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Ranke, Leopold von: Die römischen Päpste. Bd. 2. Berlin, 1836.

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Venezianische Irrungen.
Lebens und des Staates eine wesentliche Einwirkung ver-
schafften.

Selbst da wo die Kirche sich im Einverständniß mit
dem Staate hergestellt, wo sich beide vereinigt dem Empor-
kommen protestantischer Meinungen entgegengesetzt hat-
ten, brachte doch dieß Verhältniß gar bald Mißhelligkei-
ten hervor.

Gleich damals, wie noch heute, ließ es sich der römi-
sche Hof besonders angelegen seyn seine Ansprüche in Ita-
lien aufrecht zu erhalten. Unaufhörlich finden wir deshalb die
italienischen Staaten in Mißverständnissen mit der kirchlichen
Gewalt. Die alten Streitigkeiten zwischen Papst und Kir-
che waren weder im Allgemeinen durch ein entscheidendes
Prinzip, noch auch im Besondern durch Vertrag und Ue-
bereinkunft beseitigt worden. Die Päpste selbst waren sich
nicht immer gleich. Auf das hartnäckigste bestanden Pius
V, Gregor XIII. wenigstens in der ersten Hälfte seiner Re-
gierung auf ihren Ansprüchen: Sixtus V. war in den ein-
zelnen Fällen um vieles nachsichtiger. Die Staaten und
ihre Abgeordneten suchen über die schwierigen Augenblicke
ohne Nachtheil wegzukommen, die günstigen zu ihrem Nutzen
zu ergreifen: auch kann das ihnen nicht ganz mißlingen:
die Neigungen der Päpste gehn vorüber und wechseln: die
Interessen der Staaten bleiben immer. Auf jeden Fall
werden hiedurch die Fragen, die man zu entscheiden hat,
bei weitem weniger Gegenstand des Jus canonicum und
der Rechtsfindung, als der Politik, gegenseitiger Forde-
rung und Nachgiebigkeit.

Papst Paul V. jedoch verstand seine Ansprüche ein-

Venezianiſche Irrungen.
Lebens und des Staates eine weſentliche Einwirkung ver-
ſchafften.

Selbſt da wo die Kirche ſich im Einverſtaͤndniß mit
dem Staate hergeſtellt, wo ſich beide vereinigt dem Empor-
kommen proteſtantiſcher Meinungen entgegengeſetzt hat-
ten, brachte doch dieß Verhaͤltniß gar bald Mißhelligkei-
ten hervor.

Gleich damals, wie noch heute, ließ es ſich der roͤmi-
ſche Hof beſonders angelegen ſeyn ſeine Anſpruͤche in Ita-
lien aufrecht zu erhalten. Unaufhoͤrlich finden wir deshalb die
italieniſchen Staaten in Mißverſtaͤndniſſen mit der kirchlichen
Gewalt. Die alten Streitigkeiten zwiſchen Papſt und Kir-
che waren weder im Allgemeinen durch ein entſcheidendes
Prinzip, noch auch im Beſondern durch Vertrag und Ue-
bereinkunft beſeitigt worden. Die Paͤpſte ſelbſt waren ſich
nicht immer gleich. Auf das hartnaͤckigſte beſtanden Pius
V, Gregor XIII. wenigſtens in der erſten Haͤlfte ſeiner Re-
gierung auf ihren Anſpruͤchen: Sixtus V. war in den ein-
zelnen Faͤllen um vieles nachſichtiger. Die Staaten und
ihre Abgeordneten ſuchen uͤber die ſchwierigen Augenblicke
ohne Nachtheil wegzukommen, die guͤnſtigen zu ihrem Nutzen
zu ergreifen: auch kann das ihnen nicht ganz mißlingen:
die Neigungen der Paͤpſte gehn voruͤber und wechſeln: die
Intereſſen der Staaten bleiben immer. Auf jeden Fall
werden hiedurch die Fragen, die man zu entſcheiden hat,
bei weitem weniger Gegenſtand des Jus canonicum und
der Rechtsfindung, als der Politik, gegenſeitiger Forde-
rung und Nachgiebigkeit.

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[325/0337] Venezianiſche Irrungen. Lebens und des Staates eine weſentliche Einwirkung ver- ſchafften. Selbſt da wo die Kirche ſich im Einverſtaͤndniß mit dem Staate hergeſtellt, wo ſich beide vereinigt dem Empor- kommen proteſtantiſcher Meinungen entgegengeſetzt hat- ten, brachte doch dieß Verhaͤltniß gar bald Mißhelligkei- ten hervor. Gleich damals, wie noch heute, ließ es ſich der roͤmi- ſche Hof beſonders angelegen ſeyn ſeine Anſpruͤche in Ita- lien aufrecht zu erhalten. Unaufhoͤrlich finden wir deshalb die italieniſchen Staaten in Mißverſtaͤndniſſen mit der kirchlichen Gewalt. Die alten Streitigkeiten zwiſchen Papſt und Kir- che waren weder im Allgemeinen durch ein entſcheidendes Prinzip, noch auch im Beſondern durch Vertrag und Ue- bereinkunft beſeitigt worden. Die Paͤpſte ſelbſt waren ſich nicht immer gleich. Auf das hartnaͤckigſte beſtanden Pius V, Gregor XIII. wenigſtens in der erſten Haͤlfte ſeiner Re- gierung auf ihren Anſpruͤchen: Sixtus V. war in den ein- zelnen Faͤllen um vieles nachſichtiger. Die Staaten und ihre Abgeordneten ſuchen uͤber die ſchwierigen Augenblicke ohne Nachtheil wegzukommen, die guͤnſtigen zu ihrem Nutzen zu ergreifen: auch kann das ihnen nicht ganz mißlingen: die Neigungen der Paͤpſte gehn voruͤber und wechſeln: die Intereſſen der Staaten bleiben immer. Auf jeden Fall werden hiedurch die Fragen, die man zu entſcheiden hat, bei weitem weniger Gegenſtand des Jus canonicum und der Rechtsfindung, als der Politik, gegenſeitiger Forde- rung und Nachgiebigkeit. Papſt Paul V. jedoch verſtand ſeine Anſpruͤche ein-

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Zitationshilfe: Ranke, Leopold von: Die römischen Päpste. Bd. 2. Berlin, 1836, S. 325. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ranke_paepste02_1836/337>, abgerufen am 26.04.2024.