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Ranke, Leopold von: Die römischen Päpste. Bd. 3. Berlin, 1836.

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Buch VIII. Die Päpste um d. Mitte d. 17. Jahrh.
drücke eine edle Selbständigkeit des Geistes bewahrte. Der
Anforderung, die man sonst an Convertiten macht, oder die
sie sich von freien Stücken auflegen, einer in die Augen fal-
lenden Frömmigkeit war sie nicht gemeint sich zu bequemen.
So katholisch sie ist, so oft sie auch ihre Ueberzeugung
von der Infallibilität des Papstes wiederholt, von der Noth-
wendigkeit alles zu glauben was er und die Kirche gebiete,
so hat sie doch einen wahren Haß gegen die Bigotten,
und verabscheut die Direction der Beichtväter, die damals
das gesammte Leben beherrschte. Sie ließ sich nicht neh-
men, Carneval, Concert, Comödie, und was das römische
Leben ihr sonst darbieten mochte, vor allem die innere Be-
wegung einer geistreichen und lebendigen Gesellschaft zu ge-
nießen. Sie liebt, wie sie bekennt, die Satyre: Pasquino
macht ihr Vergnügen. In die Intriguen des Hofes, die
Entzweiungen der papalen Häuser, die Factionen der Cardi-
näle unter einander ist sie immer auch mit verwickelt. Sie
hält sich an die squadronistische Faction, deren Haupt ihr
Freund Azzolini ist, ein Mann den auch Andere für das
geistreichste Mitglied der Curie halten, den sie aber gera-
dezu für einen göttlichen, unvergleichlichen, dämonischen
Menschen erklärt, den einzigen den sie dem alten Reichs-
kanzler Axel Oxenstierna überlegen glaubt. Sie wollte ihm
in ihren Memoiren ein Denkmal setzen. Unglücklicher
Weise ist nur ein kleiner Theil derselben bekannt gewor-
den, der aber einen Ernst, eine Wahrhaftigkeit in dem
Umgange mit sich selbst, einen freien und festen Geist ent-
hüllt, vor dem die Afterrede verstummt. Eine nicht min-
der merkwürdige Production sind die Sinnsprüche und zer-

Buch VIII. Die Paͤpſte um d. Mitte d. 17. Jahrh.
druͤcke eine edle Selbſtaͤndigkeit des Geiſtes bewahrte. Der
Anforderung, die man ſonſt an Convertiten macht, oder die
ſie ſich von freien Stuͤcken auflegen, einer in die Augen fal-
lenden Froͤmmigkeit war ſie nicht gemeint ſich zu bequemen.
So katholiſch ſie iſt, ſo oft ſie auch ihre Ueberzeugung
von der Infallibilitaͤt des Papſtes wiederholt, von der Noth-
wendigkeit alles zu glauben was er und die Kirche gebiete,
ſo hat ſie doch einen wahren Haß gegen die Bigotten,
und verabſcheut die Direction der Beichtvaͤter, die damals
das geſammte Leben beherrſchte. Sie ließ ſich nicht neh-
men, Carneval, Concert, Comoͤdie, und was das roͤmiſche
Leben ihr ſonſt darbieten mochte, vor allem die innere Be-
wegung einer geiſtreichen und lebendigen Geſellſchaft zu ge-
nießen. Sie liebt, wie ſie bekennt, die Satyre: Pasquino
macht ihr Vergnuͤgen. In die Intriguen des Hofes, die
Entzweiungen der papalen Haͤuſer, die Factionen der Cardi-
naͤle unter einander iſt ſie immer auch mit verwickelt. Sie
haͤlt ſich an die ſquadroniſtiſche Faction, deren Haupt ihr
Freund Azzolini iſt, ein Mann den auch Andere fuͤr das
geiſtreichſte Mitglied der Curie halten, den ſie aber gera-
dezu fuͤr einen goͤttlichen, unvergleichlichen, daͤmoniſchen
Menſchen erklaͤrt, den einzigen den ſie dem alten Reichs-
kanzler Axel Oxenſtierna uͤberlegen glaubt. Sie wollte ihm
in ihren Memoiren ein Denkmal ſetzen. Ungluͤcklicher
Weiſe iſt nur ein kleiner Theil derſelben bekannt gewor-
den, der aber einen Ernſt, eine Wahrhaftigkeit in dem
Umgange mit ſich ſelbſt, einen freien und feſten Geiſt ent-
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der merkwuͤrdige Production ſind die Sinnſpruͤche und zer-

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[102/0114] Buch VIII. Die Paͤpſte um d. Mitte d. 17. Jahrh. druͤcke eine edle Selbſtaͤndigkeit des Geiſtes bewahrte. Der Anforderung, die man ſonſt an Convertiten macht, oder die ſie ſich von freien Stuͤcken auflegen, einer in die Augen fal- lenden Froͤmmigkeit war ſie nicht gemeint ſich zu bequemen. So katholiſch ſie iſt, ſo oft ſie auch ihre Ueberzeugung von der Infallibilitaͤt des Papſtes wiederholt, von der Noth- wendigkeit alles zu glauben was er und die Kirche gebiete, ſo hat ſie doch einen wahren Haß gegen die Bigotten, und verabſcheut die Direction der Beichtvaͤter, die damals das geſammte Leben beherrſchte. Sie ließ ſich nicht neh- men, Carneval, Concert, Comoͤdie, und was das roͤmiſche Leben ihr ſonſt darbieten mochte, vor allem die innere Be- wegung einer geiſtreichen und lebendigen Geſellſchaft zu ge- nießen. Sie liebt, wie ſie bekennt, die Satyre: Pasquino macht ihr Vergnuͤgen. In die Intriguen des Hofes, die Entzweiungen der papalen Haͤuſer, die Factionen der Cardi- naͤle unter einander iſt ſie immer auch mit verwickelt. Sie haͤlt ſich an die ſquadroniſtiſche Faction, deren Haupt ihr Freund Azzolini iſt, ein Mann den auch Andere fuͤr das geiſtreichſte Mitglied der Curie halten, den ſie aber gera- dezu fuͤr einen goͤttlichen, unvergleichlichen, daͤmoniſchen Menſchen erklaͤrt, den einzigen den ſie dem alten Reichs- kanzler Axel Oxenſtierna uͤberlegen glaubt. Sie wollte ihm in ihren Memoiren ein Denkmal ſetzen. Ungluͤcklicher Weiſe iſt nur ein kleiner Theil derſelben bekannt gewor- den, der aber einen Ernſt, eine Wahrhaftigkeit in dem Umgange mit ſich ſelbſt, einen freien und feſten Geiſt ent- huͤllt, vor dem die Afterrede verſtummt. Eine nicht min- der merkwuͤrdige Production ſind die Sinnſpruͤche und zer-

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Zitationshilfe: Ranke, Leopold von: Die römischen Päpste. Bd. 3. Berlin, 1836, S. 102. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ranke_paepste03_1836/114>, abgerufen am 15.05.2024.