Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Ranke, Leopold von: Deutsche Geschichte im Zeitalter der Reformation. Bd. 1. Berlin, 1839.

Bild:
<< vorherige Seite

Kriegsereignisse 1499.
des Landfriedens nicht bedurfte, den man sich selbst gege-
ben, und schon ein ziemlich gut geordnetes Staatswesen
besaß. Eine dem römischen König von jeher feindselige
Partei, die es rathsamer fand, den Sold der Franzosen zu
verdienen, als sich an das Reich zu halten, bekam das
Übergewicht. Die Graubündner, die von Tyrol gefährdet
wurden, eben auch des Landfriedens halber, weil sie eini-
gen Geächteten des Königs bei sich Aufnahme gewährten,
fanden bei den Eidgenossen in diesem Zustand der Dinge
augenblickliche Hülfe. In Einem Momente stand die ganze
Grenze, Tyrol und Graubünden Schwaben und Schweiz
gegen einander in den Waffen.

Sonderbar, daß die Ordnungen des Reiches einen ihrer
Absicht so ganz entgegenlaufenden Erfolg hatten. Die Anfor-
derungen des Reichstags und des Kammergerichts brachten
die Eidgenossenschaft in Gährung: daß Graubünden einen
Geächteten ausliefern sollte veranlaßte dessen Abfall. Wenn
auf der andern Seite die Stadt Constanz nach langem
Schwanken endlich in den Bund von Schwaben trat, so
schien das den Schweizern unerträglich, weil die Stadt das
Landgericht über den Thurgau besaß, eine Landschaft, welche
sie vor einigen Jahrzehenden an sich gebracht hatten. Ohne-
hin herrschte zwischen Schwaben und Schweizern seit der
Errichtung des Bundes ein Widerwille, der sich schon
lange in wechselseitigen Beleidigungen Luft gemacht, und
jetzt in einen wilden Verwüstungskrieg ausbrach.

Die Verfassung des Reiches war bei weitem nicht
stark genug, die Einheit desselben lange nicht in dem Grade
in das Bewußtseyn gedrungen, daß es seine volle Kraft

Kriegsereigniſſe 1499.
des Landfriedens nicht bedurfte, den man ſich ſelbſt gege-
ben, und ſchon ein ziemlich gut geordnetes Staatsweſen
beſaß. Eine dem römiſchen König von jeher feindſelige
Partei, die es rathſamer fand, den Sold der Franzoſen zu
verdienen, als ſich an das Reich zu halten, bekam das
Übergewicht. Die Graubündner, die von Tyrol gefährdet
wurden, eben auch des Landfriedens halber, weil ſie eini-
gen Geächteten des Königs bei ſich Aufnahme gewährten,
fanden bei den Eidgenoſſen in dieſem Zuſtand der Dinge
augenblickliche Hülfe. In Einem Momente ſtand die ganze
Grenze, Tyrol und Graubünden Schwaben und Schweiz
gegen einander in den Waffen.

Sonderbar, daß die Ordnungen des Reiches einen ihrer
Abſicht ſo ganz entgegenlaufenden Erfolg hatten. Die Anfor-
derungen des Reichstags und des Kammergerichts brachten
die Eidgenoſſenſchaft in Gährung: daß Graubünden einen
Geächteten ausliefern ſollte veranlaßte deſſen Abfall. Wenn
auf der andern Seite die Stadt Conſtanz nach langem
Schwanken endlich in den Bund von Schwaben trat, ſo
ſchien das den Schweizern unerträglich, weil die Stadt das
Landgericht über den Thurgau beſaß, eine Landſchaft, welche
ſie vor einigen Jahrzehenden an ſich gebracht hatten. Ohne-
hin herrſchte zwiſchen Schwaben und Schweizern ſeit der
Errichtung des Bundes ein Widerwille, der ſich ſchon
lange in wechſelſeitigen Beleidigungen Luft gemacht, und
jetzt in einen wilden Verwüſtungskrieg ausbrach.

Die Verfaſſung des Reiches war bei weitem nicht
ſtark genug, die Einheit deſſelben lange nicht in dem Grade
in das Bewußtſeyn gedrungen, daß es ſeine volle Kraft

