Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Ranke, Leopold von: Die römischen Päpste. Bd. 3. Berlin, 1836.

Bild:
<< vorherige Seite

Aufhebung der Jesuiten.
unwiderrufliche Aufhebung des gesammten Ordens zu for-
dern 1). Der Papst berief auf den 3. Febr. ein Consistorium,
in welchem er die Sache wenigstens in Ueberlegung nehmen
zu wollen schien. Aber es war nicht bestimmt, daß er
eine so tiefe Demüthigung erleben sollte. Den Abend zu-
vor ergriff ihn eine Convulsion, an der er verschied.

Die Stellung der Höfe war zu drohend, ihre Einwir-
kung zu mächtig, als daß sie in dem Conclave, das nun-
mehr folgte, nicht hätten durchdringen, und einen Mann
wie sie ihn bedurften, zur dreifachen Krone befördern sollen.

Von allen Cardinälen war Lorenzo Ganganelli ohne
Zweifel der mildeste, gemäßigtste. In seiner Jugend hat
einer seiner Lehrer von ihm gesagt, es sey kein Wunder,
wenn er die Musik liebe, in ihm selber sey alles Harmo-
nie 2). So entwickelte er sich weiter, in unschuldiger Ge-

1) Continuazione degli annali d'Italia di Muratori XIV, 1,
p.
197.
2) Aneddoti riguardanti la famiglia e l'opere di Clemente
XIV,
bei den Lettere ed altre opere di Ganganelli, Firenze
1829. Was diese Werkchen und Briefe selbst anbetrifft, so mögen
sie wohl interpolirt seyn, aber der Hauptsache nach halte ich sie doch
für echt: 1) weil die Vertheidigung derselben in dem Ringratia-
mento dell' editore all' autor dell' anno literario
im Ganzen
natürlich und befriedigend ist: obwohl vor der Herausgabe ein un-
verantwortlicher Gebrauch davon gemacht war; 2) weil glaubwür-
dige Männer, z. B. Cardinal Bernis, die Originale gesehen zu ha-
ben versicherten: der eigentliche Sammler war der florentinische Li-
terator Lami: nach einem Briefe des Abbe Bellegarde bei Potter
Vie de Ricci I, p. 328 bestätigten diejenigen, welche die Originale
besaßen und die Copien geliefert hatten, ihre Echtheit; 3) weil sie
das Gepräge einer Originalität, einer eigenthümlichen und in allen
Lagen des Lebens sich gleichbleibenden Gesinnung tragen, die kein
Erfinder erdichtet haben kann. Es ist ein lebendiger Mensch darin.
Am wenigsten können diese Briefe von Caracciolo stammen. Man

Aufhebung der Jeſuiten.
unwiderrufliche Aufhebung des geſammten Ordens zu for-
dern 1). Der Papſt berief auf den 3. Febr. ein Conſiſtorium,
in welchem er die Sache wenigſtens in Ueberlegung nehmen
zu wollen ſchien. Aber es war nicht beſtimmt, daß er
eine ſo tiefe Demuͤthigung erleben ſollte. Den Abend zu-
vor ergriff ihn eine Convulſion, an der er verſchied.

Die Stellung der Hoͤfe war zu drohend, ihre Einwir-
kung zu maͤchtig, als daß ſie in dem Conclave, das nun-
mehr folgte, nicht haͤtten durchdringen, und einen Mann
wie ſie ihn bedurften, zur dreifachen Krone befoͤrdern ſollen.

Von allen Cardinaͤlen war Lorenzo Ganganelli ohne
Zweifel der mildeſte, gemaͤßigtſte. In ſeiner Jugend hat
einer ſeiner Lehrer von ihm geſagt, es ſey kein Wunder,
wenn er die Muſik liebe, in ihm ſelber ſey alles Harmo-
nie 2). So entwickelte er ſich weiter, in unſchuldiger Ge-

