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Ranke, Leopold von: Die römischen Päpste. Bd. 3. Berlin, 1836.

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Buch VIII. Die Päpste um d. Mitte d. 17. Jahrh.

Und von diesem Punkte aus erhebt er sich nun zu der
höhern Frage, was diese Gerechtigkeit sey?

Er antwortet: Gott selbst.

Denn Gott muß man sich nicht denken wie einen Kör-
per, oder unter irgend einem Bilde, selbst nicht unter dem
des Lichtes: man muß ihn betrachten und lieben als die
ewige Wahrheit, aus der alle Wahrheit und Weisheit
quillt, als die Gerechtigkeit, nicht in wiefern sie die Ei-
genschaft eines Gemüthes ist, sondern in wiefern sie als
eine Idee, als eine höchste unverletzliche Regel ihm vor-
schwebt. Die Regeln unsrer Handlungen fließen aus dem
ewigen Gesetze: sie sind ein Abglanz seines Lichtes: wer die
Gerechtigkeit liebt, liebt Gott selbst 1).

Der Mensch wird nicht dadurch gut, daß er sein Ge-
müth auf dieß oder jenes Gute richtet: sondern dadurch,
daß er das unveränderliche einfache höchste Gut ins Auge
faßt, welches die Wahrheit, welches Gott selbst ist. Die
Tugend ist die Liebe Gottes.

Und eben in dieser Liebe besteht die Befreiung des Wil-
lens: ihre unaussprechliche Süßigkeit vertilgt das Wohl-
gefallen der Begierde: es entsteht eine freiwillige und be-
glückende Nothwendigkeit nicht zu sündigen sondern gut zu

1) Tom. III, lib. V, c. III. Regulae vivendi et quasi lu-
mina virtutum immutabilia et sempiterna non sunt aliud quam
lex aeterna quae in ipsa dei aeterni veritate splendet, quam pro-
inde diligendo non aliud diligit nisi ipsum deum seu veritatem
et justitiam ejus incommutabilem, a qua promanat et ex cujus
refulgentia lucis fulget quidquid velut justum et rectum ap-
probamus.
Buch VIII. Die Paͤpſte um d. Mitte d. 17. Jahrh.

Und von dieſem Punkte aus erhebt er ſich nun zu der
hoͤhern Frage, was dieſe Gerechtigkeit ſey?

Er antwortet: Gott ſelbſt.

Denn Gott muß man ſich nicht denken wie einen Koͤr-
per, oder unter irgend einem Bilde, ſelbſt nicht unter dem
des Lichtes: man muß ihn betrachten und lieben als die
ewige Wahrheit, aus der alle Wahrheit und Weisheit
quillt, als die Gerechtigkeit, nicht in wiefern ſie die Ei-
genſchaft eines Gemuͤthes iſt, ſondern in wiefern ſie als
eine Idee, als eine hoͤchſte unverletzliche Regel ihm vor-
ſchwebt. Die Regeln unſrer Handlungen fließen aus dem
ewigen Geſetze: ſie ſind ein Abglanz ſeines Lichtes: wer die
Gerechtigkeit liebt, liebt Gott ſelbſt 1).

Der Menſch wird nicht dadurch gut, daß er ſein Ge-
muͤth auf dieß oder jenes Gute richtet: ſondern dadurch,
daß er das unveraͤnderliche einfache hoͤchſte Gut ins Auge
faßt, welches die Wahrheit, welches Gott ſelbſt iſt. Die
Tugend iſt die Liebe Gottes.

Und eben in dieſer Liebe beſteht die Befreiung des Wil-
lens: ihre unausſprechliche Suͤßigkeit vertilgt das Wohl-
gefallen der Begierde: es entſteht eine freiwillige und be-
gluͤckende Nothwendigkeit nicht zu ſuͤndigen ſondern gut zu

1) Tom. III, lib. V, c. III. Regulae vivendi et quasi lu-
mina virtutum immutabilia et sempiterna non sunt aliud quam
lex aeterna quae in ipsa dei aeterni veritate splendet, quam pro-
inde diligendo non aliud diligit nisi ipsum deum seu veritatem
et justitiam ejus incommutabilem, a qua promanat et ex cujus
refulgentia lucis fulget quidquid velut justum et rectum ap-
probamus.
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[138/0150] Buch VIII. Die Paͤpſte um d. Mitte d. 17. Jahrh. Und von dieſem Punkte aus erhebt er ſich nun zu der hoͤhern Frage, was dieſe Gerechtigkeit ſey? Er antwortet: Gott ſelbſt. Denn Gott muß man ſich nicht denken wie einen Koͤr- per, oder unter irgend einem Bilde, ſelbſt nicht unter dem des Lichtes: man muß ihn betrachten und lieben als die ewige Wahrheit, aus der alle Wahrheit und Weisheit quillt, als die Gerechtigkeit, nicht in wiefern ſie die Ei- genſchaft eines Gemuͤthes iſt, ſondern in wiefern ſie als eine Idee, als eine hoͤchſte unverletzliche Regel ihm vor- ſchwebt. Die Regeln unſrer Handlungen fließen aus dem ewigen Geſetze: ſie ſind ein Abglanz ſeines Lichtes: wer die Gerechtigkeit liebt, liebt Gott ſelbſt 1). Der Menſch wird nicht dadurch gut, daß er ſein Ge- muͤth auf dieß oder jenes Gute richtet: ſondern dadurch, daß er das unveraͤnderliche einfache hoͤchſte Gut ins Auge faßt, welches die Wahrheit, welches Gott ſelbſt iſt. Die Tugend iſt die Liebe Gottes. Und eben in dieſer Liebe beſteht die Befreiung des Wil- lens: ihre unausſprechliche Suͤßigkeit vertilgt das Wohl- gefallen der Begierde: es entſteht eine freiwillige und be- gluͤckende Nothwendigkeit nicht zu ſuͤndigen ſondern gut zu 1) Tom. III, lib. V, c. III. Regulae vivendi et quasi lu- mina virtutum immutabilia et sempiterna non sunt aliud quam lex aeterna quae in ipsa dei aeterni veritate splendet, quam pro- inde diligendo non aliud diligit nisi ipsum deum seu veritatem et justitiam ejus incommutabilem, a qua promanat et ex cujus refulgentia lucis fulget quidquid velut justum et rectum ap- probamus.

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Zitationshilfe: Ranke, Leopold von: Die römischen Päpste. Bd. 3. Berlin, 1836, S. 138. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ranke_paepste03_1836/150>, abgerufen am 15.05.2024.