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0157" n="139"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#g">Kriegsereigni&#x017F;&#x017F;e</hi> 1499.</fw><lb/>
des Landfriedens nicht bedurfte, den man &#x017F;ich &#x017F;elb&#x017F;t gege-<lb/>
ben, und &#x017F;chon ein ziemlich gut geordnetes Staatswe&#x017F;en<lb/>
be&#x017F;aß. Eine dem römi&#x017F;chen König von jeher feind&#x017F;elige<lb/>
Partei, die es rath&#x017F;amer fand, den Sold der Franzo&#x017F;en zu<lb/>
verdienen, als &#x017F;ich an das Reich zu halten, bekam das<lb/>
Übergewicht. Die Graubündner, die von Tyrol gefährdet<lb/>
wurden, eben auch des Landfriedens halber, weil &#x017F;ie eini-<lb/>
gen Geächteten des Königs bei &#x017F;ich Aufnahme gewährten,<lb/>
fanden bei den Eidgeno&#x017F;&#x017F;en in die&#x017F;em Zu&#x017F;tand der Dinge<lb/>
augenblickliche Hülfe. In Einem Momente &#x017F;tand die ganze<lb/>
Grenze, Tyrol und Graubünden Schwaben und Schweiz<lb/>
gegen einander in den Waffen.</p><lb/>
          <p>Sonderbar, daß die Ordnungen des Reiches einen ihrer<lb/>
Ab&#x017F;icht &#x017F;o ganz entgegenlaufenden Erfolg hatten. Die Anfor-<lb/>
derungen des Reichstags und des Kammergerichts brachten<lb/>
die Eidgeno&#x017F;&#x017F;en&#x017F;chaft in Gährung: daß Graubünden einen<lb/>
Geächteten ausliefern &#x017F;ollte veranlaßte de&#x017F;&#x017F;en Abfall. Wenn<lb/>
auf der andern Seite die Stadt Con&#x017F;tanz nach langem<lb/>
Schwanken endlich in den Bund von Schwaben trat, &#x017F;o<lb/>
&#x017F;chien das den Schweizern unerträglich, weil die Stadt das<lb/>
Landgericht über den Thurgau be&#x017F;aß, eine Land&#x017F;chaft, welche<lb/>
&#x017F;ie vor einigen Jahrzehenden an &#x017F;ich gebracht hatten. Ohne-<lb/>
hin herr&#x017F;chte zwi&#x017F;chen Schwaben und Schweizern &#x017F;eit der<lb/>
Errichtung des Bundes ein Widerwille, der &#x017F;ich &#x017F;chon<lb/>
lange in wech&#x017F;el&#x017F;eitigen Beleidigungen Luft gemacht, und<lb/>
jetzt in einen wilden Verwü&#x017F;tungskrieg ausbrach.</p><lb/>
          <p>Die Verfa&#x017F;&#x017F;ung des Reiches war bei weitem nicht<lb/>
&#x017F;tark genug, die Einheit de&#x017F;&#x017F;elben lange nicht in dem Grade<lb/>
in das Bewußt&#x017F;eyn gedrungen, daß es &#x017F;eine volle Kraft<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[139/0157] Kriegsereigniſſe 1499. des Landfriedens nicht bedurfte, den man ſich ſelbſt gege- ben, und ſchon ein ziemlich gut geordnetes Staatsweſen beſaß. Eine dem römiſchen König von jeher feindſelige Partei, die es rathſamer fand, den Sold der Franzoſen zu verdienen, als ſich an das Reich zu halten, bekam das Übergewicht. Die Graubündner, die von Tyrol gefährdet wurden, eben auch des Landfriedens halber, weil ſie eini- gen Geächteten des Königs bei ſich Aufnahme gewährten, fanden bei den Eidgenoſſen in dieſem Zuſtand der Dinge augenblickliche Hülfe. In Einem Momente ſtand die ganze Grenze, Tyrol und Graubünden Schwaben und Schweiz gegen einander in den Waffen. Sonderbar, daß die Ordnungen des Reiches einen ihrer Abſicht ſo ganz entgegenlaufenden Erfolg hatten. Die Anfor- derungen des Reichstags und des Kammergerichts brachten die Eidgenoſſenſchaft in Gährung: daß Graubünden einen Geächteten ausliefern ſollte veranlaßte deſſen Abfall. Wenn auf der andern Seite die Stadt Conſtanz nach langem Schwanken endlich in den Bund von Schwaben trat, ſo ſchien das den Schweizern unerträglich, weil die Stadt das Landgericht über den Thurgau beſaß, eine Landſchaft, welche ſie vor einigen Jahrzehenden an ſich gebracht hatten. Ohne- hin herrſchte zwiſchen Schwaben und Schweizern ſeit der Errichtung des Bundes ein Widerwille, der ſich ſchon lange in wechſelſeitigen Beleidigungen Luft gemacht, und jetzt in einen wilden Verwüſtungskrieg ausbrach. Die Verfaſſung des Reiches war bei weitem nicht ſtark genug, die Einheit deſſelben lange nicht in dem Grade in das Bewußtſeyn gedrungen, daß es ſeine volle Kraft

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/ranke_reformation01_1839
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/ranke_reformation01_1839/157
Zitationshilfe: Ranke, Leopold von: Deutsche Geschichte im Zeitalter der Reformation. Bd. 1. Berlin, 1839, S. 139. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ranke_reformation01_1839/157>, abgerufen am 29.04.2024.