1) Continuazione degli annali d’Italia di Muratori XIV, 1,
p.
197.
2) Aneddoti riguardanti la famiglia e l’opere di Clemente
XIV,
bei den Lettere ed altre opere di Ganganelli, Firenze
1829. Was dieſe Werkchen und Briefe ſelbſt anbetrifft, ſo moͤgen
ſie wohl interpolirt ſeyn, aber der Hauptſache nach halte ich ſie doch
fuͤr echt: 1) weil die Vertheidigung derſelben in dem Ringratia-
mento dell’ editore all’ autor dell’ anno literario
im Ganzen
natuͤrlich und befriedigend iſt: obwohl vor der Herausgabe ein un-
verantwortlicher Gebrauch davon gemacht war; 2) weil glaubwuͤr-
dige Maͤnner, z. B. Cardinal Bernis, die Originale geſehen zu ha-
ben verſicherten: der eigentliche Sammler war der florentiniſche Li-
terator Lami: nach einem Briefe des Abbé Bellegarde bei Potter
Vie de Ricci I, p. 328 beſtaͤtigten diejenigen, welche die Originale
beſaßen und die Copien geliefert hatten, ihre Echtheit; 3) weil ſie
das Gepraͤge einer Originalitaͤt, einer eigenthuͤmlichen und in allen
Lagen des Lebens ſich gleichbleibenden Geſinnung tragen, die kein
Erfinder erdichtet haben kann. Es iſt ein lebendiger Menſch darin.
Am wenigſten koͤnnen dieſe Briefe von Caracciolo ſtammen. Man
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0209" n="197"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#g">Aufhebung der Je&#x017F;uiten</hi>.</fw><lb/>
unwiderrufliche Aufhebung des ge&#x017F;ammten Ordens zu for-<lb/>
dern <note place="foot" n="1)"><hi rendition="#aq">Continuazione degli annali d&#x2019;Italia di Muratori XIV, 1,<lb/>
p.</hi> 197.</note>. Der Pap&#x017F;t berief auf den 3. Febr. ein Con&#x017F;i&#x017F;torium,<lb/>
in welchem er die Sache wenig&#x017F;tens in Ueberlegung nehmen<lb/>
zu wollen &#x017F;chien. Aber es war nicht be&#x017F;timmt, daß er<lb/>
eine &#x017F;o tiefe Demu&#x0364;thigung erleben &#x017F;ollte. Den Abend zu-<lb/>
vor ergriff ihn eine Convul&#x017F;ion, an der er ver&#x017F;chied.</p><lb/>
          <p>Die Stellung der Ho&#x0364;fe war zu drohend, ihre Einwir-<lb/>
kung zu ma&#x0364;chtig, als daß &#x017F;ie in dem Conclave, das nun-<lb/>
mehr folgte, nicht ha&#x0364;tten durchdringen, und einen Mann<lb/>
wie &#x017F;ie ihn bedurften, zur dreifachen Krone befo&#x0364;rdern &#x017F;ollen.</p><lb/>
          <p>Von allen Cardina&#x0364;len war Lorenzo Ganganelli ohne<lb/>
Zweifel der milde&#x017F;te, gema&#x0364;ßigt&#x017F;te. In &#x017F;einer Jugend hat<lb/>
einer &#x017F;einer Lehrer von ihm ge&#x017F;agt, es &#x017F;ey kein Wunder,<lb/>
wenn er die Mu&#x017F;ik liebe, in ihm &#x017F;elber &#x017F;ey alles Harmo-<lb/>
nie <note xml:id="seg2pn_20_1" next="#seg2pn_20_2" place="foot" n="2)"><hi rendition="#aq">Aneddoti riguardanti la famiglia e l&#x2019;opere di Clemente<lb/>
XIV,</hi> bei den <hi rendition="#aq">Lettere ed altre opere di Ganganelli, Firenze</hi><lb/>
1829. Was die&#x017F;e Werkchen und Briefe &#x017F;elb&#x017F;t anbetrifft, &#x017F;o mo&#x0364;gen<lb/>
&#x017F;ie wohl interpolirt &#x017F;eyn, aber der Haupt&#x017F;ache nach halte ich &#x017F;ie doch<lb/>
fu&#x0364;r echt: 1) weil die Vertheidigung der&#x017F;elben in dem <hi rendition="#aq">Ringratia-<lb/>
mento dell&#x2019; editore all&#x2019; autor dell&#x2019; anno literario</hi> im Ganzen<lb/>
natu&#x0364;rlich und befriedigend i&#x017F;t: obwohl vor der Herausgabe ein un-<lb/>
verantwortlicher Gebrauch davon gemacht war; 2) weil glaubwu&#x0364;r-<lb/>
