gen: er ließ sich dieß einen Anlaß seyn, den Gegenstand
selbst zu untersuchen. Aber eben hierdurch ward man um
Vieles weiter geführt, noch an der Hand der Alten riß
man sich von ihnen los: man machte Entdeckungen, die
jenseit des von ihnen beschriebenen Kreises lagen, und ei-
ner weiteren Forschung neue Bahnen eröffneten.

Vornehmlich widmete sich diese der Erkenntniß der
Natur. Man schwankte noch einen Augenblick zwischen
der Anerkennung des Geheimnisses und der muthigen Un-
tersuchung. Doch überwog die letztere. Schon ward ein
Versuch gemacht, das Pflanzenreich rationell abzutheilen:
in Padua lebte ein Professor, den man den Columbus des
menschlichen Leibes nannte. Auf allen Seiten strebte man
weiter: das Alterthum schloß die Wissenschaft nicht mehr
so unbedingt ein.


31*

Veraͤnderung der geiſtigen Richtung.
zugenommen. Welch eine ganz andere Maſſe naturhiſtori-
ſcher Kenntniſſe brachte z. B. Uliſſe Aldrovandi, durch die
unablaͤſſige Bemuͤhung eines langen Lebens auf vielen Rei-
ſen zuſammen, als irgend ein Alter beſitzen koͤnnen; in
ſeinem Muſeum hatte er es auf eigentliche Vollſtaͤndigkeit
abgeſehen: was ihm an Naturalien abging, erſetzte er durch
Bilder: jedes Stuͤck bekam ſeine ausfuͤhrliche Beſchreibung.
Wie hatte ſich die Erdkunde ſo uͤber jeden Begriff der an-
tiken Welt erweitert! Auf der andern Seite begann auch
eine tiefer eingehende Forſchung. Die Mathematiker ſuch-
ten anfangs nur die Luͤcken auszufuͤllen, welche die Alten
gelaſſen. Commandin z. B. glaubte zu finden, daß Archi-
medes etwas uͤber den Schwerpunct entweder geleſen oder
ſogar verfaßt haben muͤſſe, was alsdann verloren gegan-
gen: er ließ ſich dieß einen Anlaß ſeyn, den Gegenſtand
ſelbſt zu unterſuchen. Aber eben hierdurch ward man um
Vieles weiter gefuͤhrt, noch an der Hand der Alten riß
man ſich von ihnen los: man machte Entdeckungen, die
jenſeit des von ihnen beſchriebenen Kreiſes lagen, und ei-
ner weiteren Forſchung neue Bahnen eroͤffneten.

Vornehmlich widmete ſich dieſe der Erkenntniß der
Natur. Man ſchwankte noch einen Augenblick zwiſchen
der Anerkennung des Geheimniſſes und der muthigen Un-
terſuchung. Doch uͤberwog die letztere. Schon ward ein
Verſuch gemacht, das Pflanzenreich rationell abzutheilen:
in Padua lebte ein Profeſſor, den man den Columbus des
menſchlichen Leibes nannte. Auf allen Seiten ſtrebte man
weiter: das Alterthum ſchloß die Wiſſenſchaft nicht mehr
ſo unbedingt ein.


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[483/0509] Veraͤnderung der geiſtigen Richtung. zugenommen. Welch eine ganz andere Maſſe naturhiſtori- ſcher Kenntniſſe brachte z. B. Uliſſe Aldrovandi, durch die unablaͤſſige Bemuͤhung eines langen Lebens auf vielen Rei- ſen zuſammen, als irgend ein Alter beſitzen koͤnnen; in ſeinem Muſeum hatte er es auf eigentliche Vollſtaͤndigkeit abgeſehen: was ihm an Naturalien abging, erſetzte er durch Bilder: jedes Stuͤck bekam ſeine ausfuͤhrliche Beſchreibung. Wie hatte ſich die Erdkunde ſo uͤber jeden Begriff der an- tiken Welt erweitert! Auf der andern Seite begann auch eine tiefer eingehende Forſchung. Die Mathematiker ſuch- ten anfangs nur die Luͤcken auszufuͤllen, welche die Alten gelaſſen. Commandin z. B. glaubte zu finden, daß Archi- medes etwas uͤber den Schwerpunct entweder geleſen oder ſogar verfaßt haben muͤſſe, was alsdann verloren gegan- gen: er ließ ſich dieß einen Anlaß ſeyn, den Gegenſtand ſelbſt zu unterſuchen. Aber eben hierdurch ward man um Vieles weiter gefuͤhrt, noch an der Hand der Alten riß man ſich von ihnen los: man machte Entdeckungen, die jenſeit des von ihnen beſchriebenen Kreiſes lagen, und ei- ner weiteren Forſchung neue Bahnen eroͤffneten. Vornehmlich widmete ſich dieſe der Erkenntniß der Natur. Man ſchwankte noch einen Augenblick zwiſchen der Anerkennung des Geheimniſſes und der muthigen Un- terſuchung. Doch uͤberwog die letztere. Schon ward ein Verſuch gemacht, das Pflanzenreich rationell abzutheilen: in Padua lebte ein Profeſſor, den man den Columbus des menſchlichen Leibes nannte. Auf allen Seiten ſtrebte man weiter: das Alterthum ſchloß die Wiſſenſchaft nicht mehr ſo unbedingt ein. 31*

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Zitationshilfe: Ranke, Leopold von: Die römischen Päpste. Bd. 1. Berlin, 1834, S. 483. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ranke_paepste01_1834/509>, abgerufen am 29.04.2024.