dige Ma&#x0364;nner, z. B. Cardinal Bernis, die Originale ge&#x017F;ehen zu ha-<lb/>
ben ver&#x017F;icherten: der eigentliche Sammler war der florentini&#x017F;che Li-<lb/>
terator Lami: nach einem Briefe des Abb<hi rendition="#aq">é</hi> Bellegarde bei Potter<lb/><hi rendition="#aq">Vie de Ricci I, p.</hi> 328 be&#x017F;ta&#x0364;tigten diejenigen, welche die Originale<lb/>
be&#x017F;aßen und die Copien geliefert hatten, ihre Echtheit; 3) weil &#x017F;ie<lb/>
das Gepra&#x0364;ge einer Originalita&#x0364;t, einer eigenthu&#x0364;mlichen und in allen<lb/>
Lagen des Lebens &#x017F;ich gleichbleibenden Ge&#x017F;innung tragen, die kein<lb/>
Erfinder erdichtet haben kann. Es i&#x017F;t ein lebendiger Men&#x017F;ch darin.<lb/>
Am wenig&#x017F;ten ko&#x0364;nnen die&#x017F;e Briefe von Caracciolo &#x017F;tammen. Man</note>. So entwickelte er &#x017F;ich weiter, in un&#x017F;chuldiger Ge-<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[197/0209] Aufhebung der Jeſuiten. unwiderrufliche Aufhebung des geſammten Ordens zu for- dern 1). Der Papſt berief auf den 3. Febr. ein Conſiſtorium, in welchem er die Sache wenigſtens in Ueberlegung nehmen zu wollen ſchien. Aber es war nicht beſtimmt, daß er eine ſo tiefe Demuͤthigung erleben ſollte. Den Abend zu- vor ergriff ihn eine Convulſion, an der er verſchied. Die Stellung der Hoͤfe war zu drohend, ihre Einwir- kung zu maͤchtig, als daß ſie in dem Conclave, das nun- mehr folgte, nicht haͤtten durchdringen, und einen Mann wie ſie ihn bedurften, zur dreifachen Krone befoͤrdern ſollen. Von allen Cardinaͤlen war Lorenzo Ganganelli ohne Zweifel der mildeſte, gemaͤßigtſte. In ſeiner Jugend hat einer ſeiner Lehrer von ihm geſagt, es ſey kein Wunder, wenn er die Muſik liebe, in ihm ſelber ſey alles Harmo- nie 2). So entwickelte er ſich weiter, in unſchuldiger Ge- 1) Continuazione degli annali d’Italia di Muratori XIV, 1, p. 197. 2) Aneddoti riguardanti la famiglia e l’opere di Clemente XIV, bei den Lettere ed altre opere di Ganganelli, Firenze 1829. Was dieſe Werkchen und Briefe ſelbſt anbetrifft, ſo moͤgen ſie wohl interpolirt ſeyn, aber der Hauptſache nach halte ich ſie doch fuͤr echt: 1) weil die Vertheidigung derſelben in dem Ringratia- mento dell’ editore all’ autor dell’ anno literario im Ganzen natuͤrlich und befriedigend iſt: obwohl vor der Herausgabe ein un- verantwortlicher Gebrauch davon gemacht war; 2) weil glaubwuͤr- dige Maͤnner, z. B. Cardinal Bernis, die Originale geſehen zu ha- ben verſicherten: der eigentliche Sammler war der florentiniſche Li- terator Lami: nach einem Briefe des Abbé Bellegarde bei Potter Vie de Ricci I, p. 328 beſtaͤtigten diejenigen, welche die Originale beſaßen und die Copien geliefert hatten, ihre Echtheit; 3) weil ſie das Gepraͤge einer Originalitaͤt, einer eigenthuͤmlichen und in allen Lagen des Lebens ſich gleichbleibenden Geſinnung tragen, die kein Erfinder erdichtet haben kann. Es iſt ein lebendiger Menſch darin. Am wenigſten koͤnnen dieſe Briefe von Caracciolo ſtammen. Man

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/ranke_paepste03_1836
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/ranke_paepste03_1836/209
Zitationshilfe: Ranke, Leopold von: Die römischen Päpste. Bd. 3. Berlin, 1836, S. 197. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ranke_paepste03_1836/209>, abgerufen am 14.05.2024.